Göttliche sprachen

Sprachlicher Pluralismus und die Einheit Gottes

von Pierre Bergounioux

„Du Narr, sagt er, „was du säest, wird nicht lebendig, es sterbe denn ...“ (1. Kor. 15,36). Er sagt also, daß man an dem Samen ein Bild der Auferstehung wahrnehmen kann, weil die junge Saat aus der Verwesung erwächst! Diese Tatsache wäre aber auch gar nicht so schwer zu glauben, wenn wir den Wundern, die sich allenthalben in der Welt unseren Augen darbieten, die gebührende Beachtung schenkten.

— John Calvin, Unterricht in der christlichen Religion (1559)

„Hier mehr als irgendwo enthält jede Sprache, trotz der verschiedenen gleichzeitigen und auf einander folgenden Ansichten, doch ein System von Begriffen in sich, die eben dadurch daß sie sich in derselben Sprache berühren, verbinden, ergänzen, Ein Ganzes sind, dessen einzelnen Theilen aber keine aus dem System anderer Sprachen entsprechen, kaum Gott und Sein das Urhauptwort und das Urzeitwort abgerechnet. Denn auch das schlechthin allgemeine, wiewoll außerhalb des Gebietes der Eigentümlichkeit liegend, ist dort von ihr beleuchtet und gefärbt.“

— Friedrich Schleiermacher, Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens (1813)

„Es gibt zwei Arten, sich zu verlieren: durch eine Segregation, die sich im [Partikularen] einmauert, oder durch eine Verwässerung im [Universalen]. Meine Vorstellung des Universalen ist die eines Universalen, das durch all das, was partikular ist, bereichert wird, ein durch alle Partikularitäten bereichertes Universales: Vertiefung und Nebeneinander allen Partikularen.”

— Aimé Césaire, Brief an Maurice Thorez (1956)

Einleitung

I. Von Babel zur Pfingsten

A. Theologische Exegese: Die Schöpfung, die Beziehungsebene, die historische Bedeutung

a. Genesis 9 – Die Sintflut

b. Genesis 10 – Die Völkertafel

c. Genesis 11 – Der Turmbau zu Babel

d. Apg 2,9-13 – Pfingsten

B. Soziolinguistische Lesarten von Babel

a. Patrick Sauzet und die „geopferte Sprache“ 32

b. Der Kaiser und Gott (Mk 12:17; Mt 22:21; Lk 20:25)

c. Kain und Abel

d. Die Sprache der Armen

B. Thematisierung und Neuformulierung der Fragstellung

a. Gewalt, Macht und Dominanz

b. Die Sprache des Kaisers

c. Die relationale Beschaffenheit und das Reale als Anspruch

d. Vielfalt gegenüber Idolatrie

e. Inkarnation und Geschichte

f. Das Universale: Umfassen des Gesetzes der Liebe

g.  Linguistische Vielfalt und religiöse Vielfalt: Das Zusammenspiel des Pluralismus

h. Lässt sich die Theologie mit einer solchen Frage befassen?

II. Die Sprachen und das Wort Gottes

A. Der theologische Status der Sprachen in Anbetracht des Wortes Gottes

B. Die Hinordnung der Sprachen zu Gott

a. Unterscheidung zwischen Logos und Sprache

b. Zuspruch von Sinn und Sprache

c. Der Geist

III. Universalismus oder Communio (Gemeinschaft und Teilnahme)

A. Eine gemeinsame Sprache oder ein gemeinsames Gespräch?

B. Der Universalismus

a. Die unitaristische Vorstellung

b. Idealismus, Platonismus, Absolutierung

c. Dualismus

d. Herausforderung des westlichen Exzeptionalismus: Die vielseitige Universalität

C. Neudefinition von Katholizität: Theologische Perspektiven

IV. Die Herausforderung der Fremden: Der Nächste oder der Bruder als Gnade

A. Sich selbst als Fremder

B. Die prophetische Funktion

C. Sich verschieben lassen: Einen alternativen universalen Weg

a. Das Althusserianische Modell

b. Das Operator „Alles“

c. Das Christentum als Anti-Modell

d. „Der Bruder zur Gnade“

V. Schöpfung und Hoffnung

A. Eschatologie: das Universale oder das Ökumenismus

a. Eschatologische Universalismus

B. Konfrontation: Selbstbeschränkung oder Selbstüberschreitung

a. Von Angesicht zu Angesicht

b. Selbstbeschränkung Gottes

c. Selbstüberschreitung und die Zukunft Gottes

C. Die durch Hoffnung bewirkte Verschiebung

Schluss

Bibliographie

K

Einleitung

 

Die biblischen Erzählungen, die traditionell zur Behandlung der Sprachfrage herangezogen werden, beschränken sich darauf, die Sprachen zu erwähnen und den Ursprung ihrer Vielfalt zu begründen. Sprachpluralismus und Sprachvariation[4] sind die zentrale Begriffe der vorliegenden Forschung, die vorschlägt, die theologischen Implikationen der Frage der minorisierten Sprachen zu untersuchen.

 

Der Begriff der minorisierten Sprache

           

Der Begriff „minorisierte Sprache“ im Deutschen nicht so häufig verwendet wird wie im Englischen. Stattdessen wird häufiger der Begriff „benachteiligte Sprache“ oder „Sprache in einer Minderheitenposition“ verwendet.  Mit minorisierten Sprachen meinen wir Sprachen, die in ihrem historischen Ausdehnungsgebiet[5] auf den Status einer Minderheitensprache reduziert werden. Diese Studie wird einen Sprachpluralismus betrachten, der nicht als das Zusammenleben verschiedener Sprachen verstanden wird, insbesondere nicht als Sprachen, die mit Staaten und weltweit verbreiteten nationalen Stereotypen assoziiert sind. Stattdessen wird ein universal verbundener Sprachpluralismus untersucht, der das Überleben indigener Sprachen trotz vereinheitlichender Kräfte wie dem Markt, staatlichen Richtlinien und individueller Strategien zur sozialen Förderung betont. Diese Sprachen, die noch vor einigen Jahrzehnten die Mehrheitssprache ganzer Gesellschaftsteile bildeten und in kurzer Zeit auf den Status gefährdeter Sprachen in Richtung Aussterben reduziert wurden, erscheinen uns als reich an einer besonderen Lehre, einer einzigartigen Veranschaulichung für die Theologie —das Forschungsfeld, das darauf abzielt, die Fülle der christlichen Botschaft, des Evangeliums, in der gegenwärtigen Zeit zu wiederholen. Mehr als alles andere sind minorisierte Sprachen keine reine Abstraktion. Sie haben einen Namen, ein Gesicht, einen Ort. Das sind die Namen, Gesichter und Orte von Menschen, denen man begegnet ist, die dokumentiert wurden, manchmal seit Jahrzehnten besucht.

 

Sprachlicher und religiöser Pluralismus

 

Die Parallele zwischen religiöser Vielfalt und sprachlicher Vielfalt ist uralt. In der modernen Zeit lässt sich diese Parallele auf Bibliander zurückführen, der als Nachfolger von Zwingli als Professor am Grossmünster in Zürich tätig war und die erste lateinische Ausgabe des Korans[6] veröffentlichte. Im 20. Jahrhundert hat religiöser Pluralismus für die Kirche und die Theologie eine herausfordernde Dimension angenommen, die sich im religiösen Dialog manifestiert. Raimon Panikkar betont die Parallele zwischen religiösem Pluralismus und sprachlicher Vielfalt und zeigt auf, dass es „absurd ist zu behaupten, dass eine Sprache perfekter ist als eine andere“[7]. Dadurch stellt er die Frage an der Schnittstelle von Sprachen und Religionen: „We cannot compare languages (religions) outside language (religion) and […] there is no language (religion) except in concrete languages (religions).“[8] Wir sehen es: Die Theologie hat es sich nicht versagt, den religiösen Pluralismus in sprachlichen Begriffen zu betrachten. Umgekehrt kann das Denken des sprachlichen Pluralismus in theologischen Begriffen den Spiegel, der dem religiösen Pluralismus geboten wird, weiter verfeinern.

 

Sociolinguistischer Ansatz und religiöser Pluralismus

 

Die Forschung wurde auf der Grundlage von zwei wesentlichen Überlegungen im Zusammenhang mit dem Thema durchgeführt: Die hermeneutischen Reflexionen des Theologen Claude Geffré werden uns dabei helfen, die Schnittpunkte zwischen der Theologie der Religionen und der sprachlichen Vielfalt zu identifizieren, während wir die Analysen von Patrick Sauzet nutzen werden, um eine soziolinguistische Lesart der Schrift zu erhalten. Der Linguist und Okzitanist bietet eine begriffliche und konzeptionelle Arbeit, die sich mit theologischen Themen befasst (die Konzepte der „nackten Sprache“[9], der „opferten Sprache“ und Babel als Symbol der Undifferenziertheit). Zudem ermöglicht sie uns, im Rahmen dieser theologischen Forschung die Frage des Sprachpluralismus anhand des konkreten Beispiels einer minorisierten Sprache, dem Okzitanischen, zu betrachten, das möglicherweise eine gewisse konzeptuelle Transparenz[10] bietet.

 

Problematik und Forschungsfragen

 

Wenn auch Soziolinguistik und Theologie bisher die Bedingungen ihrer Diskussion nicht klar definiert haben - und dies möglicherweise auch nie tun werden -, so steht die Frage der minorisierten Sprachen dennoch an der Schnittstelle mehrerer zeitgenössischer Theologien: Befreiungstheologien, Prozesstheologien, kontextuelle Theologien und sogar das, was die koreanisch-amerikanische Theologin Grace Sun Kim als eine Theologie der Sichtbarkeit bezeichnet[11]. Ausgehend von einer theologischen Exegese wird vorgeschlagen, die schriftlichen und theologischen Auswirkungen dieses Plurals und die Würde dieses Ausdrucks „die Sprachen“ zu untersuchen. Das Hauptproblem liegt in einer noch immer häufig bestrafenden Lesart von Babel (Gen 11,1-9), mit der die Vorstellungen vom Universalen (die vorbabylonische Sprache als universelle Sprache verstanden) und Absolutheit (sowohl aufgrund der Suche der Menschen, deren Geschichte es widerhallt, als auch aufgrund der Reaktion Gottes, der scheinbar unzugänglich bleiben will) verbunden sind. Die Tendenz der Theologie und Philosophie, sich stärker mit der Frage nach der Sprache als mit jener nach den Sprachen zu beschäftigen, verschärft das Problem: Der Zugang durch die Sprache, verstanden als abstrakter Begriff, verwischt das Verständnis der Sprachen in ihrer konkreten Ausprägung. Die Sprachen würden lediglich zufällige Ausdrucksformen darstellen. Zu lange darauf zu verweilen, würde den Weg zum Relativismus eröffnen[12].

 

Zugunsten des Zugangs durch die Sprachen sollte jedoch beachtet werden, dass die bestrafende Auslegung von Babel nicht unbedingt der Theologie selbst entspricht. Die Übersetzung ist korrekt. Es könnte jedoch etwas präzisiert werden. Hier ist eine alternative Formulierung: Ebenso bekräftigt die christliche Theologie die Vorstellung von einem persönlichen und relationalen Gott, was dem Konzept des Absoluten entgegensteht[13]. Weit entfernt von Abstraktion präsentiert sich das Christentum als die Religion der Inkarnation. In dieser Logik könnten „die Sprachen“, wenn auch nicht als privilegierte Vorstellung, zumindest als eine Vorstellung in eigenem Recht betrachtet werden. Die zuvor genannten Theologien haben alle gemeinsam, dass sie die Handlung des Geistes betonen und eine starke Pneumatologie entwickelt haben. Obwohl sie vom Aussterben bedroht sind und die Merkmale ehrwürdiger Relikte aufweisen, drücken minorisierte Sprachen eine Leichtigkeit und Vitalität aus, die es ermöglichen, die Realität zu erfassen, zu spielen und zu lachen. Dies erinnert an den Geist, der „Himmel und Erde vereint, alles durchdringt und belebt, so dass Gott alles in allem sein kann“[14], und schafft eine Artikulation der Welt und der Realität, die es ermöglicht, „den Dualismus von Materie und Geist zu überwinden“[15]. Durch die Sprache erlebt jeder Sprecher einer beliebigen Sprache auf intime und doch schwer fassbare Weise eine Beziehung zu einer autonomen Dimension. Diese Verbindung zwischen Sprachen und dem Geist,  zusammen mit dem rätselhaften göttlichen Eingreifen in Babel, regt dazu an, darüber nachzudenken, wie Sprachen in Bezug auf die Personen der Trinität – den Geist, den Vater und auch den Sohn – geordnet sind.

Anschließend laden die Sprachen dazu ein, durch die Vorstellung des Pluralismus die Frage nach dem Einen und dem Vielen neu zu betrachten sowie ausgehend von der Tatsache der Variation die Frage nach dem Gleichen und dem Anderen. Tatsächlich bleibt die Sprache trotz des Pluralismus oder der Variation eine Einheit, und die Dialekte behalten ihre Konturen, während sie lokale Sprachvarianten abdecken, die sich wiederum im Wandel befinden.

Schließlich, was ist das Schicksal der Sprachen, wenn sie unter dem eschatologischen Horizont betrachtet werden? Einerseits ermutigt uns das Wort, uns von unseren familiären Bindungen zu lösen (Mt 8,22; Mk 10,39), von dem, was zu Desintegration oder Dispersion führt, und uns stattdessen um auf das zu konzentrieren, was zur Verwirklichung eines gemeinsamen Ziels beiträgt, nämlich der Einheit, zu der wir berufen sind (Joh 17,21). Andererseits, wenn der Geist weht, ruft er zum Handeln auf. Was sich im Widerstand der Sprachen manifestiert, ist die grundlegende Weigerung, nicht nur ein Licht zu löschen, sondern auch ein Unrecht zu legitimieren.

Nicht aufzugeben ist, um mit Jesus, der vom Versucher auf die Probe gestellt wurde - einer etymologischen Figur der Zerstreuung - daran zu erinnern, dass es geschrieben steht: „Du sollst den Herrn, deinen Gott, anbeten und ihm allein dienen.“ (Mt 4,5-10; Dtn 6:13; Dtn 10,20).

 

Aufbau der Masterarbeit

 

In dieser Forschung werden die Texte von Gen 9–11 und Apg 2,1-13 zunächst durch eine aktuelle historisch-kritische Exegese sowie durch die Soziolinguistik untersucht. Anschließend werden die vorgefundenen Elemente theologisch thematisiert. Dies wird dazu führen, dass die Herausforderungen und Komplexitäten der Vielfalt im Hinblick auf die Sprachvariation weiterhin untersucht werden. Im zweiten Kapitel wird das Binomium Logos/Geist behandelt, während im dritten Kapitel die Vorstellung oder Konzeption des Universalen behandelt wird. Danach werden die theologischen Implikationen des sprachlichen Fakts durch die Vorstellung des Nächsten in Frage gestellt. Abschließend wird die dynamische Einheit von Schöpfung und Hoffnung betrachtet.

 

Anmerkung 1 – Ein erneutes Interesse an der Sprachfrage?

Die sprachliche Frage ist nicht abwesend von der Debatte, die das Leben der Kirche belebt, und man könnte, wenn auch zaghaft, eine gewisse Relevanz der Frage im Lichte der aktuellen Entwicklungen vortragen. Die Erneuerung des Katakombenpakts[16] innerhalb des römischen Katholizismus brachte die Vorstellung von sprachlicher Vielfalt hervor, die auf den ersten Blick von den Befreiungstheologien bis dahin nicht so deutlich erwähnt worden war. Der Text wurde von einer Gruppe von Bischöfen unterzeichnet, die an der Synode für das Amazonasgebiet teilnahmen, die vom 6. bis 27. Oktober 2019 stattfand. Die unterzeichnenden Synodenväter verpflichten sich insbesondere zur Erneuerung der „vorrangige Option für die Armen, besonders für die Urvölker, und gemeinsam mit ihnen sichern wir ihnen das Recht, Protagonisten in der Gesellschaft und in der Kirche zu sein; wir helfen ihnen, ihre Territorien, Kulturen, Sprachen, ihr Geschichtsgut, ihre Identitäten und Spiritualitäten zu bewahren. Im wachsenden Bewusstsein, dass diese lokal und global respektiert werden müssen, heißen wir sie deswegen mit all uns zur Verfügung stehenden Mitteln, als Gleichberechtigte im globalen Kontext anderer Völker und Kulturen willkommen“[17]. Papst Franziskus' nachsynodales apostolisches Schreiben „Querida Amazonia“ greift auch die Frage der Sprachen in folgender Weise auf: „Darüber hinaus ist es notwendig, »gegenüber der kolonisierenden Invasion durch die Massenmedien« zugunsten der ursprünglichen Völker »von ihren eigenen Sprachen und Kulturen bestimmte Kommunikationsformen« zu fördern, und »dass die Themen der Indigenen selbst in den bereits vorhandenen Medien in Erscheinung treten“[18].  Es hat ein Bewusstwerden stattgefunden

 

Anmerkung 2 – Theologie der Kultur und protestantische Theologie

 

Sollten wir nach Bedeutung in Vielfalt und Pluralismus suchen, mit dem Risiko, eine Theologie der Vielfalt zu entwickeln, die letztlich nur eine theologia naturalis in neuem Gewand wäre? Die Aufmerksamkeit, die den kulturellen Vermittlungen geschenkt wird, hat eine theologische Entsprechung. Dies spiegelt sich insbesondere in Paul Tillichs Systematischer Theologie[19] wider und der von ihm eingeführten Unterscheidung innerhalb der westlichen Theologie zwischen dem »protestantischen Prinzip« und der »katholischen Substanz« . Claude Geffré präsentiert die tillichsche Unterscheidung als „die Ablehnung, irgendein Element der menschlichen oder historischen Realität mit Gott zu identifizieren [als »protestantischen Prinzip«], und die katholische Substanz, [...] die Behauptung der spirituellen Gegenwart Gottes in allem, was existiert“[20]. Kann die protestantische Theologie diese Frage systematisch angehen, außer durch kontextuelle Theologie? Kann die protestantische Theologie behaupten, dass „durch das Ausgießen des Geistes des Auferstandenen am Pfingsttag die Vielfalt der Sprachen und Kulturen notwendig ist, um den vielfältigen Reichtum des Geheimnisses Gottes auszudrücken?“[21]. Natürlich kann die protestantische Theologie das behaupten und zögert nicht, es zu tun, wie wir insbesondere bei Amos Yong sehen werden.

 

 

 


 

I. Von Babel zur Pfingsten

 

Schon in den ersten Versen der Genesis begegnet der Leser der Bibel einem Gott, der spricht. Während dieser sprechende Gott, implizit die Frage nach der Vorexistenz der Sprache aufwirft, ist dies nicht zwingend die Frage, die diese Texte selbst in den Vordergrund stellen möchten. Diese Texte fokussieren sich nicht auf den Prozess des Spracherwerbs beim Menschen und untersuchen auch nicht die Ursprünge der menschlichen Sprache: „Die biblische Erzählungen geben keine präzisen Angabe über eine Gabe der Sprache an den Menschen. Wahrscheinlich stellen sie sich vor, dass der Mensch diese mit Gott und den Tieren teilt. [...] Demnach gibt es laut biblischer Erzählung am Anfang eine gemeinsame Sprache, die von Menschen, Gott und Tieren verstanden wird“[22]. Ob Gott spricht oder wie die Sprache zum Menschen kam, scheinbar motiviert keines davon das Verfassen der Berichte, die den ersten Teil der Genesis (Gen 1–11) bilden. Lassen Sie uns jedoch das Implizite beachten, die Vorstellung einer gemeinsamen Sprache für Tiere, Menschen und Gott. So zwingt uns die biblische Erzählung inmitten der Polemik gegen minorisierte Sprachen – jene, die fälschlicherweise diese Sprachen zu frustrierten, ungrammatischen Reden machen, die ihre Sprecher zur Heilung ihrer Tiere verwenden – dazu, eine Person einzuführen, und nicht irgendeine Person, sondern Gott. Können diese biblische Textzeugnisse jedoch eine Grundlage für einen theologischen Status der minorisierten Sprachen bieten?

 

A. Theologische Exegese: Die Schöpfung, die Beziehungsebene, die historische Bedeutung

 

Bevor wir uns der theologischen Exegese der Texte zuwenden, die für die systematische Behandlung von minorisierten Sprachen relevant erscheinen, möchten wir zwei Elemente hervorheben, die den Kontext der ausgewählten Texte betreffen. Der erste Kontexthinweis bezieht sich auf die Schöpfungstheologie, die eigen in den ersten Kapiteln von Genesis und im Deuterojesaja zu finden ist. Die Schöpfungstheologie betont die relationale Dimension: Die verschiedenen Schöpfungsgeschichten, die im Alten Testament dargelegt werden, bieten zahlreiche Möglichkeiten, um „verschiedene Aspekte des göttlichen Charakters und [...] die menschliche Antwort, die von jeder einzelnen gefordert wird, zu betonen“[23]. Der zweite Kontexthinweis profitiert von den neuesten  Beiträgen der biblischen Wissenschaften zur Geschichte des antiken Nahen und Mittleren Ostens in Bezug auf diese gleichen Schöpfungsgeschichten. Diese haben weniger die Aufgabe, den metaphysischen Ursprung der Welt zu erklären oder einen bestimmten Zustand der Dinge zu erläutern, sondern vielmehr etwas über die Gegenwart auszusagen und den Leser in Verbindung mit der aktuellen Situation zu involvieren. Was Matthias Albani über Deuterojesaja sagt, trifft auch auf die Schöpfungsgeschichte in Gen 1–11 zu: „Die Schöpfungstheologie in Deuterojesaja ist kein Selbstzweck, sondern das Mittel, um die Macht Jhwhs über die Geschichte zu beweisen“[24]. An diesem Punkt sei festgehalten, dass die Schöpfungstheologie, die den zu untersuchenden Texten zugrunde liegt, nicht genau der Theologie einer creatio prima oder einer creatio originalis entspricht, wie sie üblicherweise verstanden wird. Jhwh handelt in der Geschichte, in der Gegenwart, und sein Handeln ist auch ein politisches Handeln. Die aufgerufenen Bilder zeigen einen handelnden Gott und weisen auf ein Programm, einen gezielten Zweck hinter dieser göttlichen Aktivität hin. In dieser Theologie der fortlaufenden Schöpfung haben die Konzepte von Erlösung und Gerechtigkeit eine besondere Bedeutung, die gelegentlich sogar die Vorstellung einer Neuschöpfung einschließen  (Jes 45,1-8). Schließlich sei noch darauf hingewiesen, wie in der Erzählung von Babel die Begriffe von Macht und Geschichte aufeinandertreffen und die Potenzialität einer Menschheit offenbaren, die bereits ihre Gewalttätigkeit gezeigt hat (Gen 4; Gen 9).

 

a. Genesis 9 – Die Sintflut

 

Die jüngeren Forschungsergebnisse unterstreichen die Notwendigkeit, den Bericht von Babel im Kontext zu betrachten, insbesondere in Bezug auf das vorangehende Kapitel in der Hebräischen Bibel, das als Tafel der Völker bekannt ist. Dabei ist es interessant festzustellen, dass die Erwähnung einer gemeinsamen Sprache zwischen Menschen und Tieren uns dazu einlädt, noch weiter zurückzugehen, nämlich bis zur Zeit der Sintflut. Wie Thomas Römer betont, „markiert die Sintflut ebenfalls einen bedeutenden Zäsur, einer Einschnitt da sich die Menschheit danach differenziert und mehrere Sprachen spricht“[25].

Eine solche Zäsur, die mit der Sintflut eintrat, ist die Einführung von Fleischnahrung. Die Schöpfungsgeschichte sieht ursprünglich eine friedliche Schöpfung vor: Am sechsten Tag, „sprach Gott: Siehe, ich gebe euch alles Gewächs, das Samen bildet auf der ganzen Erde, und alle Bäume, die Früchte tragen mit Samen darin. Euch sollen sie zur Nahrung dienen. Allen Tieren der Erde, allen Vögeln des Himmels und allem, was auf der Erde kriecht, das Lebensatem in sich hat, gebe ich alles grüne Gewächs zur Nahrung. Und so geschah es.“[26] (Gen 1,29-30). Die Sintflut führt zu einer tiefgreifend veränderten Beziehung zu den Tieren: „Furcht und Schrecken vor euch soll sich auf alle Tiere der Erde legen, auf alle Vögel des Himmels, auf alles, was sich auf dem Erdboden regt, und auf alle Fische des Meeres; in eure Hand sind sie gegeben. Alles, was sich regt und lebt, soll euch zur Nahrung dienen. Das alles übergebe ich euch wie die grünen Pflanzen“ (Gen 9,2-3). Während die Schöpfungserzählung ursprünglich ein vegetarisches menschliches Dasein vorgesehen hatte, deutet der Segen, den Elohim bei Verlassen der Arche ausspricht, eine düstere Veränderung für eine der drei beteiligten Parteien an, obwohl sie immer noch eine gemeinsame Sprache teilen. Nach André Wénin „zeigt Elohim durch das Aussprechen dieser Worte eine Akzeptanz von Gewalt als Teil der menschlichen Realität. Genauso wie am Anfang, als Elohîm die Elemente des ursprünglichen Chaos in das harmonische Universum integrierte (Gen 1,3-10), wird er nun den ursprünglichen Plan umgestalten, um dieses neue Element des Chaos, das dieses Mal von der Menschheit kommt, zu berücksichtigen. Während die Differenzierung der Sprachen nach der Flut erfolgt, sollte beachtet werden, dass sie anscheinend nicht mit dieser Zugeständnis an Gewalt oder Chaos verbunden ist.“[27]

Man wird auch bemerken, dass die Vorstellung von Sprache sich nach wie vor nicht von der von Rede unterscheidet, während beide mit der Idee von Nahrung vermischt sind: „Der biblische Leser muss nicht lange warten, um mit dem Thema Nahrung konfrontiert zu werden. Dieses Thema wird in zwei göttlichen Reden behandelt, die beide an die Menschen gerichtet sind: die letzte Aussage der großen Schöpfungsgeschichte im Kapitel 1 der Genesis und der erste Befehl, den Jhwh Elohim im Garten Eden im Gen 2 gibt. In beiden Fällen gibt der Schöpfer den Menschen Nahrung, wenn auch nicht ohne Einschränkungen.“[28] Lassen Sie uns unsere dreigeteilte und einsprachige Beziehung erneut betrachten: Tiere-Menschheit-Gott. Die Menschheit befindet sich in einer Situation der Ernährungsabhängigkeit gegenüber ihrem Schöpfer, und ihre Neigung zum Bösen, wie in Genesis 8,21 erwähnt, ist nun anerkannt. Gott greift ein, indem er Grenzen setzt: „Nur Fleisch mit seinem Leben, seinem Blut, dürft ihr nicht essen” (Gen 9,4), und das Gesetz der Vergeltung einführt: „Für das Leben des Menschen fordere ich Rechenschaft“ (Gen 9,5). Dennoch besteht keine Verbindung zwischen der Verwirrung der Sprachen und der erwähnten Boshaftigkeit der Menschen oder dem Eindringen von Gewalt. Im Gegenteil, Babel und die Einführung des sprachlichen Pluralismus passen zur Logik der von Elohim festgelegten Grenzen.

Darüber hinaus bekräftigt Kapitel 9 erneut das Konzept, dass der Mensch nach dem Bilde Gottes geschaffen wurde (Gen 9,6b). Die Passage betont diesen Punkt besonders, indem sie die Vorstellung von imago Dei heranzieht, um die Implementierung der Todesstrafe zu rechtfertigen: „Wer Blut eines Menschen vergießt, / um dieses Menschen willen wird auch sein Blut vergossen. / Denn als Bild Gottes / hat er den Menschen gemacht“ (Gen 9,6). Mit anderen Worten, Gewalt hebt das Imago Dei nicht auf, sondern fordert die Gerechtigkeit heraus. In Bezug auf Kapitel 1 der Genesis, wo die Wendung »uns ähnlich« zwischen den Versen 26a und 27 fehlt, kommentiert André Wénin: „Gewisse Kirchenväter haben es bereits gesagt: Wenn dem Menschen das Bild Elohim gegeben ist, gleicht es noch nicht, und seine erste Aufgabe wird es sein, dem Bild zu ähneln, das in ihm so hinterlegt wurde. So wird der Sinn des Satzes »Lasst uns Menschen machen« klar: Der Mensch ist dazu aufgerufen, durch sein Handeln an der Erfüllung dessen mitzuwirken, den Elohim in seinem Bild erschaffen hat.“[29] Die Sprache spielt, wie von Thomas Römer betont, immer noch keine unterscheidende Rolle. Die gemeinsame Sprache der Tiere, Menschen und Gottes ist nicht das, was die Menschheit im Bilde Gottes ausmacht. Da Menschen dazu aufgerufen sind, Gott zu gleichen, sind sie nicht dazu berufen, den Weg zu dieser Ähnlichkeit in einer einzigen Sprache zu finden.

Noch besser, die Vorstellung einer Macht, die mit der Sprache in Verbindung gebracht wird, im Widerspruch zu einem Schöpfungsbericht steht, der uns dazu einlädt, den Schöpfer als „mächtig in seiner eigenen Beherrschung“[30]. Der Schöpfer setzt nicht nur Grenzen für seine Geschöpfe, sondern begrenzt sich selbst, was eine bedeutende theologische Dimension der Schöpfungserzählung darstellt. unterstreicht die Sanftheit im Herzen des Gottesbildes. Es ist ein Gesetz der Sanftheit, das die Vorstellungen von einem allmächtigen Gott, der mit unserem Traum von Allmacht vermischt wird, korrigiert – ein Gott, den wir in unser eigenes Bild projizieren. Der siebte Tag unterstreicht „die Sanftheit im Herzen des Gottesbildes. Es ist ein Gesetz der Sanftheit, das die Vorstellungen von einem allmächtigen Gott, der mit unserem Traum von Allmacht vermischt wird, korrigiert – ein Gott, den wir in unser eigenes Bild projizieren.“[31]

Die biblische Exegese wirft mehrere ernsthafte Hürden für eine Ursprungsphantasie auf, die auf dem Mythos einer einzigen Sprache beruht.

Erstens kann eine solche Vorstellung von einer einzigen Sprache keinen einzigartigen Anspruch für die Menschheit geltend machen, da diese Sprache gleichermaßen von Tieren, Menschen und sogar Gott geteilt wird. Zweitens offenbart die zugrunde liegende Triebkraft einer monolingualen Perspektive, genährt von einem unstillbaren Durst nach absoluter Autorität, ihre inhärente idolatrische Natur. Vielmehr versucht sie, eine Sprache im Ebenbild der Menschheit zu schaffen, anstatt das empfangene und geteilte Wort zu umarmen. Drittens beinhaltet die Essenz der Schöpfung eine Ordnung, die durch die Festlegung von Grenzen und Limiten entsteht. Daher ist der biblische Bericht nicht geeignet, um den linguistischen Pluralismus als Quelle von Chaos und Unordnung zu verurteilen. Schon bevor man in den Bericht von Babel eintaucht, würde eine solche Interpretation als unangemessene Darstellung betrachtet werden.

Auf ähnliche Weise werden manchmal auch die minorisierte Sprachen  kritisiert, indem sie als Zuflucht für Partikularismen, als eine gewisse Verklärung der Vergangenheit, kurz gesagt, als eine Ursprungsphantasie dargestellt werden. Doch wenn es einen Ursprungsphantasie gibt, scheint dieser viel eher auf den Wunsch nach einer einzigen Sprache zurückzuführen zu sein, vorzugsweise der Sprache des Heimatlandes, und nicht auf einen ursprünglichen Pluralismus, den seine Kritiker gerne als zersplitterte Identitäten oder Sektierertum abtun. Für den Bibelforscher gibt es „keine Theorie über den Ursprung dieser einzigen Sprache; man könnte sagen, dass sie laut dem priesterlichen Autor ihren Ursprung in der Sprache des Schöpfergottes findet.“[32] Wenn Gott bereits in den ersten Versen der Bibel spricht, liegt dies daran, dass das Wort Vorrang hat.

 

b. Genesis 10 – Die Völkertafel

 

Wie sieht es mit dem Kapitel unmittelbar vor der Geschichte von Babel aus, das uns Thomas Römer und Albert de Pury dazu einladen, es nicht davon zu trennen? Thomas Römer weist darauf hin, dass vor Babel (Gen 11) das Kapitel Gen 10 kommt und die Völkertafel basierend auf Schem, Ham und Japheth, den drei Söhnen Noahs, beschreibt. „Von ihnen trennten sich die Inseln der Völker in ihren verschiedenen Ländern, jedes nach seiner Sprache(אִ֖ישׁ לִלְשֹׁנֹ֑ו), gemäß ihren Sippenverbänden, innerhalb ihrer Völker.“ (Gen 10,5b). Der Exeget David Carr weist in einer Fußnote auf den Nachteil hin, das Wort גּוֹי als »Nation« zu übersetzen, aufgrund seiner modernen Bedeutung, und bevorzugt stattdessen den Begriff »Volk«. Wir folgen dieser Empfehlung. Der Bericht über die Völkertafel (Gen 10) „teilt die Menschheit in drei Gruppen auf, die mit den drei Söhnen Noahs in Verbindung gebracht werden, basierend auf ihrer geografischen Lage und Sprache (V. 5, 20, 31)“. Diese Aufteilung wird im letzten Vers der Perikope selbst erklärt: „Das waren die Sippenverbände der Söhne Noachs nach ihrer Geschlechterfolge in ihren Völkern. Von ihnen zweigten sich nach der Flut die Völker der Erde ab“ (Gen 10,32).

Wenn, wie der Bibelwissenschaftler Markus Witte betont, die Struktur des Textes „eine sozio-geographische Differenzierung nach Familien (mišpāchāh), Sprachen (lāšôn), Ländern (’æræṣ) und Völkern (gôj) (vgl. Gen 10,5; Gen 10,20; Gen 10,31)“[33] repräsentiert, ist es nicht möglich, es als einen anachronistischen Versuch der Soziolinguistik zu betrachten. Im Gegenteil, wie David Carr in seinem aktuellen Kommentar feststellt: „Bei genauerer Betrachtung zeigt sich, dass das Kapitel so zusammengestellt ist, dass Versuche, es als Überblick über bekannte Völker zu lesen, widerstanden werden, auch wenn einige Abschnitte - insbesondere die nicht-priesterschriftliche Abschnitte - problematische Verbindungen mit späteren Diskursen über Sklaverei und Rasse aufweisen.“[34] In anderen Worten, Gen 10 stellt eine Verbindung zwischen kultureller Verschiedenartigkeit und sprachlicher Verschiedenartigkeit her, und tut dies in einer Weise, die insbesondere für die Theologie von Interesse ist: „Es sollte deutlich sein, dass die Menschen in Gen 10 im Gegensatz zur Darstellung der Entwicklung verschiedener Pflanzen- und Tierarten in Genesis 1 in keiner Weise durch physischen Typ oder Spezies voneinander unterscheidbar sind [...] Alle tragen implizit das Bild Gottes in sich, das von Generation zu Generation weitergegeben wird (siehe Genesis 5,1-3), während sie sozial voneinander durch eine Mischung aus geografischen, ethnisch-nationalen und sprachlichen Merkmalen unterschieden werden (Genesis 10,20; 31 und die ursprüngliche Form von 10,5)“[35]. Somit deutet die Völkertafel bereits an, dass trotz der Analogien die Ökolinguistik und die Ökotheologie nicht aufeinander reduzierbar sind.

Es ist auch eine Grenze für die natürliche Theologie. Die menschliche Vielfalt wird von Gott gewollt, obwohl der Text, und insbesondere Gen 1-11, Spuren von Spannungen zwischen den postdiluvianischen Erzählungen über die „Gottheit (Jhwh), die die menschliche Zerstreuung verursacht (פוץ hiphil Gn 11,8a, 9b; vgl. auch נפץ Gn 9,19)“[36] und der Erzählung eines Gottes „am Ursprung dieses Prozesses in Gen 10*, der den Menschen seinen Segen gibt und sie ermutigt, sich zu vermehren (Gn 1,28; 9,1,7)“[37] trägt. Angesichts dieser Widersprüche erscheint Gen 10 als der am wenigsten theologisch oder politisch motivierte und der am unparteiischste Teil[38].. Bereits in Genesis 10 besitzt jedes Volk seine eigene Sprache, was dem göttlichen Willen entspricht: „Für P gehört die Vielfalt der Sprachen anscheinend zur postdiluvianischen Menschheit. Sie ist von Anfang an da und scheint kein besonderes Problem darzustellen.“[39] Hier findet der sprachliche Pluralismus einen theologischen Vorteil, nämlich eine schriftliche Rechtfertigung, die der religiöse Pluralismus nicht genießt, da die religiöse Verschienartigkeit nicht erwähnt wird.

 

c. Genesis 11 – Der Turmbau zu Babel

 

Übergehen wir zu Babel. Albert de Pury lässt keinen Raum für Zweideutigkeit: „Ein Erzähler, ein Verfasser oder sogar ein Bearbeiter könnten nicht mit der bewundernden und sorglosen Darstellung zufrieden sein, die dem priesterschriftlichen Text von der Verschiedenartigkeit der Völker und ihrer Sprachen gegeben wurde. Daher wurde die Geschichte vom Bau des Turms zu Babel eingeführt, um dies zu thematisieren.“[40] Diese  bewundernde und sorglose Version ist die priesterschriftliche Version von Gen 10.  Daher ist es angemessen, Gen 11 als eine bewusste Reaktion zu interpretieren, um diesem Gefühl von Staunen und Unbeschwertheit entgegenzuwirken. Im Bericht von Babel wird „die Vielfalt der Sprachen nicht als Ergebnis einer organischen Verzweigung der menschlichen Sprache betrachtet, sondern vielmehr als Folge einer vorbeugenden verwirrenden Bestrafung auferlegt (V. 1,9a). Ebenso wird die Zerstreuung der Völker über die ganze Welt nicht mehr als Antwort auf eine Einladung, »die Erde zu füllen« , verstanden, sondern als eine von Jhwh auferlegte Vertreibung (V. 4b, 8a, 9b).“[41] Derselbe Verfasser hätte im vorherigen Kapitel interveniert, um dessen Friedfertigkeit zu korrigieren: „Laut jüngeren Analysen (Witte, de Pury, et al.)  können diese Fragmente nicht einem alten Jahwisten zugeschrieben werden; es handelt sich um Zuzätze und nachpriesterschriftliche Korrekturen, insbesondere in Genesis 10,8-13, 15-19, 21, 24-25.  Diese Zusätze zielen darauf ab, eine Verbindung zur Verfluchung Kanaans in Genesis 9 und dem Turmbau zu Babel in Genesis 11 herzustellen. Die Redaktoren versuchen die priesterschriftliche Völkertafel in einen neuen Kontext zu integrieren, der die Unterschiede zwischen den Völkern hervorhebt und die Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen als göttliche Strafe begreift.“[42]

Lasst uns daran erinnern, dass bis dahin die Sprachfrage nicht aufgetaucht war. Mit diesem nachpriesterschriftlichen Eingriff entsteht nicht nur eine Theologie der Sprache, sondern auch eine Ideologie der Sprache[43]. David Carr betitelt seinen Kommentar zu Gen 11,1-9 als »Divine Prevention of Human Collective Power through Linguistic Confusion and Dispersion of Humans«. Die bisher besprochene Macht war die der Gottheit, eines Gottes mit der Fähigkeit zur Selbstbeschränkung. Die Böswilligkeit der Menschheit wurde betont, und die Zugeständnisse, die aus dieser Feststellung resultieren, wurden von Begrenzungen begleitet. Daher wird in Gen 11,1-9 die Macht der Menschheit deutlich, eine Macht, die Carr als kollektiv charakterisiert. Wenn man dem Faden des imago Dei folgt, könnte ein unaufmerksamer Leser denken, dass es in dieser kollektiven Macht ist, dass die Menschheit nach dem Abbild Gottes geschaffen ist. In Wirklichkeit ist es hier nicht die Menschheit, die sich selbst begrenzen wird, sondern vielmehr Gott, der eingreifen muss. Gott interveniert gegen die kollektive Macht der Menschen auf zwei Arten: durch die Verwirrung der Sprachen und die Zerstreuung der Menschen.

An dieser Stelle ist es wichtig, zwischen den beiden Begriffen, nämlich σύγχυσις[44]   und διασπορά, zu unterscheiden. Ersterer, σύγ-χυσις (Verwirrung; Latein con-fusio), kann wörtlich als das »Ver-gießen« übersetzt werden, während δια-σπορά »Zer-streuung« bedeutet. Dennoch, obwohl es sich um zwei verschiedene Phänomene handelt, führt gerade die Verwirrung der Sprachen zur Zerstreuung der Menschen. David Carr stellt in seiner Übersetzung die jeweils aktiven und passiven Formen des bereits zuvor erwähnten Verbs פוץ wieder her. Daher gibt die EU-Übersetzung den Vers 11,4bc angemessen wieder mit: „So wollen wir uns einen Namen machen, damit wir uns nicht über die ganze Erde zerstreuen“, während Carrs englische Übersetzung den kausativen (hiphil) Aspekt von Vers 11,8a treffend wiedergibt mit: „[Yhwh] caused them to scatter from there across the surface of the earth.“[45] Die menschliche Strategie hat daher die diametral entgegengesetzte Wirkung. Allerdings ist die Zerstreuung zumindest in Babel keine direkte Folge göttlicher Intervention: „Dieser Prozess der spezifisch menschlichen Zerstreuung wird durch die Sorge der Menschen über ihre eigene Zerstreuung auf der Erde antizipiert.“[46] Zusammenfassend werden in Kapitel 10 (Die Völkertafel) die Zerstreuung und Verschiedenartigkeit der Menschheit als Ergebnisse des göttlichen Gebots zur Vermehrung dargestellt. Im darauf folgenden Kapitel Im nächsten Kapitel setzt sich die menschliche Zerstreuung fort. Es handelt sich nicht um ein neues Phänomen, sondern um ein Phänomen, das eine menschliche Dimension annimmt. Die menschliche Zerstreuung ist nicht mehr nur eine Folge des göttlichen Gebots zur »Vermehrung«, sondern resultiert auch aus der menschlichen Angst vor ihrer eigenen Zerstreuung.

Die Sorge der Menschen über ihre Zerstreuung findet heutzutage eine Antwort in der Besorgnis einiger von uns bezüglich einer Homogenisierung, einer Wiedervereinigung der Menschheit, die nicht von Gottes Initiative ausgeht. Die Babel-Erzählung wurde als Kritik am Imperialismus gelesen. Diese Interpretation ist alt und geht sogar auf die Zeit des Zweiten Tempels[47] zurück. Allerdings wird diese Interpretation eher als eisegesch (hineingelesene) als als exegetisch (herausgelesene) betrachtet und sollte laut Kommentatoren aufgegeben werden. Sie argumentieren, dass „obwohl der Text Anzeichen einer Entstehung während der mesopotamischen Vorherrschaft Judas zeigt [...], er keine imperialistische Macht widerspiegelt oder kritisiert.“[48]. Dies ist wichtig zu betonen, weil, wie unten gezeigt wird,  nicht nur die Soziolinguistik und die Sprecher von Minorisierten Sprachen selbst, sondern auch die Befürworter der Diversität eine positive Interpretation von Babel als Kritik an einem gewissen Imperialismus gefunden haben. Jedoch, ein Teil der heutigen Exegeseforschung fordert zur Vorsicht auf. Der Text kann nicht instrumentalisiert werden, um zu illustrieren, wie koloniale Reiche indigene Sprachgemeinschaften geschädigt haben oder um die vermeintliche Bedrohung von »traditionellen Werten« durch eine Form des ethischen Relativismus zu betonen.“[49] Anachronismen beiseite, lädt uns der Text dazu ein, den Willen zur Macht und den besten Humanismus, kriegerischen Imperialismus und pazifistischen Universalismus gegenüberzustellen?

Vorsicht ist auch geboten, wenn man die Geschichte von Babel als Kritik interpretiert, nicht unbedingt an kultureller Homogenisierung, sondern an der Bildung einer globalen Gemeinschaft. Nicht ohne Grund schließt David Carr seine Kommentierung der Erzählung mit den Worten ab: „Blickt man in die Zukunft, könnte man sich fragen, ob die tiefe Skepsis dieser Passage gegenüber globaler menschlicher Zusammenarbeit nicht besonders problematisch ist in einer Zeit wie dieser, in der zentrale Themen wie der Klimawandel erfordern, dass die globale Gemeinschaft eine gemeinsame Sprache findet, um tiefgreifende Herausforderungen für das fortlaufende Leben der »Kinder der Menschen« auf »der ganzen Erde« anzugehen.“[50] Angesichts der drängenden Herausforderungen, denen die Menschheit heute gegenübersteht, offenbart die Botschaft der Geschichte von Babel eine tiefgreifende Subtilität, und warnt uns vor den der Uniformität. Sie erinnert uns daran, die geteilte Geschichte und Zukunft der Menschheit nicht zu vernachlässigen, trotz ihrer Zerstreuung.

Um dem Text und dem Beitrag der Bibelforschung treu zu bleiben, ist es außerdem nicht möglich, die textuelle Beschreibung zu ignorieren, die „einer Gottheit, die darauf bedacht ist, ihre göttliche Vorrechte zu schützen, indem sie die menschliche Gemeinschaft stört.“[51] In Anbetracht dieser Erkenntnisse, welche weiteren Aspekte müssen noch berücksichtigt werden?

Die Lesarten, insbesondere die der kontextuellen Theologie, „haben bedeutende Beiträge geleistet, um vergangene Lesarten der Textpassage als Erzählung von Verbrechen und Bestrafung neu auszugleichen, indem sie eine Sensibilität sowohl für die komplexe Darstellung der Bemühungen der Menschheit als auch für die Tatsache mitbringen, dass JHWHs Antwort hier nicht als Bestrafung der Menschheit wegen ihrer Ungehorsamkeit dargestellt wird.“[52] Wenn die confusio linguarum die Ursache für die Zerstreuung der Menschen auf der Erde ist, ist sie dennoch keine Strafe aufgrund von Ungehorsam. Sie ist Teil eines Prozesses der Begrenzung und Abgrenzung, der im gesamten Text von Gen 1–11 vorkommt.

            Abschließend, was gilt es zu bedenken? Es gibt mindestens drei Aspekte, die noch zu berücksichtigen sind. Erstens, wie vom Kommentator hervorgehoben, fordert die Geschichte einen kontinuierlichen Prozess des Ausgleichens. Dies beinhaltet eine Neubewertung der Beziehungsdynamik zwischen dem Schöpfer und seiner Schöpfung sowie eine erneute Überprüfung der verschiedenen Interpretationen, die über die wörtliche Bedeutung des Textes hinausgehen. Zweitens ist im Einklang mit den Schöpfungsgeschichten des antiken Nahen und Mittleren Ostens diese Neubalancierung für die heutige Leser der Erzählung relevant. Die Geschichte von Babel ist, wie zuvor angedeutet, nicht einfach eine etiologische Erzählung, die die Ursprünge der Sprachen erklärt, sondern ein Instrument, das geschaffen wurde, um die gegenwärtige Zeit anzusprechen. Er spricht nicht von einer fernen Epoche, sondern ist so gestaltet, dass er die Zeitgenossen dazu einlädt, im Hier und Jetzt die egozentrischen Motivationen der Göttlichkeit, die potenziell zerstörerische Macht des Menschen, einschließlich seiner nobelsten Absichten, sowie die grundlegende Ambivalenz der Sprache (heilig und verflucht) neu zu bewerten. Drittens wird dieser Prozess der kontinuierlichen Neubalancierungdieser Prozess nicht durch eine einzige Sprache erreicht, sondern durch die Verschiedenartigkeit der Sprachen und die sprachliche Variation.  In diesem Sinne werden Sprachen selbst ein Mittel des Ausgleichs, einer Vermittlung, die darüber hinaus eine göttliche Vermittlung ist.  Zu guter Letzt sei angemerkt, dass göttliche Strafe, da sie nicht aufgrund von menschlichem Ungehorsam erfolgt, nicht retributiv ist. Lassen wir es dabei für den Moment bewenden.

 

d. Apg 2,9-13 – Pfingsten

 

Kommen wir nun zur Pfingstgeschichte und erinnern uns zunächst daran, warum diese beiden Episoden oft miteinander verglichen werden. Wie der Kommentator Carl Holladay betont, erscheint Pfingsten als eine Umkehrung von Babel. Dies liegt nicht nur daran, dass Lukas eine Sprache verwendet, die an Genesis 11,1-9 erinnert, sondern auch daran, dass bei Pfingsten die Sprachen nicht mehr durcheinander gebracht werden. Jeder spricht in seiner eigenen Sprache, versteht aber die anderen: „Pfingsten macht Gott rückgängig, was bei Babel getan wurde.“[53]  Craig Keener sieht darin sogar eine Perspektive, „die sicherlich mit Lukas' Thema der Mission einhergeht, die kulturelle und sprachliche Barrieren überwindet.“[54] Doch angesichts der neuesten Beiträge aus der Exegese von Genesis 11, können wir die Apostelgeschichte 2 weiterhin als eine anti-babylonische Erzählung interpretieren?

 

Pfingsten ist das Kommen des Heiligen Geistes. Doch wie sollen wir die Natur und den Zweck des Geistes im Buch der Apostelgeschichte verstehen? „In der Apostelgeschichte ist der Heilige Geist die stellvertretende Präsenz [surrogate presence] Gottes. Indem Lukas den Geist als die »ermächtigende Präsenz« innerhalb der Kirche darstellt, verstärkt er das Thema der providentielle Führung.“[55] Das Konzept der »ermächtigende Präsenz« stellt eine Verbindung her und verweist uns auf die Auswirkungen der Vorstellung von Macht in den Schöpfungserzählungen und der Schöpfungstheologie zurück. Bemerkenswerterweise interveniert Gott erneut durch die Sprachen. Wir verwenden speziell die bestimmte Pluralform. Gott interveniert durch »die Sprachen«, nicht einfach nur bestimmte Sprachen und schon gar nicht nur »die Sprachen«. Pfingsten ist die Gruppe der Apostel, die „in anderen Sprachen zu reden“ beginnt (ἤρξαντο λαλεῖν ἑτέραις γλώσσαις; Apg  2,4b). Überanalysieren wir, wenn wir die Verwendung von ἄρχομαι (anfangen) akzentuieren? Ganz sicher nicht: „Lukas' Bericht von Pfingsten wird als ein einleitendes Ereignis dargestellt.“[56] Und was können wir aus dieser Heteroglossie (Heterolalie) verstehen? Bevor die Frage angegangen wird, sei darauf hingewiesen, dass die göttliche Intervention zum Handeln drängt.  Hierbei zeigt sich eine ähnliche Entwicklung, wie sie bereits durch die hebräische Syntax verdeutlicht wurde. Genau wie die confusio linguarum zur Zerstreuung (διασπορά) der Menschen führte, bewirkt in Lukas' Darstellung der Heilige Geist, dass die Apostel und Hauptfiguren sprechen (Petrus in Apg 4,8; Stephanus in 6,5,10 und 7,55; Agabus in 11,28 und 21,11; Paulus in 13,9-11 und 20,23; Apollos in 18,25). „Der Heilige Geist spornt Menschen nicht nur zum Reden an, sondern lenkt auch ihre Bewegungen.“[57]  Außerdem wird der Geist „nicht nur auf ordnungsgemäß Repräsentanten wie die Apostel, sondern auch auf die Gläubigen ausgegossen. Diese Demokratisierung des Geistes wird in der Apostelgeschichte besonders hervorgehoben.“[58]

Im Wunder der Pfingsten, das nicht von Zungenrede (Glossolalie), sondern von der Verwendung verschiedener Sprachen (Heteroglossie) und ihrer Manifestation spricht, findet sich eine programmatische Darstellung des »Ermächtigung«. Die entscheidende Frage lautet: Liegt das »Wunder« darin, dass die Menschen sich trotz der Myriade von Sprachen gegenseitig verstehen können, was zur Relativierung der Sprachen führt, oder spielen die Sprachen selbst eine entscheidende Rolle bei der Entfaltung dieses bemerkenswerten Ereignisses?

Vor allem scheint uns das Textzeugnis zu sagen, dass das Wunder, das Ehrfurcht erzeugt und als Zeichen göttlichen Eingreifens dient, weniger mit den Feuerzungen zu tun hat, die sich teilen und auf die versammelte Gruppe an einem Ort herabkommen (Apg 2,3), sondern vielmehr mit dem Erstaunen der Menge, die von der Aufregung angezogen wird: „Als sich das Getöse erhob, strömte die Menge zusammen und war ganz bestürzt; denn jeder hörte sie in seiner Sprache reden.“ (Apg 2,6). Was für die Gruppe eine Heteroglossie darstellte (das Sprechen in einer verschiedenen Sprache), wurde für die Menschmenge zu ihrem Staunen darüber, sie in ihrer eigenen Sprache reden zu hören (ἤκουον εἷς ἕκαστος τῇ ἰδίᾳ διαλέκτῳ λαλούντων αὐτῶν; Acts 2:6b). Basierend auf dem Text werde ich hier den Begriff »Idiolekt« verwenden. Die Sprachdidaktik hat dieses Adjektiv ἴδιος und das Vokabular aus Apg 2,1-13 nicht vergessen. Von der Proto-Indoeuropäisch Wurzel *swé für „selbst“ findet man der Stamm ἴδιος (eigen, selbst) in ἰδίω–μα „Eigentümlichkeit; Idiom (Eigentümlichkeit einer Sprache)“[59] oder auch ἰδιώ–της „eine einfache Einzelperson, im Gegensatz zum öffentlichen Funktionieren; daher Idiot (der zu eigenartig. ist)“[60] und schließlich ἰδιωτισμός "1. Sprache, die einem Individuum eigen ist; 2. Idiotismus (eine spezielle Wendung in einer Sprache).“[61]

 

Auf gewisse Weise würde dieser Stamm ausreichen, um das Ziel dieser Arbeit zusammenzufassen: sich nicht primär auf die Sprache, sondern auf Idiome zu konzentrieren – sowohl auf das, was sich der Übersetzung widersetzt, als auch auf das, was der Übersetzer aus der Ausgangssprache beibehalten möchte. Ich möchte die Hypothese aufstellen, dass Pfingsten nicht das Auslöschen der Sprachen zugunsten der Botschaft bedeutet, sondern dass die Botschaft selbst in der Achtung der besonderen Qualitäten jeder Sprache liegt. Unser Standpunkt ist, dass Pfingsten nicht das Wegputzen der Sprachen zugunsten der Botschaft ist, sondern dass die Botschaft selbst unter anderem in der Achtung vor der Einzigartigkeit jeder Sprache liegt. Eine Verschiebung der Perspektive findet zwischen den Versen 4 und 6 statt,  weg vom Besitzstand mit dem Possessivpronomen (loqui eorum linguis), hin zum Reflexiven (lingua sua illos loquentes) und zur Alterität (die Vulgata übersetzt es treffend mit „loqui aliis linguis“ ). Das Wunder besteht darin, dass jeder in seinem Dialekt gehört hat, in seinem eigenen Sprechen, in dem, was es am individuellsten macht. Soziolinguistisch betrachtet, ist Pfingsten gewissermaßen der Sieg der Hyperlokalisten. Unter dem Einfluss des Geistes spricht die Gruppe in jenen Idiomen, die Dante als „[die Sprechweise], mit der kleine Kinder durch den Einfluss ihrer Umgebung vertraut werden, sobald sie beginnen, Geräusche zu unterscheiden,' definiert.“[62] Sonst doch nicht so bemerkenswert, fremde Sprachen in einer kosmopolitischen Stadt zu hören, insbesondere während der Pilgersaison. Sicherlich ist es nichts Ungewöhnliches, fremde Sprachen in einer vielfältigen Umgebung zu hören.

Im Text gibt es natürlich eine Spannung. Die Zuschauer, die herbeigeeilt sind, werden sowohl als Bewohner von Jerusalem beschrieben (εἰς Ἰερουσαλὴμ κατοικοῦντες; Apg 2,5), eine Präzisierung, die darauf hinzudeuten scheint, dass die Pilger [63] als auch als Menschen „aus allen Völkern unter dem Himmel“ stammend (ἀπὸ παντὸς ἔθνους τῶν ὑπὸ τὸν οὐρανόν; Apg 2,5). Insgesamt beschreibt der Abschnitt eine doppelte Bewegung,  eine Bewegung zur Mitte hin und eine Bewegung von der Mitte weg, die jeweils der Versammlung und der Mission entsprechen.

Wie verhält es sich genau im Kontext des lukanischen Werkes, aber auch im historischen Kontext, in dem das Kerygma sich manifestiert hat? Das lukanische Werk, das den Kanonen der antiken Geschichtsschreibung treu bleibt, ist nicht unempfindlich für die sprachliche Frage. Das Prinzip der Wahrscheinlichkeit, dem Thukydides[64] folgend, führt Lukas dazu, einem gewissen sprachlichen Realismus zu folgen. Zum Beispiel spricht Petrus in seiner Rede an Pfingsten (Apg 2,14-41) oder in seinem Predigt im Tempel in Jerusalem (Apg 3,17-26), „in einem vom Semitischen beeinflussten Griechisch, das dem der Septuaginta nahekommt. Wenn jedoch Lukas Paulus darstellt, der mitten auf dem Areopag in Athen steht, schreibt er ihm eine Rede zu, die durch attische Klassizität geprägt ist, voll von Optativsätzen und rhetorischen Figuren, und entwickelt Argumente, die stark von stoischen Denkern beeinflusst sind.“[65] Das Erstaunen der versammelten Menschen beruht vollständig auf dem dialektalen und soziolinguistischen Faktor, und dies wird ausdrücklich erwähnt: „Sie waren fassungslos vor Staunen und sagten: »Sind das nicht alles Galiläer, die hier reden?« (Apg 2,6-7). Die Frage der Diglossie[66]  wird auch von Keener angesprochen: „Viel problematischer ist, dass Lukas keine Andeutung macht, dass die Diglossie berücksichtigt wurde oder dass man erwarten sollte, dass die Jünger nur Hebräisch zu diesem oder einem anderen Zeitpunkt gesprochen haben.“[67]

Hinsichtlich des Pfingstereignisses erinnert Carl Holladay daran, dass das galiläische Aramäisch im Talmud verspottet wird, indem die Geschichte eines Galiläers erzählt wird, “der auf den Markt ging und einen Amar kaufen wollte. Der Händler antwortete: »Du dummer Galiläer, möchtest du auf einem Esel (ḥamār) reiten? Oder etwas zu trinken (Wein = ḥamar)? Oder etwas zum Anziehen (Wolle = ʿamar)? Oder etwas für ein Opfer (ein Lamm = ʾimmar)?« “[68] Die mögliche Diglossie, die der historische Jesus erlebt oder erfahren haben könnte, ist ein weiterer wichtiger Aspekt, der berücksichtigt werden sollte[69]. Von großer Bedeutung ist, dass die Frage nach der von Jesus gesprochenen Sprache unmittelbar mit der Frage nach seinem möglichen Analphabetismus[70] zusammenhängt und die Beziehung zwischen Schreiben und Kultur betrifft. Auch heute noch wird geschätzt, dass 70% der Kulturen weltweit mündlich[71] überliefert sind und zum immateriellen Kulturerbe – kurz IKE –[72] gehören, wie es von der UNESCO definiert wird.

Schließlich ist ein Aspekt der Sprache das Gefühl, einer Kultur anzugehören, selbst unter Nicht-Sprechern.  In seinem Buch Jesus von Nazareth: Jude aus Galiläa, Retter der Welt betont Jens Schröter genau dies: “Das in makkabäischer Zeit entstandene Bewusstsein einer eigenen jüdischen Identität, orientiert an Bund und Gesetz, ausgerichtet am Jerusalemer Tempel, blieb jedoch lebendig, ebenso wie die in dieser Zeit entstehenden jüdischen Traditionen, die sich in Schriften apokalyptischen und weisheitlichen Charakters nie- dergeschlagen haben.“[73] Diese Facette des Individuellen oder der kulturellen Eigenheit, die sich besonders intim in der Sprache zeigt, erscheint uns nicht unähnlich dem, was in der Pfingsterzählung berichtet wird.

 

Pfingsten und Ekklesiologie

 

Wenn Pfingsten die grundlegende Realität der Kirche ist, dann wird diese Realität durch Sprachpluralismus und sprachliche Variation erfahren und gelebt. Amos Yong, ein Theologe und Missiologe aus der Pfingstbewegung, drückt diese Idee wie folgt aus: „Tatsächlich wurden die kirchlichen Gläubigen Gottes durch ihre gemeinsame Erfahrung des Geistes inmitten der Vielfalt und Verschiedenheit ihrer jeweiligen Zungen und Sprachen am Pfingsttag gegründet (Apg 2). Derselbe Geist, der in der frühen Kirche für interkulturelles Verständnis und Koinonia gesorgt hat, ist auch derjenige, in dem die ganze Menschheit lebt, sich bewegt und existiert.(Apg 17,28).“[74] Daher ist es entscheidend, die materielle Dimension, die Faktizität, und die grundlegende Erfahrung des Geistes nicht zu übersehen, indem man Sprachen auf bloße Werkzeuge für theologische Ausarbeitungen reduziert. „ Aus dieser kirchlichen Realität, die Sprachen, Kulturen, Räume und Zeiten umfasst, entsteht die pneumatologische Vorstellungskraft – die Fähigkeit, den Geist wahrzunehmen, die Sprachen des Geistes zu sprechen, die Realität des Geistes zu erfahren und sich spirituell mit der Realität zu verbinden - die dadurch intrinsisch eins ist, nur durch ihre Pluralität.“[75] Was die Sprachen als ihr Eigenes, ja sogar Einzigartiges bewahren, stellt kein Hindernis für die Bildung einer Gemeinschaft dar, sondern vielmehr eine Bedingung für ein echtes Teilen. Wahre Gemeinschaft erfordert, dass jeder Einzelne das beiträgt, was ihm eigen und einzartig ist. Darüber hinaus ist κοινωνία kein gemeinschaftliches Eigentum, wie in einem ehelichen Güterstand, bei dem nur das, was innerhalb der Gemeinschaft entsteht, geteilt wird. Stattdessen handelt es sich um eine universelle Gemeinschaft, in der individuelle Güter zum Gemeinwohl angeboten werden. Das, was mir gehört, soll zum Besitz des anderen werden. Dies bedeutet nicht, dass jeder das, was ihm eigen ist, außerhalb der Gemeinschaft hinterlassen hat. Amos Yong hält hier beide Aspekte im Blick: Einerseits eine kirchliche Realität, die Sprachen und Kulturen durchdringt, andererseits eine Realität, die trotz ihrer Verschiedenartigkeit  im Wesentlichen »in und durch ihre Verschiedenartigkeit« vereint ist. Somit wird die Verschiedenartigkeit hier als ein Ausdruck des Einen dargestellt.

 

Schließlich entspringt, ermöglicht Apg 2,11-13 eine wohlgesinnte Betrachtung der minorisierten Sprachen? Es ist erwähnenswert, dass die Gruppe von 120 Personen leicht nur mit drei oder vier Sprachen hätte kommunizieren können: Koine-Griechisch, Aramäisch, Hebräisch und vielleicht Latein. Daher handelte es sich nicht genau um eine monolinguale Gesellschaft. Dialektale Variationen und Diglossie bereicherten zusätzlich die sprachliche Landschaft. Während einige Interpretationen versucht haben, antiimperialistische Untertöne ähnlich der Babelerzählung[76] zu finden, widersteht der Text einer solchen Interpretation. Zweifellos vermittelt die Pasage eine theologische Botschaft und läutet eine neue Ära ein - die Ära der Kirche unter der Führung des Geistes. Trotzdem ergibt sich Pentecost überzeugend als ein anti-babelisches Ereignis. Die Sprachen nehmen erneut eine zentrale Rolle in einem göttlichen Prozess ein, der von Gott initiiert wurde, um in der Geschichte durch die Menschheit zu wirken.  Diese historische Dimension, die in Lukas' Erzählprojekt angelegt ist, widmet sich aufmerksam den Sprachen und Sprachvariationen, nicht als politische Agenda, sondern als Mittel, um die Wahrscheinlichkeit zu erreichen, die die Kanons der antiken Historiografie verlangen. Durch die Kraft des Geistes äußerte sich die Gruppe von 120 in verschiedenen Dialekten und Sprachen und verstand sich dennoch gegenseitig.

Wie zuvor erwähnt: „Sie mögen zwar verschiedene Idiome sprechen, aber ihre Sprache ist nicht mehr verworren oder verwirrt.“[77]  Die gegenseitige Verständigung ist eine Gabe des Geistes. Der Geist verwandelt Sprachen in Dialekte und ermöglicht so das interdialektale Verstehen. Und wie wenn Gott gibt, überfließen seine Gaben; diese gegenseitige Verständigung erreicht ihre innigste Vollkommenheit und vermittelt jedem das Gefühl, sein eigenes Idiom zu hören. Ohne Zweifel bleibt die Frage offen, ob Ermächtigung in Apg 2,4-11 als Auslöschung oder Überwindung kultureller Grenzen verstanden werden sollte, um das Wort Gottes zu verkünden, oder ob es eine Aufwertung dieser Grenzen darstellt. Die Erzählung von Pfingsten lehrt jedoch vor allem, dass der Geist zur Verkündigung des Wortes führt, nicht trotz der unverwechselbaren Natur der Sprachen, sondern indem er ihre Eigenheit und Einzigartigkeit nicht verringert. Die Kirche, unter der Impuls des Geistes, gründet sich nicht auf die Abschaffung der Verschiedenartigkeit oder einen proklamierten Respekt der Vielfalt, sondern indem sie Verschiedenartigkeit als verständlich und vertraut vermittelt.

 

B. Soziolinguistische Lesarten von Babel

 

Wir haben festgestellt, dass eine historisch-kritische Exegese zwar nicht explizit für minorisierte Sprachen plädiert, aber bestimmte Elemente innerhalb der Texte selbst wie ihre Betonung auf »die Sprachen« anstelle einer einzigen Sprache, ihre Behandlung der Themen Vielfalt und Variation, sowie die Betonung der relationalen Natur von göttlicher Schöpfung und Handeln als Eingriff in die Gegenwart, diese vier Elemente würden, wenn nötig, eine kontextuelle Interpretation unterstützen,  diese vier Elemente würden, wenn nötig, eine kontextuelle Interpretation unterstützen, die die Verschiedenartigkeit anerkennt und wertschätzt. Die Betrachtung der Schriften aus linguistischer Sicht, wie von Patrick Sauzet erforscht, bietet eine andere Perspektive. Sauzets Erkenntnisse bieten eine alternative Linse, durch die die Texte interpretiert werden können, unter Berücksichtigung ihrer linguistischen Aspekte, der Bedeutung von Vielfalt und Variation sowie der relationalen Dynamik göttlichen Eingreifens. Lassen Sie uns nun einige Beispiele erkunden, wie Sauzets Lesart Licht auf diese Angelegenheiten wirft.

 

a. Patrick Sauzet und die „geopferte Sprache“[78]

 

Patrick Sauzets Interpretation bietet eine frische Perspektive auf die diskutierte Thematik und betrachtet sie aus zwei verschiedenen Blickwinkeln: dem Unilingualismus und dem Opferaspekt. Diese beiden Aspekte beleuchten die zugrunde liegenden Dynamiken von Macht und Gewalt, insbesondere in Bezug auf die narrative Verbindung der Sintflut (Gen 8,31-9,7) und Babel (Gen 11). Wie zuvor mit Thomas Römer erwähnt, stellt sich vor Babel nicht die Frage nach dem Status der Sprache, da die Sprache einzigartig und gemeinsam für Tiere, Menschen und Gott ist. Im Zusammenhang mit Pfingsten haben wir die Begriffe Idiolekt und Heteroglossie eingeführt. Patrick Sauzet lädt uns zu einer ähnlichen konzeptuellen Betrachtung ein: „Der Mythos von Babel wird meiner Meinung nach oft irreführend interpretiert. Die Unordnung ist wird in der Verwirrung der Sprachen gesehen. In Wirklichkeit ist es jedoch der Unilingualismus, der durch den unermüdlichen Versuch, einen immer höheren Turm zu bauen (eine treffende Metapher für den mimetischen Wettbewerb), in einer schuldhaften Exzess endet und göttliche Strafe heraufbeschwört. Die Verwirrung der Sprachen und die Zerstreuung der Menschen  bedeuten eine Rückkehr zu einer friedlicheren und differenzierteren Ordnung. Wenn Babel Babylon darstellt, könnte der Mythos das inhärente Risiko der Desintegration in der Gewalt eines riesigen Reiches symbolisieren, wo mimetische Verbote allmählich nachlassen, einschließlich sprachlicher Beschränkungen. Nur kleine differenzierte Gemeinschaften sind vor solchen Krisen geschützt. »Klein ist friedlich«.“[79] Dies führt erneut die Frage des Imperialismus ein. Patrick Sauzet kommt zu dem Schluss, wie wir zuvor diskutierten, dass „die linguistische Verschiedenartigkeit, die verschiedene Sprachen und dialektale Variationen umfasst, keine Unordnung ist.“[80] Darüber hinaus bietet der okzitanische Linguist wertvolle Einblicke in das Zusammenspiel von Verschiedenartigkeit und geografischer Zerstreuung und bemerkt: „Homogenität findet sich nur innerhalb der kleinsten Gruppen. Die dialektale Differenzierung gewährleistet sprachliche Ordnung, indem sie die gemeinschaftliche Identität jeder Gruppe festigt.“[81] Diese soziolinguistischen Phänomene bieten eine Perspektive, um die Dynamik der Differenzierung zu verstehen. Patrick Sauzet erkennt außerdem eine Wahrnehmung, wonach „die Sprache möglicherweise nur in ihrer extremsten Spezifität legitimiert wird.“[82] Es sind die charakteristischsten Phänomene einer Sprache, die sie am deutlichsten erkennbar machen und sowohl für Nicht-Sprecher als auch für Sprecher als authentisch erscheinen lassen. Außerhalb der Linguistik erinnert dieses Phänomen an eine Tendenz der Gesellschaft, beispielsweise im religiösen Bereich, Orthodoxie und Radikalität zu vermischen, wobei die extremsten Positionen oder radikalsten Kreise für den Laien als dogmatischer erscheinen.

Doch Verschiedenartigkeit und Differenzierung negieren die Norm nicht, wie Patrick Sauzets dynamische Definition von Sprache verdeutlicht: „Die Sprache ist einerseits die internalisierte Kompetenz der Sprecher, was treffender als Grammatik.Andererseits ist sie eine soziale Institution, die sie zu einem kollektiven Symbol macht und ein Instrument für Regulierungen darstellt. Die Norm, unabhängig von ihrem Grad an Starrheit, steht im Zentrum der etablierten Sprache. Sie verkörpert die Sprache, definiert sie jedoch nicht vollständig. Als Maßstab vereint die Norm sowohl konforme als auch abweichende Praktiken und schafft einen Raum, in dem sie nebeneinander existieren. Eine etablierte Sprache ist in gewisser Weise der Raum für die Annahme einer Norm, in dem Konformitäten und Abweichungen versammelt sind. Als Institution ist die Sprache eng mit dem gesamten Institutionengefüge einer Gesellschaft verbunden, sie ist ein Mittel und eine Referenz für verschiedene gesellschaftliche Aspekte. Der Verdacht eines Konflikts innerhalb der sprachlichen Ordnung kann daher als Erweiterung eines allgemeineren Verdachts auf das Vorhandensein von Gewalt unter jeder Institution betrachtet werden.“[83] Die Verteilung der Sprachen und damit verbunden die Variation und die Phänomene der Differenzierung, die wir gerade erwähnt haben, haben also auch mit der Bewältigung von Gewalt zu tun.

 

Der Soziolinguist führt das zeitgenössische Konzept der Nation in Verbindung mit dem Durcheinander von Babel ein. Für mehr Klarheit hatten wir den Begriff »Völker« dem Begriff »Nationen« vorgezogen, um das hebräische גוים oder das griechische ἔθνη in Gen 10 zu übersetzen. Vielleicht können wir das Konzept hier durch die Verwendung des politischen Begriffs des Nationalstaates näher erläutern: „Die Nation ist in gewisser Weise ein Babel, ein einsprachiges Babel vor der göttlichen Verwirrung.“[84] In seiner erneuten soziolinguistischen Exegese verdeutlicht Patrick Sauzet somit den Zusammenhang zwischen Unilinguismus und einer Vorstellung von Nation, die möglicherweise die eines Nationalstaates vorwegnimmt, die beide in einer Anbetung dessen vereint sind, was der Linguist als »Indistinktion« bezeichnet. Die Indistinktion erscheint als ein angemessenes Konzept im Kontext einer priesterlichen Theologie der Schöpfung, die mit Abgrenzungen verbunden ist. »Dis-tingere«, was „trennen“ oder „unterscheiden“ bedeutet, verdeutlicht, dass das göttliche Eingreifen (confusio oder σύγχυσις) in Babel dem Zweck der Distinktion dient, anstatt Verwirrung zu stiften. Es bringt Klarheit durch Differenzierung. Die göttliche σύγχυσις (confusio) dient der distinctio.

 

Das göttliche Stören würde sich gegen eine Sakralisierung des Politischen und insbesondere gegen die Heiligung der Sprache als staatliche Monopolsprache und politisches Instrument einsetzen. Sauzet argumentiert, dass die Trennung zwischen dem Religiösen und dem Staat auf zwei gegensätzliche Weisen interpretiert werden kann: „Die kann eine Relativierung, eine Desakralisierung des Politischen bedeuten, wobei der Bereich des Kaisers von dem Gottes getrennt wird. Sie kann hingegen die absolute und transzendente Natur der Religion auf den Staat und die Nation übertragen, die nun in die private Sphäre verwiesen wird. Der Säkularismus kann je nach Auslegung entweder einen absoluten Staat ermöglichen oder einen bescheideneren Staat begleiten.“[85] Während die Tafel der Völker eine Zerstreuung der Menschheit als eine bloße Folge der confusio linguarum darstellt, fordert Babel dazu auf, die kulturellen und politischen Dimensionen zu stören. „Die Verschiebung der sprachlichen und damit kulturellen Ordnung im Vergleich zur politischen Ordnung trägt zur Desakralisierung des Politischen bei. Die Maßlosigkeit von Babel (des turmbauenden Unilinguismus)  liegt in seiner Einfachheit: ein Staat, eine Nation, eine Sprache.“[86]. Der totalitäre Anspruch von Babel erinnert erneut an den Begriff des Imperialismus, den die Exegese, insbesondere von David Carr, jedoch gezeigt hat, wie schwer es ist, ihn in diesen Textepassagen[87] zu entdecken. Abgelehnt zugunsten der historisch-kritischen Exegese, taucht eine antiimperialistische Lesart von Babel wieder auf, zusammen mit dem Konzept des Absoluten. Während Gott sich selbst begrenzt, beanspruchen menschliche Institutionen Absolutheit für sich, indem sie sprachliche und kulturelle Unterscheidungen ablehnen. Darüber hinaus erscheint die Verbindung zwischen Babel und Imperialismus auch im Zusammenhang mit einer theologischen Lesart der Erzählung. Es wurde ausgiebig von John Dominic Crossan in God and Empire (1989) analysiert.

 

            b. Der Kaiser und Gott (Mk 12:17; Mt 22:21; Lk 20:25)

 

Wir haben ein Argument zugunsten des Begriffs des Imperialismus aus John Dominic Crossans historischer Analyse berücksichtigt. Zunächst sei daran erinnert, dass David Carr auf die lange Tradition der Babel-Interpretationen hinweist, die eine Kritik am Imperium zum Ausdruck bringen[88]. Crossan erinnert uns daran, dass die Lokution »Sohn Gottes« auf eine historische Realität verweist. In Jesus' Welt, die am Rande des Römischen Reiches lag, bezog sich die Lokution »Sohn Gottes« unzweifelhaft auf den römischen Kaiser. Crossan betont diesen Punkt in seinem bedeutenden Werk mit dem Titel God and Empire: Jesus Against Rome, Then and Now (2007): „Im ersten Jahrhundert gab es einen Menschen, der »Göttlich«, »Sohn Gottes«, »Gott« und »Gott von Gott« genannt wurde, dessen Titel »Herr«, »Erlöser«, »Befreier« und »Retter der Welt« lauteten. [...] Und die meisten Christen denken wahrscheinlich, dass diese Titel ursprünglich für Christus geschaffen und einzigartig auf ihn angewandt wurden. Doch bevor Jesus überhaupt existierte, gehörten all diese Begriffe Caesar Augustus.“[89] Crossans Argument dreht sich darum, dass die frühen Christen diese Titel Jesus zuschrieben, um sie Augustus zu verweigern: „Sie nahmen die Identität des römischen Kaisers und gaben sie einem jüdischen Bauern. Entweder war das eine eigenartige und sehr niedrige Verhöhnung oder es handelte sich um das, was die Römer als majestas bezeichneten und wir als Hochverrat bezeichnen.“[90]

Crossans Darlegung in God & Empire (2007) setzt sich in seinem aktuellen Werk Render unto Caesar (2022) fort, in dem er die synoptische Episode der Frage nach der kaiserlichen Steuer untersucht (Mk 12,17; Mt 22,21; Lk 20,25). Die Behauptung »Dem Kaiser geben, was des Kaisers ist, und Gott geben, was Gottes ist« bedeutet, dass der Kaiser nicht Gott ist. „Der Kaiser und Gott werden nicht identifiziert.“[91] Mit anderen Worten, Jesus führt Unterscheidung wieder ein. Oder auch „Wenn der Kaiser und Gott weder identifiziert noch gleichgesetzt werden, wie werden sie dann in der realen Welt, in der wir alle leben, miteinander in Verbindung gebracht, angepasst, adaptiert, assimiliert oder akkulturiert?”[92] Crossan glaubt, dass diese fünf Verben „den klassischen Rutschhang hin zur vollen Akkulturation repräsentieren“[93], die er wie folgt definiert: „Eine tiefe Integration in die umgebende Kultur, so dass man darin reibungslos, unbewusst und ohne kritische Gedanken schwimmt - wie Fische.“[94] Die Worte des Religionshistorikers und ehemaligen Priesters sind in dieser Angelegenheit besonders scharf: „Akkulturation ist der Sog der Normalität, der Reiz der Anpassung, der Fluch des Karrierismus, der unter bestimmten Führungspersonen, unter bestimmten Umständen, zu bestimmten Zeiten und an bestimmten Orten einige von uns in Monster verwandeln, viele von uns zu Lügnern und die meisten von uns zu Feiglingen macht.“[95]

Hier können wir die gesamte historische Argumentation von Crossan, insbesondere hinsichtlich der Romanisierung von Gallien, nicht wiedergeben. Wir konzentrieren uns auf das, was der gläubige Historiker über die Behandlung des Themas der Akkulturation im Neuen Testament sagt, das er als „die Frage nach göttlicher Herrschaft und menschlicher Akkulturation beschreibt.“[96] Der Sog (the drag), der Reiz (the lure) und der Fluch (the curse) sind mit Formen der Ununterscheidbarkeit (Normalität, Anpassung) oder der Zeitlichkeit (die Routine oder übermäßiger beruflicher Ehrgeiz) verbunden, die zwangsläufig zu Verhärtung und Gewöhnung führen und besser als die Akzeptanz des Unakzeptablen beschrieben werden können. Die Akkulturation bedeutet, in der Sprache des Herrschers, in der Sprache der Welt, zu sprechen, zu leben und zu denken und nicht in der Sprache des Herrn.

Laut Crossan behandelt das Neue Testament die Frage der Akkulturation auf zwei widersprüchliche Arten: 1) durch die Dämonisierung der Akkulturation in der Offenbarung des Johannes und 2) durch ihre Kanonisierung in dem Diptychon von Lukas und Apostelgeschichte. „Angesichts dieser Dichotomie“[97],  fragt sich der Historiker, ob es möglich ist, „ Akkulturation radikal zu kritisieren als den Weg [the way forward] für den christlichen Glauben - und die menschliche Evolution.“[98] Diese Überlegung bezüglich der Möglichkeit, einer unerschütterlichen und entschlossenen Herausforderung der Akkulturation entgegenzutreten, findet Widerhall in der Untersuchung des historischen Jesus. Crossan kontrastiert geschickt einen Frieden, der durch Zwang und Unterwanderung erreicht wird, wie er vom Kaiser verkörpert wird, mit einem Frieden, der in Gerechtigkeit verwurzelt ist, dem Sinnbild für die göttliche Ordnung Gottes. Diese Nachbetrachtung  steht im Einklang mit einer Hypothese von Adriana Destro und Mauro Pesce über den historischen Jesus, die besagt, dass Jesus „die Unmittelbarkeit des Gerichts Gottes verkündete,[eine transformative Ereignis], das die vorherrschenden unausgeglichenen Interaktionen umstürzen würde, die paradoxerweise als etablierte soziale Ordnung erschienen.“[99]

Aber auch hier stellt sich die Frage, was können wir von Crossan, Carr oder Destro-Pesce übernehmen? Können wir von der Sprache des Kaisers sprechen, um die Umkehrung von Sprachen zu beschreiben, die zu Instrumenten der Macht reduziert sind und unfähig sind, die Schöpfung in ihren relationalen Dimensionen zu erfassen? Unterscheidet sich diese Umkehrung der Sprache von der grundlegenden Ambivalenz der Sprache oder ist sie nur ein Aspekt davon?

 

c. Kain und Abel

 

            Nachdem wir die Vorstellung von Macht untersucht haben, wenden wir uns nun dem Thema Gewalt und ihren Ursprüngen zu. In unserer vorherigen Erkundung haben wir uns auf die göttliche Zugeständnis nach der Flut konzentriert, die als Reaktion auf die innewohnende Gewalt der Menschen gewährt wurde. Diese Zugeständnis erlaubte es den Menschen, Fleisch zu konsumieren. Es ist nun an der Zeit, uns der anfänglichen und eindringlichen Manifestation von Gewalt in der Genesis-Erzählung zu widmen, die wir bislang bewusst ausgelassen haben: die beunruhigende Geschichte von Kain und Abel (Gen 4,1-16). Dieses »Gründungspaar«[100] stellt eine der impliziten Figuren der Diglossie dar. Mit der biblischen Erzählung als Hintergrund wendet Patrick Sauzet das Girardische Modell auf sprachliche Dynamiken an und stellt weiterhin Fragen zur opfernden Dimension. John Dominic Crossan argumentiert seinerseits, dass nach der biblischen Tradition „die Zivilisation unmittelbar mit einem Brudermord begann“[101], genauer gesagt „dem Mord eines Hirten durch einen Bauern auf dessen eigenem Hof.“[102] Und da Kain der Gründer der ersten Stadt ist (Gen 4,17), „wird Kain, der Einführer von Gewalt, außerdem als Vater oder Großvater der sesshaften Kultur oder ‘Zivilisation’ identifiziert. Diese Geschichte entspricht gut dem Verständnis, dass der landwirtschaftliche Überschuss letztendlich zu einer Zunahme von Individualismus, Aggression, Kriegen und Gier geführt hat.“[103] Die Obsoleszenz von einem (dem Hirten) führt natürlich zu seiner Beseitigung, was ein häufig angeführtes Argument gegen minorisierte Sprachen ist. Sprachen, wie Abel, gelten als sterblich und ihrem Verbleichen vorbestimmt. Doch anstatt von Obsoleszenz scheint die Geschichte eher die Redundanz zu betonen. Dies wird deutlich, wenn man das Beispiel eines weiteren grundlegenden Duos betrachtet, nämlich das französisch-occitanische Paar: „Das Gründungspaar der beiden Sprachen, wobei die Herrschaft der einen aus der Eliminierung der anderen aufgrund einer grundlegenden Äquivalenz hervorgeht, beleuchtet die Wahrnehmung der okzitanischen Situation als eine verborgene Auseinandersetzung. Damit es zu einem tatsächlichen Sprachkonflikt kommen kann, müssten beide Sprachen den gleichen Stellenwert und Status beanspruchen können. Doch das ist von vornherein ausgeschlossen: Wenn die sprachliche Würde des Okzitanischen beansprucht wird, wird dadurch das Institutionelle des Französischen in Frage gestellt.“[104] Der Aufstieg einer Sprache erfordert, wie die Geschichte besagt, die Unterdrückung und Verminderung der anderen.

Patrick Sauzet  offenbart  nicht nur die wiederkehrende „Paarung der beiden Sprachen“[105], sondern auch das mit dieser Paarung verbundene Spiegel-Spiel. Gemäß dem grundlegenden Thema der „zufälligen Wahl“[106] hätte eine Sprache das Schicksal der anderen erleiden können. Wir sind immer das andere des anderen, aber im Fall des Französischen und des Okzitanischen gibt es eine Autonomisierung des einen durch die Abschottung des anderen. Die Wirkung mag vielleicht weniger radikal sein als im Fall des Paares Abel-Kain, aber beide Modelle teilen eine grundlegende Dimension: „Die Zurückdrängung des Okzitanischen ist kein marginales Ergebnis des Aufkommens des Französischen, sondern liegt in seinem Ursprung.“[107]

Ein bemerkenswerter Aspekt liegt in der Verzerrung der Realität, begleitet von einer bewussten Strategie der Ausgrenzung. In dieser Strategie stellt sich die dominierende Sprache als bedroht[108] dar, während die dominierte Sprache vorzeitig für tot erklärt wird, obwohl sie in Wirklichkeit lebendig existiert. Das Verbrechen gewährleistet eine Neuschreibung der Realität: Das Verschwinden des Anderen löst das Problem der Alterität auf. Darüber hinaus macht die Verleugnung der Alterität das physische Verschwinden des Anderen sinnlos, da sie bereits in der hegemonialen Welt keine Existenz haben. Angesichts dieser Verzerrung der Realität greift Gott ein, um das Reale wiederherzustellen, indem er fragt: „Wo ist Abel, dein Bruder?“ (Gen 4,9).

Die Realität ist, dass diese brüderliche Gewalt, im engen Sinne, nicht auf diese familiäre Dimension beschränkt bleibt. Sie hallt universell wider und betrifft nicht nur die beteiligten Personen, sondern auch das eigentliche Gewebe des Daseins. Weil es sich um eine Gewalt zwischen Menschen handelt, stellt sie „eine Verletzung gegen Gott dar und eine Art, wie Menschen den Boden verunreinigen, von dem sie abhängig sind[109]. Eine ökologische Dimension überlagert  die Probleme im Zusammenhang mit der Gewalt-Macht-Dynamik, zu der sich die Probleme der Dominanz[110] hinzugesellen. Es ist jedoch wichtig anzuerkennen, dass nicht speziell die Impulsivität oder der Zorn von Kain zur Entweihung der Erde führen, sondern vielmehr der Verlust der Beziehung und des Dialogs mit Gott[111]. Auch wenn sich die Erzählung ausdehnt, um die Weite des Kosmos oder die potenzielle Zerstörung der Erde zu umfassen, bleibt die relationale Dimension im Herzen dieser Erzählung bestehen.

In der Geschichte von Kain und Abel ist die Verschmutzung das bedauerliche Ergebnis eines Streits, der aus ihren jeweiligen Opfern und deren Anerkennung durch Gott entstanden ist - ein Akt, der genau das gegenteilige Ziel verfolgen sollte. Opfer im Sinne des Alten Testaments implizieren, dass das Opfer heilig gemacht wird (sacrum facere)[112]. Die opfernde Dimension, besonders die Idee, dass eines der beiden Mitglieder des Gründungspaares sich opfern soll, wird von Patrick Sauzet in der zentralisierenden Rhetorik von Abt Grégoire hervorgehoben: „Grégoire fordert die Menschen aus dem Süden Frankreichs, die Okzitanier, auf, ihre Sprache für die nationale (linguistische) Einheit zu opfern (»Unsere Brüder aus dem Süden [...] haben den politischen Föderalismus abgelehnt und bekämpft; sie werden mit derselben Energie den Föderalismus der Sprachen bekämpfen.«“[113] Im Gegensatz zur opfernden Logik des Alten Testaments folgt hier „die Weigerung, oft gewaltsam, den Begriff »Okzitanisch«, die eindeutige Benennung dieser Sprache, zu verwenden, der opfernden Logik. Das Opfer ist namenlos, tabu.“[114] Patrick Sauzet kommt zu dem Schluss: „Die Hypothese ist daher, dass sich die französische Sprache auch auf Opfer gründet. Die Vernichtung anderer Sprachen ist nicht eine Folge des Erfolgs des Französischen, sondern seine Bedingung.“[115] Diese sakrifizielle Dimension muss jedoch nuanciert werden, sei es durch die Beibehaltung der alttestamentarischen sakrifiziellen Logik oder durch das Verständnis des Opfers als die Selbstauferlegung einer Entbehrung. Hier ist der Geopferte das andere Mitglied des Gründungspaares. Es gibt kein Aufgeben oder Bemühen um sich selbst, sondern die Hinrichtung des Doppelten. Die Alterität wird nicht ertragen; sie wird beseitigt. Schließlich und vor allem wird die biblische opfernde Logik nicht respektiert. Unter den Opfern, die im Alten Testament erwähnt werden, sollten wir zwei Arten von Opfern hervorheben, die besonders bedeutsam für unseren Kontext erscheinen: das Sündopfer (Lev 4,1-5,13) und das Sühneopfer (Lev 5,14-26). Hier finden wir die priesterschriftliche Tradition und ihre Sorge um die relationale Dimension wieder: Die Namen dieser beiden Opfer bezeichnen tatsächlich „die Verletzung der Beziehung, die sie dienen, wiederherzustellen.“[116]

Der Begriff der Anerkennung tritt mit ihnen auf. Einerseits „bedeuten diese Opfer eine Anerkennung der begangenen Verfehlung.“[117]Andererseits werden „absichtlich begangene Sünden als Herausforderung des Herrn ausgeschlossen“[118] (Num 15,30-31). Die Ausführung des Doppelten erfüllt nicht diese alttestamentlichen Kriterien. Hier dient theologische Exegese als wirksames Mittel, um eindeutig sakrifizielle Rechtfertigungen in Frage zu stellen und die rechtmäßige Anerkennung des Opfers als solches aktiv zu fördern.

 

d. Die Sprache der Armen

 

Die Ablehnung der zakrifiziellen Dimension ermöglicht die Wiederherstellung der Realität des Bösen. Die sprachliche Dominanz trägt zur sozialen und wirtschaftlichen Dominanz bei. Wenn man nach Jacques Dupuis sagt: „In [Christus] wird der Widerspruch zwischen Gott und den Armen, die unter der Unterdrückung der Reichen leiden, offenbart und verkörpert“[119], haben Sprecher von minorisierten Sprachen manchmal den Eindruck, dass eine »Sprache der Armen« besser geeignet ist, um die Kenose[120] des Wortes zu feiern. Sie sind empfänglich für die Symbolik des Sohnes, der die Gesellschaft der Armen und Verachteten suchte. Aus dieser Perspektive bieten die Minderheitensprachen ein intimes, vertrautes Verständnis der christlichen Botschaft, in der, wie es Aloysius Pieris ausdrückt, „Jesus [...] der Verteidigungspakt zwischen den Unterdrückten und Jahwes“[121] ist. Dies erinnert an Passagen wie Mt 19,24 oder die täuferische Betonung der Trennung der Kirche von politischen oder wirtschaftlichen Autoritätsstrukturen. Wenn es für ein Kamel einfacher ist, durch das Nadelöhr zu gehen, als für einen Reichen in das Reich Gottes einzutreten, was kann dann über ein Evangelium gesagt werden, das in der Sprache der Reichen verkündet wird oder zumindest in einer Sprache, die aufgrund des damit verbundenen Prestiges als solche erscheint? Christopher Rowland betont diesen Punkt in Bezug auf die Befreiungstheologie: „Wenn man es aus der Perspektive der Unterseite der Geschichte betrachtet, aus der Sicht der Armen und Benachteiligten, sieht die Botschaft des Reiches Gottes eher anders aus, als sie von denen dargestellt wurde, die die Macht hatten, die Geschichte der Kirche zu schreiben und ihre Dogmen und sozialen Anliegen zu formulieren.“[122] Wie der Oxford-Theologe daher betont,  „erinnert uns die Theologie der Befreiung nachdrücklich daran, dass die heutige theologische Arbeit der kritischen Reflexion ihrer Voraussetzungen und Präferenzen nicht entkommen kann.“[123] Jedoch wird die sprachliche Dominanz selten als eine dieser Grundannahmen oder Präferenzen dargestellt. Dies wird zum Teil der schwer fassbaren Natur der sprachlichen Dominanz zugeschrieben, wie von Patrick Sauzet hervorgehoben wird: „Was unklar bleibt, ist die die sprachliche Dominanz selbst. Nicht ihr Einsatz in gesellschaftlichen Praktiken, auch nicht ihre historische Entstehung und Entwicklung (wovon sich jeder Soziolinguist widmet, es zu beschreiben), sondern vielmehr ihre inhärente Fähigkeit, sich in der Sprachverwendung zu etablieren und sie zu (des)organisieren.“[124] Zu dem Thema von Gewalt-Macht und Dominanz ist schließlich das Thema der Subversion hinzuzufügen. In diesem Kontext liegt die Ambivalenz weniger im Sprachgebrauch selbst, sondern vielmehr in den Machtspielen, denen er sich aussetzt.

 

B. Thematisierung und Neuformulierung der Fragstellung

 

a. Gewalt, Macht und Dominanz

 

Abseits der alten philosophischen Debatte über die Macht der Sprache und die Sprache der Macht zeigt die Exegese die Vorexistenz des Wortes, das handlungsfähig und schöpferisch ist, ein Attribut eines Gottes, der eine Beziehung zu seinen Geschöpfen initiiert und immer wieder erneuert. Die göttliche Macht ist im Gegensatz zu menschlicher Macht eine Selbstbeschränkung, während die Macht, nach der der Mensch strebt, ihn ständig in Gewalt oder Dominanz zurückfallen lässt. Die biblische Erzählung verknüpft weder Gewalt noch Machtverhältnisse (z.B. Gott im Verhältnis zu den Menschen in Gen 11) mit der Sprache.Im Gegenteil, die biblische Erzählung begrenzt sich darauf, die Entstehung von Sprachen als Konsequenz dieser Machtverhältnisse zu erklären. Die Verwirrung der Sprachen liegt nicht an der Ungehorsamkeit der Menschen, sondern hat mit der Auseinandersetzung der Mächte zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen zu tun. Die Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen und Sprachvariation bannen diese Bedrohung des Chaos, indem sie die Verstreuung der Menschen auf der Erde organisieren. Diese Verstreuung ist auch heute noch spürbar und führt zu Spaltungen, die weit über die Völker hinausgehen und sogar innerhalb sozialer Gruppen auftreten. Diese Abgrenzungen stehen in einer tiefen Verbindung zu Machtdynamiken und sind eng mit dem komplexen Phänomen der Sprache verflochten. Tatsächlich geht das Phänomen der Sprachvariation weit über reine Phonologie, Morphologie oder Prosodie hinaus und umfasst die tiefgreifenden sozialen Implikationen, die in bestimmten sprachlichen Verwendungen enthalten sind, die Intonationen, die zusammenhängende Gedanken erzeugen, und die subtilen Nuancen von Überlegenheit oder Verachtung. „Die Sprache ist ein wesentlicher Bestandteil des sozialen Lebens mit all seinen Tricks und Ungerechtigkeiten, und ein großer Teil unseres sozialen Lebens besteht aus dem routinemäßigen Austausch von sprachlichen Ausdrücken im täglichen Verlauf sozialer Interaktionen.“[125] Die Sprache ist oft der Ort, an dem soziale Strategien umgesetzt werden. Modelle des Prestiges und der Macht neigen dazu, sich zu vermischen, und die Möglichkeit, zu demütigen, zu verachten oder sozial aufzusteigen – oder den Anschein davon zu erwecken – hängt von der Übernahme der Sprache des Herrschenden ab. Was soll man sagen, wenn man spricht, oder wenn seine Kirche ausschließlich in der Sprache des Herrschenden spricht, und die Sprache des Herrschenden sich als die Sprache des Herrn präsentiert?

 

b. Die Sprache des Kaisers

 

Diese Deeskalation der Konfrontation zwischen göttlicher und menschlicher Macht durch sprachlichen Vielfalt, aber auch innerhalb der Sprache durch die Fragmentierung von Machtverhältnissen, findet in der Geschichte ihre Entsprechung zwischen dominanten Sprachen, Sprachen der Akkulturation in der Welt, Sprachen des Kaisers und andererseits dem Wort Gottes, das unaufhörlich zur Suche nach Frieden nicht durch Gewalt, sondern durch Gerechtigkeit aufruft. Angenommen, es gibt Sprachen des Kaisers, die eine Betonung der Macht, der Uniformierung und ein „Babel der Ideologie“[126] tragen, sowie eine angestrebte und von der Sprache unterstützte Einheit. Reicht diese Feststellung aus, um den Sprachen, die Opfer dieser Sprachkonflikte sind, einen theologischen Status zu verleihen? Ist es möglich, über jede Sprache das zu sagen, was Geffré über jede religiöse Gestalt sagt: Behält jede Sprache „etwas Unreduzierbares, insofern sie durch den Geist Gottes selbst angeregt werden konnte?“[127]

           

c. Die relationale Beschaffenheit und das Reale als Anspruch

 

Anstelle eines distanzierten Gottes offenbart die Exegese einen Gott in einer intimen Beziehung zu den Menschen. Diese relationale Dimension findet ihren praktischsten Ausdruck im Bereich des Dialogs.  Im Kontext religiöser Diskurse tritt diese Dimension als eine der Voraussetzungen für den Zugang zur Universalität hervor[128]. Eine Analogie zwischen sprachlicher Vielfalt und religiöser Vielfalt ziehend,, wird es unerlässlich, hegemoniale Sprachen zu deabsolutisieren, genauso wie Religionen aufgefordert sind, „die Konsequenzen ihrer Historizität.“[129] zu akzeptieren. Die relationale Beschaffenheit dieses Paradigmas lässt die dominierenden Parteien fürchten, dass ihre Vorherrschaft relativiert wird, sie ist lediglich eine Erinnerung an die Realität, die nicht nur eine Voraussetzung für Frieden - basierend auf Gerechtigkeit - ist, sondern auch eine Aufforderung, die Realität so zu sehen, wie sie ist, und nicht so, wie es die dominierenden Parteien gerne hätten.

 

d. Vielfalt gegenüber Idolatrie

 

            Die Vielfalt zeigt sich als Ausdruck des göttlichen Willens. Gott kann die Verschiedenartigkeit der Sprachen tatsächlich nicht verurteilen: „Gott verurteilt nicht die Vielfalt der Sprachen und Kulturen, da sie vielmehr eine Rückkehr zu dem von Gott gewünschten ursprünglichen Zustand darstellt.“[130] Die Vielfalt ist eine Art des Ausdrucks des Einen, sei es durch die Natur oder insbesondere durch die Menschheit. Gott will nicht als Idol verehrt werden, das heißt, als Eines fetischisiert. Diese Auffassung widerspricht nicht der Essenz des Schma Jisrael (Dt 6,4). Während Gott exklusive Verehrung fordert (Ex 20,3), verurteilt er auch alle Formen der Idolatrie. Dann stellt sich die Frage: Besteht Idolatrie darin, eine andere Macht, sei sie real oder wahrgenommen, neben oder anstelle Gottes anzubeten? Oder ist die Idolatrie selbst eine Art der Verehrung, die Gott verbietet, selbst wenn er der Empfänger solcher Verehrung ist? Der Abschnitt »V'ahavta«[131], der unmittelbar auf das »Shema« folgt, gibt uns einen Hinweis darauf, wie Gott angebetet werden möchte: „Du sollst lieben“. Ja, der Vers Dt 6,5 setzt sich fort mit „mit ganzem Herzen, mit ganzen Wesen und mit ganzer Kraft.“[132] Die Verwendung von 'ganz' führt eine Idee der Vollständigkeit ein (was weder Absolutheit noch Totalität ist). Aber genauer gesagt, dieser Vers ist im Wesentlichen ein Aufruf an jede einzelne Person, Gott mit ihrer Gesamtheit zu lieben. Den Gott zu idolisieren würde bedeuten, ihn auf die Art des Einen zu verehren, und dabei sein Herz, seine Seele und seine Stärke aufzugeben. Ganz im Gegenteil, gerade in der Vielfalt der Herzen, Seelen und Kräfte fordert Gott, dass ihm ein Kult dargebracht wird. Patrick Sauzets Analyse, indem er die Dimension des Opfers hinzufügt, lädt uns dazu ein zu sehen, wie die Menschheit selbst versucht, sich selbst zu opfern, sogar auf Kosten des Werkes des Schöpfers. Gegenüber diesem absolutistischen Streben offenbart sich Gott als eine Macht, die fähig ist, sich selbst zu beschränken.

            Die Theologie der Religionen bietet eine besonders klare Wertschätzung des Vielfältigen. Dies ist insbesondere bei Claude Geffré der Fall, dessen theologische Exegese von Babel und Pfingsten mit den zuvor dargelegten Übereinstimmungen übereinstimmt. Geffré hat dabei starke Ähnlichkeiten mit der okzitanischen Soziolinguistik[133]: „Was Gott verurteilt, ist eine sprachliche Einheitlichkeit, die den idolatrischen Anspruch hätte, anstelle des einzigen Gottes eine monolithische Menschheit zu setzen, die sich selbst zum Gott machen würde.“[134] Eingebettet in den Kontext von Geffrés Engagement und seiner theologischen Arbeit im Dienst des Wortes, insbesondere durch die interreligiöse Theologie, können wir eine Theologie des sprachlichen Pluralismus wahrnehmen, die sowohl belebend als auch ermutigend ist, gerade weil sie in der Schrift verwurzelt ist: „Man hat die Zerstreuung der Sprachen immer als Strafe interpretiert, als Antwort auf den Stolz der Menschen, die eine einzigartige Turm errichten wollten, der eine Rivalin zur Einzigartigkeit Gottes sein sollte.“[135] Die Einzigartigkeit Gottes kann nicht mit sprachlicher Einheitlichkeit oder Einzelsprachigkeit beantwortet werden. Die Kräfte der Homogenisierung sind von Grund auf gottlos, da sie darauf abzielen, Gott zu reduzieren. Das Opfern des Vielfältigen bedeutet nicht, Gott zu verehren. Und Gott kann nicht herangezogen werden, um das Vielfältige zu verurteilen. Die Einzigartigkeit Gottes steht nicht zur Debatte. Gott ist Einer. Allerdings möchte Gott nicht als Götze angebetet werden. Gott kann innerhalb und durch das Vielfalt verehrt werden, verkörpert in der bemerkenswert unterschiedlichen Gestalt von Jesus von Nazareth.

 

e. Inkarnation und Geschichte

 

            „Der Gott der Bibel segnet das Vielfältige, genauso wie er den menschlichen Zustand als geschichtlich und fleischlich segnet. “[136] Wie soll man nach einer Aussage fortfahren, die alles, was diese Arbeit zu sagen versucht, perfekt zusammenfasst? Man könnte hier aufhören. Diese Wertschätzung der Vielfalt geschieht jedoch durch „Die vollständige Singularisierung  des Universalismus in der Person Jesu.“[137] Gott gibt sich in Jesus auf eine singuläre Weise zu erkennen, während er sich in der Geschichte offenbart hat und sich weiterhin darin zeigt. Wenn das Vielfältige eine Ausdrucksform des Einen in der Geschichte oder durch die Schöpfung ist, zeigt es sich nicht als das Vielfältige selbst: Es manifestiert sich im Einzigartigen, einem Einzigartigen, das in seiner Bedeutung nicht eine Illustration des Universalen ist – die Inkarnation ist keine Verkörperung –, sondern vielmehr das Zeichen, dass das Universale von dem Einzigartigen aus verstanden werden muss. In diesem Sinne ist Jesus Christus tatsächlich das »concretissimum universale« und nicht das konkretisierte Universelle. Das Universale erfindet kein Konkretes und hebt das Konkrete nicht auf, sondern durch die Inkarnation ist jede Person, jeder einzigartige und eigentümliche Ausdruck des Konkreten, mit Christus verbunden. Das Allgemeine, verstanden durch diese Zusammenkunft von Individuen, ist keine Verschmelzung des Konkreten im Schmelztiegel des Allgemeinen, sondern erscheint vielmehr als Erhebung des Konkreten, das die menschliche Person ist, „ zur Einheit seiner eigenen Kraft erhoben.“[138]

Des Weiteren sei erwähnt, dass Claude Geffré das Argument des sprachlichen Pluralismus verwendet, um den theologischen Pluralismus im vollen und theologischen Sinne zu rechtfertigen: „Wenn die Vielfalt der Sprachen und Kulturen von Gott gesegnet ist, müssen wir dann nicht auch sagen, dass die Vielfalt der religiösen Traditionen von Gott anerkannt und sogar gewollt ist?“[139] Der Theologe erweitert sogar seine Exegese auf die Kulturen: „Mit der Ausgießung des Geistes des Auferstandenen an Pfingsten kann man denken, dass die Vielfalt der Sprachen und Kulturen notwendig ist, um den Reichtum des Mysteriums Gottes auszudrücken.“ Die Einführung des Begriffs ‚Mysterium‘ wird uns dazu führen, die Frage insbesondere aus der Sicht der protestantischen Theologie zu untersuchen.

 

f. Das Universale: Umfassen des Gesetzes der Liebe

 

Die Erzählungen der Völkertafel und des Turmbaus zu Babel werden von zwei Ereignissen eingerahmt, bei denen Gottes Beziehung zur Menschheit eine universelle Bedeutung hat, nämlich der Bund Gottes mit Noach (Gen 9) und die Berufung Abrahams (Gen 12). Die Frage nach Universalität ist von Grenzen begleitet: „Man kann in der gescheiterten Umsetzung des Turms von Babel eine Kritik an einer falschen Auffassung des Universalen erkennen. Israel muss sich davor hüten, das Universale durch Eroberung und Hegemonie zu verwirklichen.“[140] Die Einrahmung durch die Völkertafel und den Turmbau zu Babel platziert diese Erzählungen in einer historischen und theologischen Logik, „die immer explizitere Universalität des Gesetzes der Liebe“[141], von dem die Inkarnation die perfekte Manifestation ist.

 

g.  Linguistische Vielfalt und religiöse Vielfalt: Das Zusammenspiel des Pluralismus

 

Der Zusammenhang zwischen den Fragen des sprachlichen Pluralismus und des religiösen Pluralismus[142] lässt fast vermuten, dass die Frage der Sprachen aus theologischer Sicht kein Problem ist. Abgesehen davon haben wir jedoch, wie wir anhand der theologischen Exegese der Völkertafel gesehen haben, eine schriftliche Rechtfertigung für die sprachliche Verschiedenartigkeit, die die religiöse Verschiedenartigkeit nicht genießt. Welche Verbindung erlaubt uns unsere theologische Exegese zwischen der Vielfalt der Sprachen und der religiösen Vielfalt herzustellen? Könnte die Verstreuung der Religionen eine Folge der Verwirrung der Sprachen sein, ähnlich wie die Verstreuung der Völker? André Gounelle erinnert uns daran, dass sogar Karl Barth selbst eine Verbindung zwischen Babel und der Religion herstellt: „Barth sieht in der Religion einen Versuch des Menschen, Gott zu ergreifen, ihn zu ergreifen und zu domestizieren, anstatt sich ihm zu unterwerfen und ihn zu domestizieren, um ihn sich vorzustellen, anstatt sein Wort zu hören, um sich selbst gerecht zu machen, anstatt sich als Sünder zu erkennen. Der Turmbau zu Babel könnte die Religion symbolisieren: Seine Erbauer wollen auf eigene Faust in den Himmel aufsteigen, während uns die Bibel lehrt, dass Gott unter den Menschen herabkommt.“[143] Aus dieser Perspektive ist religiöser oder sprachlicher Pluralismus eine Einladung, über die Einheit Gottes nachzudenken, anstatt ihn aufgrund einer rein menschlichen Vorstellung des Einen zu konstruieren. Geffré sagt es vorausschauend aus: „Die Theologen müssen intellektuell immer mehr das Rätsel einer Vielzahl religiöser Traditionen in ihren irreduziblen Unterschieden ertragen.“[144] Es ist wichtig, diese Unterscheidung zu erkennen, eine von vielen Unterscheidungen, die durch den Zusammenhang zwischen den Fragen des sprachlichen Pluralismus und der religiösen Pluralismus ermöglicht werden: Die große Verschiedenartigkeit der  menschlichen Sprachen und die Sprachvariation müssen das Rätsel ihrer Vielfalt und ihrer fortstehenden Unterschiedlichkeit nicht theologisch ertragen. Letztere sind von Gott gewollt und haben eine schriftliche Rechtfertigung, von der religiöse Traditionen, die manchmal wenig zart mit der sprachlichen Verschiedenartigkeit umgehen, nicht profitieren. Die Irreduzibilität der menschlichen Sprachen, die eigentliche Irreduzibilität ihrer variablen Natur kann in Einklang gebracht werden mit einer Schöpfungssheologie, die darauf bedacht ist, das Chaos zu bekämpfen, die menschliche Geschichte voranzubringen und zur Schaffung einer neuen Welt oder einer ständig erneuerten Welt beizutragen. Die religiösen Traditionen stehen dagegen vor dem Mysterium ihrer Vielfalt, der Frage nach ihrer Kontingenz und ihrer Historizität.

 

h. Lässt sich die Theologie mit einer solchen Frage befassen?

 

Von der Theologie der Religionen aus betrachtet, erscheint die Frage des sprachlichen Pluralismus bemerkenswert einfach und klar. Vor allem, und dies ist keineswegs der geringste Vorteil, wird der sprachliche Pluralismus durch eine Schriftrechtfertigung gestützt, deren Fehlen beim Umgang mit dem religiösen Pluralismus schmerzlich spürbar ist. Dies ist zumindest das Urteil von Claude Geffré, dessen Erfahrung und Praxis im interreligiösen Diskurs uns zwingen, zuzuhören: „Wir werden große Schwierigkeiten haben, in der Bibel eine Antwort auf die Frage nach der Vielfalt der Religionen zu finden.“[145] Wenn wir hier wiederholen, könnte die nachrangige Frage sein: Ist es möglich, die Frage der Minderheitensprachen aus der Perspektive der protestantischen Theologie zu behandeln? In dieser Hinsicht scheint es auf den ersten Blick ein Pluspunkt in der protestantischen Theologie zu sein, eine Schriftrechtfertigung vorzulegen, auch wenn letztere das Konzept der scriptura sola abgelehnt hat[146].

            Was möglicherweise ein weiteres Hindernis darstellen könnte, wäre das Risiko, in eine natürliche Theologie zu verfallen, indem man in den Minorisierten Sprachen zu klar einen Ort des Handelns Gottes identifiziert. Ähnliche Zögern finden sich bereits in dem zuvor in der Einleitung erwähnten Unterschied zwischen „katholischer Substanz und protestantischem Prinzip“[147]. Geffré ist dankbar gegenüber Tillich als Theologe der Kultur dafür, dass er sich in der Mitte zwischen katholischer und protestantischer Theologie bewegt: „Ob es in der Dogmatik von 1925 oder in den Vorlesungen nach seinem Seminar mit Mircea Eliade ist, [Tillich] reflektiert ständig über das Christentum als eine nicht absolute Religion, die dennoch gleichzeitig von der endgültigen Offenbarung zeugt. Man kann die katholische Resonanz seiner Theologie behaupten, da er sich gleich weit von der Hybris der dialektischen Theologie und dem Neoliberalismus entfernt hält, der bereit ist, die christologische Norm zu opfern, um den interreligiösen Dialog zu erleichtern.“[148]. Geffré übernimmt die Worte des ehemaligen Assistenten von Tillich, der in ihm „den ‚katholischsten‘ unter den protestantischen Theologen“[149] sah.  Wenn man die minorisierten Sprachen betrachtet, sollte man von natürlicher Theologie oder von Theologie der Geschichte sprechen, mit Blick auf den Satz, mit dem Claude Geffré die These des katholischen Theologen Edward Schillebeeckx zusammenfasst: „Gott erzählt sich unaufhörlich in der Geschichte“[150]? Tatsächlich scheinen die Fragen, die katholische Theologen wie Edward Schillebeeckx, Jacques Dupuis oder Claude Geffré zum Thema religiöser Pluralismus gestellt haben, nicht genauso auf den sprachlichen Pluralismus zuzutreffen. Wenn sie sich fragen, ob „dieser tatsächliche Pluralismus uns nicht auf einen grundsätzlichen oder de-jure Pluralismus verweist, der zum geheimnisvollen Plan Gottes gehört“[151], gibt die Schrift im spezifischen Fall des sprachlichen Pluralismus eine Antwort. Sie antwortet zugunsten eines de-jure Pluralismus der Sprachen, wie zuvor erwähnt[152]. Könnte der Verbindungspunkt hergestellt werden, wenn man die Kulturen im Anschluss an die Sprachen betrachtet und von den Kulturen aus die Religionen betrachtet? Claude Geffré verknüpft jedenfalls Kulturen und Religionen und stellt beide unter das Zeichen der Ambiguität[153]. Die Ambiguität, die üblicherweise mit der Sprache verbunden ist, gilt biblisch betrachtet nicht für die Sprachen. Es ist nicht angebracht, in die biblische Erzählung das einzubringen, was in anderen Schöpfungserzählungen zu finden ist: „Die biblischen Erzählungen spezifizieren nicht, dass Gott dem Menschen die Sprache gegeben hat. [...] Im Athrahasis erscheint die Sprache als eine ambivalente Gabe, die die Götter den Menschen gewährt haben.“[154] Die Ambiguität oder Ambivalenz ist vielleicht durch andere Konzepte zu erforschen als nur Sprache, Einheit und Vielfalt oder Identität und Verschiedenheit. Dies werden wir untersuchen, nachdem wir die Beziehungen zwischen Sprache, Sprachen und dem Wort untersucht haben.

 


 

II. Die Sprachen und das Wort Gottes

 

Neubestimmung der Verbindung zwischen Gottes Wort und Sprache          

 

Wenn die Sprachen ihren Ursprung in Babel haben, hat die ursprüngliche Sprache ihren Ursprung in Gott. Robert W. Jenson fragt daher, wie die Sprache beginnt. Robert W. Jenson reflektiert über das Aufkommen der Sprache und hinterfragt, wie die Rede ohne eine vorausgegangene Sprache initiiert wird. Er deutet auf die Existenz eines ersten Sprechers hin, dessen Ansprache die Unterscheidung zwischen Rede und Sprache übersteigt[155]. Diese Befragung hält jedoch zwei Elemente der Phantasie über den Ursprung aufrecht: Die Genealogie behauptet hier bis zum Schöpfer selbst zurückzugehen, und dabei ersetzt die Argumentation die Sprachen durch den Sprachbegriff[156]. Die eine und gemeinsame Sprache der Tiere, Menschen und Gottes ist lediglich eine Implikation des biblischen Textes. Was wirklich vorrangig ist, ist eher das Wort als die Sprache. Basierend auf der Offenbarung ist Gottes Ausdrucksweise weder das Eine noch das Vielfache, noch sogar die Sprache, sondern das Wort. Die Suche nach Unmittelbarkeit, die der Suche nach einer einzigen, urtümlichen Sprache zugrunde liegt, stößt auf die Inkarnation, die den einzigartigen und eigentümlichen Ausdruck des Wortes in Zeit und Raum darstellt. Der theologische Status der Sprachen stellt sich im Rahmen dieser grundlegenden Beziehung. Sie sind hier weder der Vorstellung von Sprache noch einer möglichen Hierarchie untergeordnet, die der Sprachbegriff näher an Gott heranrücken und die lokalen Dialekte davon entfernen würde. Die Genealogien sollen weniger etwas über die Vergangenheit aussagen als vielmehr auf diese absolute Gegenwart hinweisen, die im Menschen aus Galiläa fleischgeworden wurde.

 

Zuerst werden wir die theologische Bedeutung der Sprachen in Bezug auf das Wort Gottes erforschen und versuchen, ihren inhärenten Status zu verstehen. Dann werden wir uns mit den Perspektiven von Theologen befassen, die Sprachen mit bestimmten Personen der Trinität verbinden. Zuletzt werden wir die komplexe Verbindung zwischen die Sprachen und dem Wort Gottes in drei verschiedenen Dimensionen untersuchen: die intra-trinitarische Dynamik zwischen den göttlichen Personen, die gemeinschaftliche Bindung, zu der die Menschen aufgerufen sind, sich untereinander zu fördern, und die tiefe Beziehung zwischen Gott und der Menschheit.

 

A. Der theologische Status der Sprachen in Anbetracht des Wortes Gottes

 

Thomas von Aquino bietet eine interessante Perspektive auf die Natur der Sprachen, die sowohl Ambiguität als auch Wertschätzung zeigt. Einerseits erkennt er die Rolle der Sprachen als Kommunikationsmittel an, ein Argument, das mit der Sprachengabe[157] verbunden ist, aber auch ein Argument, das reduziert sie dadurch auf bloße Instrumente, auf den Rang von Mitteln. Jedoch erkennt Aquin auch den theologischen Wert der Sprachen an, wie es sich in Gottes bewusster Wahl zeigt, dass die Apostel in verschiedenen Zungen sprechen. Aquins Argumentation antizipiert die Fragen, die Calvin aufwirft[158], und beleuchtet die Debatte über Verschiedenartigkeit, sei es sprachlich oder anderweitig. Gott hat die Dialekte nicht ignoriert, noch hat er seinen Sieg offensichtlich gemacht. Doch die Argumentation des Doctor angelicus reduziert die Sprachen auf ihre Funktion als Kommunikationsmittel. Die Sprachen wurden nicht verschwinden gelassen, aber das, was durch die Sprachen getan wurde, hätte zweifellos auch durch eine einzige Sprache geschehen können, die eine einfache Botschaft übermittelt. Diese Auffassung von Sprachen ist bei den Gegnern der sprachlichen Verschiedenartigkeit vorherrschend, die behaupten, dass Sprache lediglich ein Hilfmittel sei.

Im Kontrast dazu schätzt Aquino die sprachliche Vielfalt und betrachtet sie als Heilmittel gegen die Idolatrie[159], die hier erneut in Verbindung mit dem Turmbau zu Babel (Gen 11,7) gebracht wird.  Wenn die Sprachgaben heutzutage nicht mehr offensichtlich ist, liegt das – wie Aquino hier Augustinus wiederholt – daran, dass die Kirche nun alle Sprachen spricht[160]. Wie könnten wir die Bedeutung noch nachdrücklicher betonen, die darin liegt, nicht nur die Sprache des anderen zu verstehen, sondern vielleicht noch entscheidender, die Sprache des anderen zu sprechen? So geht es weniger darum, dass die Apostel von allen verstanden werden konnten, sondern vielmehr darum, dass sie die Sprache des Nächsten selbst bestmöglich verstanden haben: „Dennoch war es angebrachter, dass sie in allen Sprachen sprechen konnten, denn dies gehörte zur Vollkommenheit ihrer Kenntnisse, durch die sie nicht nur sprechen, sondern auch verstehen konnten, was von anderen gesagt wurde.“[161] Aquinos Argumentation folgend, ist es daher angemessen hinzuzufügen, dass Pfingsten Gottes bewusste Absicht ist, das Verständnis oder die Ausdrucksweise nicht auf eine einzige Sprache zu beschränken, und auch nicht eine einzelne Sprache verständlich zu machen, sei es die Sprache der Apostel. Vielmehr handelt es sich um Gottes gezielte Entscheidung, ein universelles wechselseitiges Verständnis durch Dialekte und lokale Varianten bei den Aposteln zu ermöglichen.

Wenn Thomas die Zungenrede und die Gabe der Prophetie vergleicht und sich fragt, welches der beiden Charismen überwiegt, unterstellt er eine Überlegenheit der Prophetie auf der Grundlage von zwei Kriterien, die eine ambivalente, aber insgesamt positive Auffassung von Sprache nahelegen. Erstens ist die Prophetie eindeutig[162], während die Sprache der Bereich der Ambiguität bleibt. Zweitens wird der Umstand, dass die Glossolalie keine zwischenmenschliche Verständigung oder Nützlichkeit mit sich bringt, nicht positiv bewertet[163]. Die Fähigkeit des Verstehens  und die Nützlichkeit, die hier keineswegs als Zeichen der Unterlegenheit betrachtet wird, werden hier als Argumente für die Prophetie dargelegt. Aquino deutet an, dass diese Argumente möglicherweise auch für die Sprache gelten könnten: „Der Mensch wird durch die Gabe der Prophetie zu Gott gemäß dem Geist hingeordnet, was edler ist als allein durch die Sprache zu ihm hingeordnet zu sein.“[164] Der Mensch ist durch die Sprache wohl zu Gott hingeordnet, aber auf einer niedrigeren Stufe als wenn er es gemäß dem Geist wäre. Hier geht es nicht darum, der Sprache einen größeren Status als den eines Kommunikationsmittels zu verleihen. Im Gegenteil, die Prophezeiung wird der Zungenrede vorgezogen, weil sie ‚zu den Menschen spricht‘. Die Hinordnung zu Gott in der Prophetie besteht darin, dass durch sie der Geist den Menschen ,zu Gott und zum Nächsten‘ (ad Deum et ad proximum) wendet. Doch wie sieht es mit dieser Hinordnung durch die Sprache aus, die sicherlich weniger perfekt ist? Darüber lädt Thomas uns beiläufig ein, uns zu fragen.

 

B. Die Hinordnung der Sprachen zu Gott

 

            Die Vollkommenheit der Prophetie beruht nach Thomas auf zwei Elementen: dem Antrieb der Vermittlung und ihrer Ausrichtung. Die implizite Annahme besteht darin, dass nur der Geist den Menschen perfekt auf Gott und den Nächsten hin ausrichten kann. Ein theologischer Status der Sprachen könnte gemäß dieser Logik anhand einer besonderen Wirkung des Geistes durch die Sprachen und ihrer Ausrichtung auf Gott zum Dienst am Nächsten bewertet werden. Andererseits zeigt der Bericht von Pfingsten bereits, dass die Sprachen von Gott stammen. Sie werden dort bereits als Folge des Geistes beschrieben. Die von Thomas beschriebene Fähigkeit des Verstehens und der Nützlichkeit schafft hier die Bedingungen für den Aufbau der Kirche, die als auf Gott und den Nächsten ausgerichtet betrachtet werden kann. Die Ambiguität der Sprache spielt hier keine Rolle, obwohl die Vielfalt der Sprachen hinzukommt. Während die Prophetie eine Wiederherstellung der Unmittelbarkeit bewirkt, scheint die Sprache bei Pfingsten noch etwas von ihrer Vermittlung zu bewahren. Zur Zeit von Pfingsten sind die anwesenden Personen auf Gott ausgerichtet durch den Geist in der Sprache, jedoch nicht auf prophetische Weise.

 

            a. Unterscheidung zwischen Logos und Sprache

 

Der Logos, als „Selbstoffenbarung Gottes sowohl im Universum als auch in der Geschichte“[165], ist eine Erinnerung daran, dass Gott sich immer im Raum und in der Zeit notwendigerweise durch Besonderheiten offenbart und dass jeder Versuch, Gott in Form eines Absoluten oder einer Abstraktion zu manifestieren, in die Anbetung von Götzen führt. Das Prolog des vierten Evangeliums verkündet: „Das Wort war Gott.“[166] Der Begriff „Logos“ erinnert daran, dass Gott ein persönlicher Gott ist. Sein Wort ist ein persönlicher Ausdruck. Durch das Wort ‚Logos‘ verweist die Theologie somit auf Christus[167]. Der Begriff kann daher nicht im christlichen Kontext als „die Sprache war Gott“ verstanden werden. Hier fehlt auch der Bezug zur Sprache. Das Wort „Logos“ ist zum Beispiel nicht als persönlicher Gebrauch zu verstehen, der sich von einer Sprache löst, die als angeborene Fähigkeit der Kommunikation einer Art, typischerweise des Menschen, verstanden wird. Es ist auch nicht der persönliche Gebrauch eines bestimmten Sprachsystem, das erlernt und praktiziert wird. Höchstens, wenn man im Hinterkopf behält, dass der Logos auf die Inkarnation verweist, könnte der Begriff Logos mit dem einer Universalgrammatik (UG) harmonieren, die zu allen Zeiten in einer konkreten Realität Gestalt annimmt. Die Analogie würde betonen, dass die Manifestation des Logos nur in Zeit und Raum stattfinden kann.

            Die Unsagbarkeit Gottes manifestiert sich in einer Spannung zwischen dem Bedürfnis des Evangelisten, seine eigene Sprache zu erfinden, und der Notwendigkeit, auf die gemeinsame Sprache zurückzugreifen. In dieser Polarität findet man eine Ähnlichkeit zur Unterscheidung, die Saussure als „Macht des Austauches und Kirchturmperspecktive“[168] bezeichnet. Saussure beschreibt die Macht des Austauschs als „die Notwendigkeit [die die Menschen zwingt], miteinander zu kommunizieren.“[169]Sie präsentiert sich als ein „ein einigendes Prinzip“[170]: Zwischenmenschliche Kommunikation und Interaktion führen zur Homogenisierung der Sprache auf Kosten der Sprachvarietäten. Die Kirchturmperspektive ist Die Kirchturmperspektive ist das gegenteilige Prinzip: Wenn sie nicht durch die Kraft des Austauschs behindert wird, hätte die Kirchturmperspektive „im Bereich der Sprache eine endlose Partikularisierung zur Folge.“[171] Saussure erwähnt es nicht, aber man könnte sich noch ein weiteres Ergebnis vorstellen: Wenn sie nicht durch Kirchturmperspektive behindert würde, würde die Macht des Austauschs im Bereich der Sprache eine Einheit schaffen, ohne Spuren dessen, was homogenisiert wurde. So hat der Linguist und Romanist Jules Ronjat von der Gemeinsprache oder Koiné gesagt, dass sie eine „Tauschwährung ohne Stempel ist und überall gültig ist.“[172] Ähnlich verhält es sich mit der johanneischen Sprache, die das spezifische Element einer Theologie oder Schule, der johanneischen Schule, widerspiegelt, während sie gleichzeitig in der Koiné, die das postklassische Griechisch repräsentiert, zum Ausdruck kommt. Die Ausdehnung und Zusammengehörigkeit der theologischen Sprache wird hier durch einen Deutungsschlüssel ermöglicht, der im Prolog des Evangeliums präsentiert wird (Joh 1,1-18): „Die Vorrede ist ein Kontrollinstrument der Dekodierung. Sie leitet die Lektüre, sichert den Text gegen Unverständnis oder Fehlinterpretation.“[173] Zumstein verortet somit den Prolog auf einem metalinguistischen Niveau[174],  das „den hermeneutischen Rahmen [herstellt], in dem diese Geschichte zu lesen ist.“[175] Ebenso wie wir in unserer Einleitung auf die Sprachvariation hingewiesen hatten, können wir hier die Tendenz der Sprache betonen, sich zu individualisieren, nicht nur in den verschiedenen Sprachvarietäten, sondern auch in der Rede, konkret in der besonderen Verwendung, die der Verfasser des Johannesevangeliums von der Sprache macht.

            Die Hermeneutik hat es niemals mit einer entkörperten Sprache zu tun, die vom Kontext der Äußerung getrennt würdeDie Sprache ist keine Sprache reiner Intellektion, gerade weil die Intellektion dafür sorgen muss, diesen Prozess der Inkarnation zu ermöglichen, dem Kontext der Äußerung wieder Gestalt zu verleihen und letztendlich eine erneuerte Bedeutung für die beabsichtigte Zeit und den beabsichtigten Rezeptionskontext zu bieten. Die minorisierte Sprachen, weil sie Partikularismus transportieren, tragen die Spuren dieser beiden Prinzipien in Aktion, sowohl Elemente der Macht des Austausches als auch der Kirchturmperspektive und liefern einen zusätzlichen Reichtum an Informationen. Wie ein Geschichtsbuch des Denkens erinnern sie daran, dass Aussagen bestimmten Schulen, einer bestimmten Epoche und somit ihren Äußerungs- und Rezeptionskontexten unterliegen. Sie haben sogar einen Vorteil, denn durch das Vorurteil, das sie auf die Seite des Partikularismus stellt, entlarven sie sich selbst als Bestandteil dieser Inkarnation, während der Begriff der Sprache, der von den Besonderheiten losgelöst ist, diese Kontextelemente verdeckt, wenn die Koinè nicht einfach die Aufzwingung einer Kirchturmperspektive darstellt, der sich als Gemeinsprache präsentiert[176].

Danach setzt der Prolog des Johannesevangeliums die Bedeutung des Logos in Beziehung zu Gott. Hier finden wir erneut die bereits beschriebene relationale Dimension, auf die wir kurz zurückkommen, um den Begriff der Sprache als abstraktem Forschungskonzept vollständig von der konkreten Realität, insbesondere losgelöst der Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen, vom Begriff „Logos“ zu trennen. Die Beziehung befindet sich jedoch nicht mehr wie in den Schöpfungserzählungen zwischen dem Schöpfer und seinen Geschöpfen, sondern zwischen dem Vater und dem Sohn[177]. Es gibt sicherlich einen Grad der Abstraktion, da der Prolog dazu einlädt, über die Beziehung zwischen den beiden göttlichen Personen nachzudenken. Gleichzeitig verhindert jedoch die Inkarnation, diese Beziehung als eine Beziehung zwischen zwei Abstraktionen, dem Göttlichen und der Sprache, dem Einen (dem Vater) und dem Einen (der Sprache), zu betrachten. Die Beziehung kann nicht als die zwischen dem Einen und dem Vielen betrachtet werden. Die trinitarische Lehre beschreibt den dreieinigen Gott, dreimal Eins. Höchstens kann man festhalten, dass die Inkarnation die Vorstellung des Logos auf eine Weise beeinflusst, die verhindert, dass man darin eine proto-ursprüngliche Sprache oder eine Sprache sieht, die sich völlig von ihren Äußerungsbedingungen oder jeder Zufälligkeit abstrahieren kann.  Sicherlich ist die göttliche Person nicht der Zufälligkeit unterworfen, aber in dem Maße, wie sie sich in der Zufälligkeit manifestieren möchte, ist es nicht angebracht, durch die Absolutierung bestimmter Sprachen irgendeinen Anspruch zu erheben, sich dem Logos zu nähern.

Die linguistische Dimension wird also nicht so sehr durch den Begriff Logos selbst hervorgerufen, sondern vielmehr durch die Beziehung, die in Joh 1,1 dargestellt wird: „Wenn etwas von Gott wahrnehmbar sein soll, dann seine Dimension des Wortes. Daraus ergeben sich drei Konsequenzen. Zunächst ist der Gott des Prologs ein Gott, der sich mitteilt. Sodann ist festzuhalten, dass er sich in einer strukturierten Sprache mitteilt. Von „Anfang“ an wird Gott als Logos erkannt, d.h. als Rede, als Anrede, als Zuspruch von Sinn (und nicht als Kraft, als Macht, als Geheimnis etc.)“[178] Wir nehmen uns die französische Ausgabe des Kommentars[179] von Zumstein zur Hilfe, um „Zuspruch von Sinn“ als „Gabe des Sinns“ zu verstehen. Wenn Gott gibt, gibt er im Überfluss.Wir möchten hier den Zuspruch von Sinn in Verbindung mit dem sprachlichen Pluralismus hervorheben, insbesondere wie von Zumstein dargelegt, dass der Zuspruch von Sinn sich einerseits von der Kraft oder Macht und andererseits vom Geheimnis unterscheidet.

 

b. Zuspruch von Sinn und Sprache

 

Der Zuspruch der Sinn, der untrennbar mit der relationalen Dimension des Wortes verbunden ist, passt gut zu einer Definition einer Austauschsprache als Sprache, bei der jeder einen Beitrag in Richtung der Sprache des anderen leistet, ohne jedoch seine eigene Sprache völlig aufzugeben.  In keinem Fall könnte die relationale Dimension zufrieden sein, wenn eine der beiden Parteien ihre Sprache zugunsten einer anderen aufgeben würde, die ihre eigene aufzwingt. Die Gabe der Sinn hängt also damit zusammen, dass eine der beiden Parteien - angefangen bei Gott - sich mitteilt.  Die austauschsprache[180] Sprache sollte daher nicht als überlegene oder raffiniertere Sprache im Vergleich zu anderen verstanden werden, sondern vielmehr als eine Sprache, die eine Spur von derjenigen behält, die sich mitteilt. So besteht die Übersetzungsarbeit darin, nicht nur in die Zielsprache zu übertragen, sondern auch etwas von der Ausgangssprache zu bewahren. Die Sprecher von minorisierten Sprachen, insbesondere solche, die noch einen starken dialektalen Character aufweisen, stehen vor der Herausforderung, sich zwischen Sprechern benachbarter Sprachen zu verstehen, und ebeneinen Schnittpunkt unter den Sprechern derselben, wenn auch manchmal signifikant größeren, Sprache zu erreichen. Die Betrachtung der Sprachen auf dieser Ebene, nämlich der Soziolinguistik, bedeutet daher nicht, einen vermeintlichen Mangel an Abstraktion oder Ambiguität zu bedauern, sondern vielmehr die Debatte über das, was Objektivität bedeutet - sei es eine beanspruchte Objektivität oder eine angenommene und offengelegte Subjektivität - zu durchkreuzen. In der protestantischen Theologie passt die Begegnung an einem Mittelpunkt zwischen einem sichselbstkommunizierenden Gott und der Menschheit schlecht zu der Vorstellung eines, auch asymmetrischen, Aufwandes zwischen den beiden beteiligten Parteien.

Der Mittelpunkt, oder genauer gesagt, der Schnittpunkt, ist tatsächlich der Logos, Jesus Christus, in dem Gott sich nicht nur selbst kommuniziert, sondern die Menschheit zum Treffpunkt trägt.

 

 In diesem Kontext – der Gabe des Sinns –  scheint die Reflexion über die Ambiguität der Sprache zunächst den Status der Sprache und folglich der Sprachen als Vermittlung zu betreffen. Während Gott sich durch das gesprochene Wort mitteilt, haben bestimmte Sprachtheorien verstärkt auf die grundlegende Unzulänglichkeit der Sprache hingewiesen, um Gott zu beschreiben. Dies ist besonders bei Augustinus der Fall, der die grundlegende Mehrdeutigkeit der Sprache betonte und sie sogar als ein Mittel des Unterrichts kritisierte[181]. In neuerer Zeit hat Eberhard Jüngel das Thema weniger in Bezug auf die Unzulänglichkeit der Sprache behandelt, sondern es vielmehr im Zusammenhang mit der Dialektik der  Abwesenheit und Anwesenheit Gottes betrachtet: Die allgemeine Frage der Theologie betrifft das Verhältnis, das Gott zur menschlichen Sprache hat, das heißt „das Verhältnis der menschlichen Sprache zu einem Gott, der, wenn überhaupt, dann als von sich aus Redender zu denken ist.“[182] Das Wort Gottes ist gleichzeitig etwas, das über die menschliche Sprache hinausgeht, und dennoch wählt es, sich durch die menschliche Sprache auszudrücken. Jüngel reformuliert diese Dialektik der Verborgenheit und Offenbarung, des Verhüllens und Enthüllens wie folgt: „Inwiefern lässt sich von der menschlichen Sprache behaupten, dass sie Gott zur Sprache bringt?“[183] Im Anschluss an unsere Forschung könnte die Frage hier sein, die Notion des Pluralismus wieder einzuführen und auf jeden Fall, gestärkt durch das Zeugnis der Schrift, eine Enthüllung abzulehnen, die dem sprachlichen Pluralismus zugeschrieben würde. Die Hinordnung der menschlichen Sprachen zu Gott und folglich ihr theologischer Status hängen also ganz davon ab, die Beziehung zwischen dem Logos und dem Sohn zu hinterfragen, anders gesagt, die Ökonomie des Wortes und der Inkarnation zu betrachten[184].

Dieser Versuch, zwischen dem Logos und dem Sohn zu unterscheiden, begegnet insbesondere im Bereich der Theologie der Religionen, um dem religiösen Pluralismus gerecht zu werden. Obwohl sich der Logos, wie Christus, in Jesus von Nazareth auf einzigartige und zentrale Weise manifestiert hat, ist es ihm nicht verwehrt, sich auch weiterhin und anderswo zu offenbaren.  Die Kommunizierbarkeit Gottes könnte andere Formen annehmen, ohne das einzigartige Ereignis von Jesus Christus zu verleugnen. Während Jesus Christus das Wort Gottes ist, kann jedoch auch in anderen Religionen ein bestimmtes Wort Gottes gehört werden. Die Theologie der Religionen kann somit einen Lösungsansatz für einen Pluralismus finden, der keine direkte Schriftgrundlage hat.

Im Vergleich dazu würde sich der Sprachpluralismus mit der perfekten Übereinstimmung zwischen dem Logos und dem Sohn zufrieden geben, dem inkarnierten Wort in einer ganz bestimmten Person, und einem Sprachpluralismus, der nicht nur das Wort Gottes erklingen lässt, sondern von ihm vorbereitet wird – wenn man in der Wahl der Zwölf eine Vorwegnahme von Pfingsten sehen will. In dieser Logik würden wir hier zu einem theologischen Status der Sprachen als eng mit dem Wort Gottes verbunden schließen, materiell, faktisch, stärker an der Enthüllung (dem Zuspruch des Sinns) beteiligt als an der Verhüllung, während wir in philosophischen Überlegungen über die Sprache eher eine metaphysische Tendenz sehen würden, einen spekulativeren Ansatz als in Verbindung mit der Offenbarung.

 

c. Der Geist

           

Nachdem betont wurde, dass Sprachen – einschließlich, und vielleicht sogar noch spezifischer, minorisierter Sprachen – sowohl mit dem Vater-Schöpfer, der sich durch die Rede mitteilt, als auch mit dem Sohn, der Logos und Zuspruch des Sinns ist, wenden wir uns nun der dritten Person der Trinität zu. Typischerweise wird der Geist als die passendste Person angesehen, wenn es um Sprachen in ihrer pluralistischen Dimension geht. Die Theologen verlassen sich auf das Zeugnis der Schrift. Infolgedessen stoßen wir hier auf die Idee der Gabe der Sprachen. Während der Logos dazu anregt, über die Beziehung zwischen dem Vater und dem Sohn nachzudenken, präsentiert sich der Geist eher als die „zum Leben erweckende Dimension“[185], die auf der Ebene der menschlichen Person, aber auch in den zwischenmenschlichen Beziehungen wirkt. Amos Yong verdeutlicht dies, wenn er einen Geist beschreibt, der die persönliche Dimension und die zwischenmenschliche Dimension koordiniert. Indem wurde betont, wie stark die Sprachen - und nicht nur der Begriff der Sprache an sich - mit den ersten beiden Personen der Trinität in Verbindung stehen, findet das Konzept „Sprachen“ eine besondere Resonanz, wenn es um persönliche und zwischenmenschliche Dimensionen geht. Um das Zusammenspiel zwischen die Sprachen und dem Geist zu untersuchen, verwenden wir drei von Amos Yong vorgeschlagene Paradigmen[186]: das personalistische Paradigma, das mit der paulinischen Vorstellung von Charisma übereinstimmt; das naturalistische Paradigma, das sich auf das Konzept des denkenden Organs bezieht; und schließlich das pluralistische Paradigma, das der Vorstellung der Ausgießung entspricht.

 

1. Der personalistische Geist: die Charismen

 

Indem sich der Geist als zum Leben erweckende Kraft manifestiert, eine Kraft, die das Selbstbewusstsein auf zwischenmenschliche[187] Beziehungen hin ausrichtet, was sich damit übersetzen lässt, dass der Geist auf Andere hin orientiert und die Selbsterkenntnis durch die Erkenntnis Gottes geschieht, ging Paulus sogar so weit, Gottes Wirkung durch den Menschen genau zu beschreiben: „Es sind verschiedene Arten von Gnadengaben [διαίρεσεις χαρισμάτων], aber derselbe Geist [τὸ δὲ αὐτὸ Πνεῦμα]. Es sind verschiedene Arten von Dinsten [διαιρέσεις διακονιῶν], aber derselbe Herr [ὁ αὐτὸς Κύριος]. Es sind verschiedene Wirkungsweisen, aber aber derselbe Gott, der alles in allen wirkt.“ (1 Kor 12,4-6)[188]. Der Rückgriff auf die Vorstellung des Charismas bietet somit die Gelegenheit für eine Artikulation zwischen der Verschiedenartigkeit (διαίρεσις) der die Bauausführung und dem Baumeister, Figur des Selben. Das Verb ἐνεργέω (wirken, bei der Arbeit sein) erinnert an das letzte Ziel göttlichen Wirkung, nämlich die οἰκοδομή (Auferbauung). Die Gabe der Sprachen, die Verschiedenartigkeit der Gaben, sind nicht Selbstzweck, sondern ein Mittel. Das Vielfältige ist nicht der Ausdruck des Einen, sondern nur eine mögliche Ausdrucksform des Einen unter vielen. Doch im Hinblick auf das Handeln Gottes besteht eine perfekte Übereinstimmung von Inhalt und Form, und die Verwendung der Verschiedenartigkeit ist ebenso hervorzuheben wie die Feier des Charismas und des Dienstes. Die Bedeutung des Begriffs διαίρεσις umfasst gleichermaßen Teilung, Verteilung und Unterschied[189]. Das Wort fasst somit zusammen: 1° die Teilung im Sinne der Organisation der Schöpfung, wie wir sie in Gen 10-11 gesehen haben; 2° die verteilende Wirkung; 3° die Wertschätzung des Verschiedenes. Die verteilende Dimension, die die Bedeutung am besten zusammenfasst, erscheint daher gleichermaßen als eine Handlungsweise des Geistes sowie als Ausdruck der distributiven Gerechtigkeit, wenn nicht gar ihre Würdigung. Diese Triade, die den paulinischen Begriff harmonisiert, passt auch hier zu einer Vorstellung einer universalen Grammatik (UG). Das Selbe findet nicht nur in der Sprachvariation Ausdruck, sondern zeigt auch im Variation ein Spiegelbild der Gerechtigkeit, die wir aufzubauen berufen sind. Die Sprache, in ihrer Vielfalt, ist eine Vorwegnahme der zu erbauenden Welt.

 

2. Der naturalistische Geist: „Das bildende Organ des Gedankens“

 

Amos Yong beschreibt durch das zweite vorgeschlagene Paradigma den Geist so, wie ihn ein naturalistischer Ansatz betrachten kann. Der Theologe charakterisiert das naturalistische Paradigma als monistisch[190] und verknüpft ihn mit der cartesianischen Revolution. Diese Logik erscheint reduktionistisch, da die Verschiedenartigkeit, die durch den personalistischen Geist gefeiert wird, durch den naturalistischen Ansatz zu Phänomenen oder sogar einfachen Epiphänomenen wird. Etwas geht verloren, und es ist angebracht, die Kosten einer solchen Reduktion zu hinterfragen, wie Yong es tut: „Ist der Preis eines solchen Naturalismus gerechtfertigt, wenn am Ende die vielen Geister nichts weiter als Epiphänomene sind, reduzierbar auf die Abläufe der materiellen Welt?“ [191]. Die Beziehung zwischen dem naturalistischen Geist und den menschlichen Sprachen ruft die Vorstellung von Sprache im Humboldtschen Sinne hervor, wo ihre Funktion, wie es in der bekannten Formel heißt, „das bildende Organ des Gedankens“ [192] zu sein. Diese rationalistische Herangehensweise ist ambivalent. Auf theologischer Ebene neigt sie dazu, ins Spekulative abzudriften, indem sie versucht, den Zusammenhang zwischen den Produktionen des menschlichen Geistes und dem Heiligen Geist fast mechanisch zu klären und mögliche Interaktionen zwischen beiden zu präzisieren. Hingegen unterstützt die humboldtsche Sichtweise im Hinblick auf minorisierte Sprachen die Rechtfertigung der Verschiedenartigkeit. Das Korollar der humboldtschen Definition besagt nämlich, dass „Das Wesen der Sprache darin besteht, die Materie der Erscheinungswelt in die Form der Gedanken zu gießen.“[193] Die reduktionistische Versuch wird vereitelt: Was einmal ein Epiphänomen war, reduzierbar auf eine höhere wissenschaftliche Regel, wird zu einem Phänomen, einem Gegenstand der Wissenschaft und ist würdig der wissenschaftlichen Betrachtung. Diese Idee, dass Sprache die Wahrnehmung vermittelt und organisiert, könnte sich in einem zweiten Schritt auf den Erzählung und allgemeiner auf die Semiotik erstrecken. Die Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen an sich bildet ein umfassenderes Bedeutungssystem als die Botschaften, die sie vermitteln. Wir finden eine Parallele zu dieser Erweiterung von der Soziolinguistik zur Semiotik in der Theologie. Die Befreiungstheologien und, neuerdings, die kontextuellen Theologien haben die Bedeutung von Erzählungen betont, die in verschiedenen Realitäten und Traditionen verwurzelt sind: „Die Befreiungstheologie hat Themen in den Vordergrund gerückt, die in der vorherrschenden christlichen Tradition vernachlässigt wurden. Es war wichtig, alternative Berichten wiederzuentdecken, sei es vernachlässigt oder begraben.“[194] Der naturalistische Ansatz zum Geist, in seiner am besten mit der Theologie kompatiblen Ausdrucksweise, würde daher dazu neigen, den Sprachen einen theologischen Status zu bestätigen, indem sie als Phänomen dargestellt werden, in dem sich der Heilige Geist manifestiert, aber auch als ein Phänomen, das es uns ermöglicht, über die dritte Person der Dreieinigkeit nachzudenken.  Besser gesagt, würden die Sprache sich präsentieren als ein Phänomen, in dem der Heilige Geist zum menschlichen Geist hervortritt. Jede Verarmung der Verschiedenartigkeit wird zu einer verpassten Gelegenheit, sich über eine Manifestation des Geistes zu freuen.

 

3. Der pluralistische Geist: Das Ausgießen

 

Amos Yong bringt den naturalistischen Ansatz in Verbindung mit dem Thema der Entzauberung der Welt[195]. Eine pluralistische Pneumatologie wäre dementsprechend eine des ‚Wiederzauberung‘ der Welt. Wir haben festgestellt, dass die personalistische Dimension des Geistes nicht zwangsläufig mit einer personalistischen Kosmologie gleichzusetzen ist, sondern vielmehr eine Verbindung zwischen persönlicher Würde, zwischenmenschlichen Beziehungen und einer Antizipation der distributiven Gerechtigkeit darstellt. Wir haben gesehen, dass die personalistische Dimension des Geistes möglicherweise nicht die einer personalistischen Kosmologie ist, sondern vielmehr die Artikulation zwischen persönlicher Würde, zwischenmenschlichen Beziehungen und einer Antizipation auf die distributive Gerechtigkeit. Wir haben auch gesehen, dass eine naturalistische Dimension des Geistes mit all ihren Einschränkungen das reduktionistische Vorurteil umkehren kann. Die pluralistische Dimension sollte ihrerseits der Ausdruck des Geistes in seiner Fülle, in seiner Überfluss sein. In diesem Sinne zieht die reduktionistische Dimension die Konsequenzen aus der Umkehrung des Reduktionismus. Wir haben von Ausgießung gesprochen, einem Begriff, der Babel (confusio/σύγχυσις) und die Ausgießung von Pfingsten verbindet. Im Einklang mit der ursprünglichen Bedeutung der Ausgießung – dem Akt des Ausgießens einer Flüssigkeit – ist das pluralistische Paradigma eines von größerer Flüssigkeit: „Der zeitgenössische Pluralismus betont daher, wie verschiedene kulturell-linguistische Rahmenbedingungen funktionieren, um ihren Anhängern eine Vorstellung von einer von Geist erfüllten Welt zu ermöglichen.“[196]  Dieses Modell ist nicht nur kosmisch, sondern findet auch auf lokaler Ebene, innerhalb der Stadt, Ausdruck. Es hat eine konkrete Umsetzung und den Anspruch, ein Modell des Zusammenlebens zu sein. Diese Dimension, die auch die des Pluralismus des Geistes ist, führt auch wieder einen Grad an Naturalismus ein, in dem die Sprachen ihren Platz finden können. In diesem Kontext vermischen sich Transzendenz und Immanenz in einer panentheistischen Logik. Die Sprachen verkörpern an der Schnittstelle zwischen Geistigem und Kontingentem auf tiefster Ebene menschlicher Erfahrung die spirituelle Dimension der Realität. Wenn man versucht, die Verschiedenheit und das Spiel der sprachlichen Variation zu verringern, lehnt man in Wahrheit eine fundamentale Erfahrung dieser Verwirrung/Ausgießung ab, die im Innersten des Menschen das kosmische Gewebe oder den kosmologischen Prozess widerspiegelt. Man kann sehen: Die Betrachtung der Sprachen hinsichtlich ihrer Materialität, ihres Ausdrucks in der Zeit und ihrer ständigen Neigung zur Variation ist keine abschweifende Abstraktion, sondern vielmehr ein Eintauchen in die Welt der schöpferischen Vielfalt, der gerechten Verteilung und der Akzeptanz von Unterschieden. In dieser Logik sind die Sprachen im Innersten der menschlichen Erfahrung zu Gott hingeordnet, da sie seinen Geschöpfen ermöglichen, sowohl die Welt, die es aufzubauen gilt, zu erfahren als auch zu erkennen, dass diese zukünftige Welt keine starre und endgültige Konstruktion ist, sondern bereits grundlegend in das kosmische Gewebe eingebettet ist. Die Sprachen, insbesondere die minorisierte Sprachen, drücken somit etwas von dieser Welt aus, indem sie die Möglichkeit einer Kommunikation vermitteln, die die Diversität bewahrt, ohne die Reduktion oder Auslöschung von Unterschieden vorauszusetzen. Diese Möglichkeit fordert jeden Einzelnen auf, nicht nur eine entkörperlichte Botschaft auszutauschen, sondern sich genauso zu kommunizieren und denjenigen zu empfangen, der sich kommuniziert und mitteilt.

 


 

III. Universalismus oder Communio (Gemeinschaft und Teilnahme)

           

Die Wertschätzung der sprachlichen Verschiedenartigkeit hat sicherlich eine kirchliche Implikationen. Die Kirche sollte die Realität und die Sprachvarietät in ihrer Besonderheit fördern und wertschätzen. Die sprachliche Verschiedenartigkeit bildet die graundlegende Erfahrung der Kirche, in der die Kirche sich selbst als Realität als Realität begreifen konnte. Wir haben in unserer theologischen Auslegung von Apg 2 gesehen, dass die Realität von Pfingsten durch Pluralismus und Sprachvariation erfahren und gelebt wird. Amos Yong spricht von interkulturellem Verständnis und Gemeinschaft, die durch denselben Geist[197] ermöglicht wird. Der Begriff κοινωνία („Gemeinschaft“, „Teilnahme“) sollte helfen, Unklarheiten über das zu vermeiden, was wir von oder unter „der Gemeinsprache“ verstehen. Der Begriff kann Gelegenheit bieten, bestimmte theologische und sprachliche Unklarheiten zu klären. Welche Bedeutung hat ἡ κοινὴ διάλεκτος und welche theologischen und sprachlichen Implikationen sind damit verbunden?  Ist die Koiné die Gemeinsprache? Was bedeutet es für die Kirche, eine Gemeinsprache zu haben?

 

A. Eine gemeinsame Sprache oder ein gemeinsames Gespräch?

 

            Das postklassische Griechisch wird „Koiné“ genannt, wegen des hellenistischen Ausdrucks „ἡ κοινὴ διάλεκτος“, die gemeinsame Dialektform. Dieser Himweis erinnert an die dialogische Dimension[198], nicht nur als Ziel der gemeinsamen Sprache, sondern auch als Bedingung für ihre Entwicklung und Beständigkeit. Es bedeutet, von vornherein die Idee abzulehnen, dass die gemeinsame Sprache ursprünglich die Sprache einer der Parteien sein könnte. Es bedeutet schließlich, die distributive Dimension wiederzuentdecken, die in κοινωνία präsent ist und die wir in den biblischen Begriffen von διαίρεσις (Teilung, Verteilung, Unterschied), διάφορα (Röm 12,6) und διασπορά (Gen 11) begegnet sind. Das Präfix dia- konfrontiert das Präfix syn- (σύγχυσις, Gen 11), und die Vorstellung der Fusion, sei es explizit wie in Gen 11 oder durch die Metapher der Ausgießung in Apg 2. Aber wenn die Handlung des Ausgießens einer Flüssigkeit durch die Wurzel χέω hervorgerufen wird, dann ist es immer, um jegliche Fusion oder Verschmelzung (das Intensivum ist eine der Bedeutungen der Präfixe syn- oder cum-) vollständig auszuschließen. Hier finden wir die Unterscheidung, die in bestimmten Sprachen zwischen „mischen“ (vermengen) und „verrühren“ (homogen vermischen) besteht. Beim Mischen bleiben die Einzelteile weiterhin erkennbar, während beim Verrühren eine homogene Masse entsteht und die ursprüngliche Identität verloren geht. Eine ähnliche Unterscheidung sollte zwischen „verschmelzen“ und „in Gemeinschaft bringen“ gemacht werden.

Die Unterscheidung zwischen Fusion und Zusammenlegung findet sich in der Kirche wieder: Warum wird die Kirche, die von Grund auf mehrsprachig ist und von Vielfalt geprägt ist, von einem engen Konzept der Einheit eingeholt? Sicherlich bleibt die Kirche von Grund auf mehrsprachig, und die Arbeit der Bibelübersetzung dient der Erhaltung der Sprachen. Aber gibt die Kirche nicht der Vorstellung von einer Kommunikationssprache und einer gemeinsamen Sprache nach, die von einer der Parteien aufgezwungen werden kann? Hier findet sich erneut die Verwechslung zwischen dem Begriff der Sprache und den konkreten Sprachen in ihrer Verschiedenartigkeit wieder, aber der Didaktiker Pierre Escudé erinnert daran, dass „die Sprachen in erster Linie dazu dienen, zu konzeptualisieren (mehr als zu denken) und zu handeln (mehr als zu kommunizieren)“[199].

 

Die Sprachen, unter der Führung des Geistes Gottes und in seinem Dienst, dazu dienen, sich mit der Realität auseinanderzusetzen. Mit anderen Worten, die Sprachen werden als Werkzeug genutzt, um die Welt und die Wirklichkeit zu erforschen, zu verstehen und damit zu interagieren. Dieses spirituelle Engagement mit der Realität, das auf der Ebene der Konzeptualisierung und der Handlung liegt, überlappt sowohl mit dem, was die Theologie über den Geist weiß, der zum Handeln aufruft, als auch mit dem, was Amos Yong als „pneumatologische Imagination“[200]bezeichnet: Die Sprachen dienen dazu, zu konzeptualisieren, nicht trotz ihrer Verschiedenartigkeit, sondern gerade durch und in ihrer Verschiedenartigkeit selbst. Diese Realität, die auch die Realität der Kirche ist, sollte genutzt werden, um das Werk des Geistes und das Werk der Auferbauung, zu dem wir berufen sind, zu manifestieren. Die konzeptuelle Arbeit der Kirche findet tatsächlich bereits immer in dieser Begegnung, in diesem Dialog, in der „Zwischensprache“[201] (Interlangue) statt, aber die Kirche sollte sich nicht 1° die Aufgabe der Sprachkompartimentierung zugunsten nationaler Konstruktionen aneignen; 2° die Idee einer Hierarchie der Sprachen auf der Grundlage der vermuteten Universalität einer dieser Sprachen oder ihrer angeblich größeren Neigung zur Abstraktion übernehmen; 3° oder den Blick von der Auslöschung von Sprachen durch die dominante Sprache abwenden, die oft zur Sprache nationaler Kirchen geworden ist.

 

B. Der Universalismus

 

Wir werden den Begriff „Universalismus“ im Sinne einer Doktrin oder Ideologie, die das Universale als ein zu erreichendes  Ideal betrachtet, verwenden. Wir stellen dem den Begriff des „Universalen“ als gegebenen Zustand entgegen. Der Universalismus birgt die Gefahr, seine eigenen Werte anderen Kulturen aufzuzwingen, indem er sie als Werte präsentiert oder sich diese als Werte darstellt, die von allen einheitlich übernommen werden sollen. Wir sehen darin auf ideologischer Ebene das Äquivalent dessen, was Pierre Escudé als das Präsentieren einer Kirchturmperspecktive als Macht des Austauches[202] beschreibt, das die Sprache einer Gemeinschaft als die herausragende gemeinsame Sprache darstellt. Wir werden uns mit den Vorstellungen auseinandersetzen, die die Kirche möglicherweise in Richtung Universalismus drängen und warum dies problematisch ist.

 

a. Die unitaristische Vorstellung

 

Gott ist eins. Ist die Kirche eins? Ist Einheit der Wesenszustand des Einen? Das Vielfalt ist die Art und Weise, wie Gott dem Menschen begegnet[203]. Könnte man durch die Übereinstimmung zwischen Gott und der Kirche nicht versucht sein, im Vielfachen die Art und Weise zu erkennen, wie auch die Kirche dazu berufen ist, den Menschen zu begegnen? Die Frage des Universalismus, die indirekt die universalen Ziele der Kirche betrifft, wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Theologie des Paulus gestellt, eher durch die Philosophie als durch die Theologie selbst[204]. Alain Badiou lädt dazu ein, in Paulus den Gründer des Universalismus zu sehen[205], wobei die Gedanken von Paulus, laut dem Philosophen, um die Begriffe des Einen, des Universales und des Partikulares kreisen, wobei das Eine und das Universale dem Partikularen gegenüberstehen. Michel Quesnel sieht in Badiou einen Vertreter einer der beiden philosophischen Lesarten von Paulus[206]. Mit Giorgio Agamben repräsentiert Alain Badiou „das Paradigma eines universalistischen Christentums“[207].

Der französiche Exeget betrachtet das antithetische Paar Einzigartigkeit-Universalität und Partikularität als „fruchtbares Interpretationsmodell für das paulinische Denken“[208]. Das Judentum und der Heidentum würden auf eine Weltanschauung verweisen, in der sich die Völker und Zustände (Griechen, Juden, Männer, Frauen, Freie, Sklaven, etc.) nebeneinander stellen: Die Mannigfaltigkeit ist hier der Ausdruck eines „christuslosen Regimes“[209]. Dem letzten steht ein Regime in Christus entgegen, eine Welt, in der „das Partikulare seine Legitimität verloren hat“[210]. Das einmalige Christusereignis ist vereinigend. Michel Quesnel übernimmt nach Alain Badiou[211] den Begriff des Singulären: „Im Unterschied zum Partikularen gründet das Singuläre das Universale.“[212]

Das Hauptanliegen dieser philosophischen Linie ist der Kampf gegen jeglichen Relativismus. Es geht darum, die Wahrheit in ihrer Einzigartigkeit zu bewahren. Bei Alain Badiou kommt zu dieser Sorge noch eine Warnung vor den politischen Implikationen des Relativismus hinzu, aber auch vor seiner ideologischen Herkunft[213]. Dennoch könnte die Gleichsetzung der Versöhnung mit der Grundlage des Universalismus aus theologischer Sicht eine unbefriedigende Vereinfachung sein. Das ansprechende interpretative Modell des paulinischen Denkens ist unzureichend oder zumindest enttäuschend, wenn man das Kerygma betrachtet. Kann die Inkarnation mit dem Zelebrieren eines homogenisierenden Universalismus gleichgesetzt werden, einem Universalen, das keine Spur mehr von der Einzigartigkeit des Partikularen trägt? Würde uns die paulinische rhetorische Kunst der Paradoxien dazu bringen, in der Inkarnation eine Einladung zur Entkörperung, zur Abstraktion im Namen der Einzigartigkeit der Wahrheit zu sehen? Dabei vergessen wir, dass Jesus auf die Frage des Pilatus, „Was ist Wahrheit?“ (Joh 18,38), eine typisch griechische oder römische Fragestellung, nicht antwortet.

 

b. Idealismus, Platonismus, Absolutierung

 

Der Jesus, der Pilatus nicht antwortet, hat verkündet: „Ich bin die Wahrheit“. Diese Wahrheit, die der Philosoph vor dem Relativismus schützen möchte, wurde von seinen Jüngern verlassen, gedemütigt und gekreuzigt. Ist das Kreuz jedoch der Übergang vom Partikularen zum Universalen, bei dem die Kreuzigung des diglossischen, galiläischen Juden das Partikulare repräsentiert und die Auferstehung das Aufkommen des Universellen darstellt? Dies ist zweifellos eine völlig unmögliche Lesart in der christlichen Theologie. Sie ist auch aus philosophischer Sicht unbefriedigend. Die Mannigfaltigkeit zu zelebrieren bedeutet nicht, für das Partikulare Privilegien oder einen hegemoniale Status zu fordern. Die Einführung des Begriffs der Singularität scheint hier eher ein Trick zu sein. Die Singularität im Bereich des Einzigartigen und die Partikularität im Bereich der Mannigfaltigkeit  scheinen sich tatsächlich nur durch diese Forderung zu unterscheiden, den Anspruch der Partikularität auf irgendeine Überlegenheit gegenüber anderen Partikularitäten. Tatsächlich sind die minorisierten Sprachen - die Mannigfaltigkeit, die sich an Pfingsten äußert - nicht die Forderung nach irgendeiner Hegemonie, sondern die Ablehnung, homogenisiert und vernichtet zu werden, die Weigerung, nicht genau als Person, als Singularität anerkannt zu werden.  Man könnte sagen, dass der christliche Universalismus genau die Person anerkennt und sie von engstirnigen Gemeinschaften befreit, und das ist gut so. Aber ist es nicht ein wenig zu schnell vergessen, dass diese Befreiung von jeglichem identitären Kommunitarismus jeden identitären Kommunitarismus betreffen muss, einschließlich des oder derjenigen, die für sich eine Mehrheit beanspruchen? Die nationale Erzählung, patriarchale Modelle und aufgezwungene Sprache bieten Gelegenheit für verschiedene identitäre Kommunitarismen, es sei denn, man bringt das Universale mit der Mehrheit und das Partikulare mit der Minderheit in Verbindung. In der Tat wurde die Kirche an Pfingsten gerade durch den Geist (ruaḥ) gegründet, indem sie alle Sprachen einschließt, und auch heute bemüht sich die Kirche darum, alle Sprachen zu sprechen. Darin besteht unter anderem ihre Katholizität, und nicht in dem Anspruch, eine bestimmte Mehrheitstatsache zu verkörpern, den die natürliche Theologie manchmal zu rechtfertigen sucht.

           

Trotz des griechischen Beitrags zum Denken der Kirche und der Beitrag des Platonismus zur christlichen Theologie hebt sich letztere deutlich von der Philosophie in Bezug auf die Wahrheitsfrage ab. Der apologetische Charakter einer Philosophie, die die Wahrheit als Absolutes verteidigt, steht im Gegensatz zu einer Theologie, die verkündet Gott als den Gekreuzig, einen Gott, der sich selbst beschränkt, einen Gott, der nicht als Götze angebetet werden will. Diese Einladung zur Entabsolutierung begegnet dem Menschen in seiner Person, in der soziale und historische Realität ihren Platz findet und von der er/sie nicht gefangen sein sollte. Diese Einladung bedeutet jedoch nicht, sich einer Mehrheitsrealität anzuschließen, deren Verdienst es bestenfalls wäre, die Partikularitäten zu unterordnen. Eine solche Anwendung der Leib-Seele-Dichotomie auf die Sprachen ist recht üblich. Man feiert eine bestimmte Sprache als fähig, sowohl das Konkrete als auch das Abstrakte auszudrücken, sogar das Abstrakte in Konkretes zu verwandeln und das Konkrete mit der Macht der Abstraktion zu umgeben.

 

c. Dualismus

 

Die zweite Gruppe von Philosophen, die von Michel Quesnel identifiziert wurde, „reflektiert von der paulinischen Vorstellung des Leibes aus“[214]. Es erscheint uns bedeutsam, den impliziten Dualismus in der Unterscheidung zwischen Universalität und Partikularität zu erwähnen, um ihn dann zu hinterfragen. Der Leib ist nämlich der natürliche Ort des Partikulären. Der Leib existiert notwendigerweise in Raum und Zeit. Nach dem Tod bleibt er im Zeit-Raum-Gefüge gefangen. Das Universale würde daher in die Seele gehören. Folglich könnten die hegemonialen Sprachen diejenigen sein, die sich dem stärksten einem entkörperten Prinzip annähern. Das Partikulare hingegen wäre dem Leib zuzuordnen, und die minorisierten Sprachen würden an seiner Seite stehen. Eine solche Anwendung der Leib-Seele-Dichotomie auf die Sprachen ist recht üblich. Man lobt eine bestimmte Sprache als fähig, sowohl das Konkrete als auch das Abstrakte auszudrücken, sogar das Abstrakte in Konkretes zu verwandeln und das Konkrete mit der Macht der Abstraktion zu umgeben. Angesichts dessen sollte jedoch betont werden, dass der Dualismus ein Beitrag der Kirchenväter ist und daher eher griechischer als skripturaler Natur ist.

Als Paulus von einem „pneumatischen Leib“ spricht (1 Kor 15,44), bezieht sich die Wendung σῶμα πνευματικόν nicht nur auf einen Zustand des Leibes nach dem Tod, sondern die in 1 Kor 15,35-58 zum Ausdruck gebrachte Gegensätzlichkeit zwischen Seele und Leib ist auch hier immer noch unvereinbar mit irgendeinem Dualismus, da sie Leib und Geist eng miteinander verbindet und durch ihren eschatologischen Charakter retrospektiv das irdische Leibliche im Licht des himmlischen Ideals erscheinen lässt. Die Seele hingegen ist auf ihre materiellste und vergänglichste Definition beschränkt. Dieter Zeller drückt es so aus, indem er 1 Kor 15 mit Röm 2 in Verbindung bringt: „Gemeinsam aber ist beiden Passagen die Auffassung von der „der Seele“: sie ist das Prinzip eines nur auf das Irdische beschränkten […] Lebens.“[215] Die Seele wird hier verstanden als das Prinzip, das den Leib während des Lebens durchdringt, während der Geist das ist, was denselben Leib nach dem Tod durchdringt: „Dadurch soll klargestellt werden, dass der pneumatische Leib nicht aus „Geist“ besteht – ebensowenig wie die seelische nur aus Seele –, sondern ganz vom Geist Gottes erwirkt und durchwirkt ist. Dies hat freilich Folgen für die Beschaffenheit (ποιότης) des Leibes.“[216] Die Fokussierung auf den Leib in der Schrift, sei es dass die Schrift den Leib als das Ganze eines Lebens ansieht, sei es dass sie eine Auferstehung dieses Leibes in Erwägung zieht, ist eine weitere starke Verankerung im Partikularen.

Indem sie die letzte Rationalisierung oder Abstraktion des Körpers ablehnt, verbietet die Schrift, das universale Wesen des Christentums - seine Katholizität - zu schnell mit dem philosophischen Universalismus zu verwechseln. Die Rolle, die der Leib auch nach dem Tod noch einnimmt, ist ein weiterer Aufruf, seinen Platz in der Heilsökonomie zu respektieren. Wie Pierre Bühler betont: „Das Heil wird durch sensorische Realitäten verwirklicht: Das Wort wird ausgesprochen; die Sakramente werden vollzogen; die Gesten des Glaubens, der Liebe und der Hoffnung werden in sichtbaren Gemeinschaften von Menschen vollbracht.“[217] Die geerbte Sprache ist zweifellos keine der geringsten dieser sensorischen Realitäten. Und die Gesellschaft, die durch eine Sprache geformt wird, ist keine der geringsten sichtbaren Gemeinschaften.

 

d. Herausforderung des westlichen Exzeptionalismus: Die vielseitige Universalität

 

Kann die Theologie der Religionen einen westlichen Partikularismus verteidigen? „Die Kirche [...] ist sich der historischen Partikularität der westlichen Kultur viel stärker bewusst, jener Kultur, die während zweitausend Jahren die dominierende Kultur war, die der christlichen Theologie zugrunde lag.“[218] Diese Behauptung scheint die kulturelle Verschiedenartigkeit Europas zu übersehen – zumindest aus der Sicht der Soziolinguistik der minorisierten Sprachen – und sie auf einen zwar einzigartigen und wertvollen, aber nicht der realen kulturellen Diversität entsprechenden Dialog zu reduzieren: „Genau wie das Evangelium in seiner Berufung zur Universalität die Dualität zwischen Jude und Grieche überwunden hat, muss es heute auch die Dualität zwischen Westlichem und Nicht-Westlichem überwinden.“[219] Wir nehmen die zweite Hälfte der Aussage zur Kenntnis und betonen gleichzeitig, dass Europa nicht gleichbedeutend ist mit dem gesamten Westen. Es ist wichtig, sich davor zu hüten, der gesamten europäischen Identität eine westliche Identität überzustülpen. Alle Europäer und europäischen Kulturen, insbesondere im Hinblick auf autochthone und minorisierte Kulturen, können nicht mit der Geschichte des westlichen Denkens gleichgesetzt werden. Die Tatsache, dass diese Kulturen unter der Aufzwingung westlichen Denkens gelitten haben, sollte eine solche Gleichsetzung verbieten. Der tertius quis, „der andere Nicht-Okzidentale, weder Jude noch Grieche“, kann genauso gut Baskisch, Friesisch oder Salentinisch sein. Die Unkenntnis der eigenen sprachlichen und kulturellen Vielfalt, die von denselben Theologen der Religionen geschätzt wird, birgt die Gefahr, andere Kulturen als homogene, einsprachige Blöcke anzugehen. Es ist daher angebracht, darüber nachzudenken, was Claude Geffré als „die glückliche ‚Ehe‘ von Christentum und Hellenismus“[220] bezeichnet.

            Die Reserven sind stark, selbst von Seiten der Theologen des religiösen Pluralismus, wenn es darum geht, die hegemoniale Position zu hinterfragen, das heißt, die westliche Dimension der Theologie: „Man sollte vorsichtig sein, dass unter dem Vorwand der Inkulturation kein kultureller Regionalismus begünstigt wird, der das Christentum jeweils von einer neuen Kultur abhängig macht.“[221]Man kann die Spannungen verstehen. Das Gebet des chinesischen Theologen Hua Wei – „Möge der Geist Gottes der weltweiten Kirche in China helfen, nicht das ‚Christentum in China‘ zu sein, sondern das ‚chinesische Christentum‘“ – erinnert an die Verflechtung von sprachlichen und kulturellen Fragen. Dieses Gebet kann auf zwei völlig widersprüchliche Arten verstanden werden. Die Akkulturation kann ein Zeichen für eine vollständige Unterstützung durch eine Kultur sein, in diesem Fall der chinesischen Kulturen. In diesem Sinne ist sie eine Ablehnung einer Übertragung, hier nicht des Christentums selbst, sondern der westlichen Auffassung des Christentums. Aber die Akkulturation kann auch eine Ablehnung der universalen Bedeutung und Univozität der christlichen Botschaft sein. Es ist leicht vorstellbar, dass Hua Wei zur ersten Lösung einlädt und nicht zur zweiten. Ebenso kann man den Aufruf, „die Einheit des menschlichen Geistes aufrechtzuerhalten“[222] verstehen, als Reaktion auf eine Polarisierung der Welt zwischen den „Gefahren des Regionalismus“[223] einerseits und denen einer „immer mehr undifferenzierten und eindimensionalen Welt“[224] andererseits. Jedoch haben wir Schwierigkeiten, Claude Geffré in dem zu folgen, was anscheinend eine Essentialisierung bestimmter kultureller Aspekte ist. Es ist schwer zu verstehen, dass einige Bereiche der weltweiten Theologie höchstens eine regionale Kuriosität darstellen würden, während sie den menschlichen Geist, nichts weniger als das, zu seiner Auflösung und Zerfall führen würden, während allein die westliche Ausarbeitung die Integrität des theologischen Denkens garantieren würde.

            Die Dynamiken, die die zeitgenössischen theologischen und kirchlichen Herausforderungen durchdringen, finden dabei zahlreiche soziolinguistische Akzente. Die Missiologie hat als erste erkannt, dass sich die Ausrichtung der Mission umgekehrt hat. Dies zeigt sich in einer kurzen Zusammenfassung aktueller Forschungsarbeiten zu missionarischen Anliegen, die von Amos Yong vorgestellt wurde: „Während niemand die Beiträge christlicher Missionare, insbesondere bei der Bewahrung der Sprachen indigener Kulturen (Sanneh 1989), kleinreden sollte, dürfen wir auch nicht die vielen Möglichkeiten übersehen, auf welche nicht-westliche Lebensweisen abgewertet wurden. […] Christen in der Mehrheit der Welt, die einst das Ziel der Missionierung waren, sind heute in massiven Anstrengungen engagiert, die westliche Welt erneut zu evangelisieren (z. B. Währisch-Oblau 2009). […] Andererseits gibt es auch das Gefühl, dass die zeitgenössischen theologischen Formulierungen des Christentums weiterhin von westlichen kulturellen Formen und Ausdrücken dominiert werden, die durch die Missionierungsbewegung perpetuiert werden (Rah 2009).“[225]

            Ein theologischer Ansatz, der sich auf lokale Erfahrungen, die Achtung des Lebendigen und seiner Lebendigkeit konzentriert, erinnert uns erneut an Gen 10–11 und Pfingsten - das Wirken des Geistes durch Verschiedenartigkeit und Variation. Dieses Bedürfnis nach Gerechtigkeit, nach einem Katholizismus (ich meine das Christentum als καθολικός), der kein verdrehter Universalismus ist, lädt uns zur Erfindung des Neuen ein – manchmal die Entdeckung bereits vorhandener Schätze, die wir aufhören müssen zu zerstören – zur Hoffnung also, einer Vorstellungskraft, die im Dienste des Gebots der Liebe zur Schöpfung steht.

 

C. Neudefinition von Katholizität: Theologische Perspektiven

 

Die Begriffe der Katholizität und κοινωνία müssen daher im Zusammenhang mit dem, was Claude Geffré als eine natürliche Berufung der Kirche zum Universalen darstellt, genauer definiert werden[226]. Unserer Meinung nach kann der Schritt zwischen dem, was einerseits zur Berufung der Kirche gehört und die universale Absicht Gottes betrifft, und andererseits einem fragwürdigen Universalismus nicht so leicht überschritten werden. Die universale Absicht Gottes betrifft das Heil, nicht die Homogenisierung, die von Anfang an durch die Zerstörung von Babel verurteilt wurde. In Bezug auf 1 Tim 2,4-6a („Er will, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen. Denn: Einer ist Gott, / Einer auch Mittler zwischen Gott und Menschen: / der Mensch Christus Jesus,  der sich als Lösegeld hingegeben hat für alle“) erinnert Geffré daran, dass „einerseits die universale Absicht Gottes bekräftigt wird, aber andererseits wird betont, dass es kein Heil außerhalb des ausdrücklichen Wissens von Jesus Christus gibt.“[227] Die Universalität betrifft also tatsächlich das Heil. Darüber hinaus ist diese Universalität mit dem Willen Gottes verbunden. Es ist unter anderem deshalb, dass die unsichtbare Kirche universal ist, weil sie die Menschen an ihre radikale Gleichheit in den Augen Gottes erinnert. Es lässt sich nicht daraus schließen, dass der göttliche Wille die Errichtung einer universalen Kirche durch Homogenisierung und Zerstörung den Partikularitäten beabsichtigt.

Gegenüber der eschatologischen Rede, die auf die Verwirklichung der unzerstörbaren Gemeinschaft[228] hinweist, mit ihren unitarischen Implikationen, ist es angebracht, daran zu erinnern, dass die Kirche „von Anfang an universal geboren wurde“[229]. Die Theologen sprechen vom proleptischen Universalismus. Aber ist es nicht besser, Verwirrung mit jeder Vorstellung von Universalismus zu vermeiden und sich stattdessen auf den universalen Willen Gottes, die grundlegende Gleichheit aller Menschen vor Gott und die gemeinsame Würde zu konzentrieren? So haben die Befreiungstheologien intensiv von der „paulinischen Vision des Leibes Christi, in dem alle ihre Rolle spielen“[230], Gebrauch gemacht, während der Einsatz des Universalismus-Begriffs zu einer Verwischung der katholischen Dimension der christlichen Botschaft geführt hat. Die Theologen, die sich mit der Frage des religiösen Pluralismus beschäftigen, haben die Verbindungen zwischen der Katholizität der Kirche und der Absolutierung des Christentums erkannt. Einige von ihnen, darunter Hans Urs von Balthasar, haben deshalb in Treue zur christlichen Botschaft selbst überlegt, von der Nicht-Katholizität der Kirche in ihrer historischen Dimension zu sprechen[231]. Balthasar gibt die Katholizität der Kirche in ihrer historischen Dimension natürlich nicht auf, aber im Rahmen des interreligiösen Dialogs erkennt er die Frage der Katholizität als einen kritischen Punkt. Unsere Herangehensweise, den Universalismus von der Katholizität zu unterscheiden, macht diese letztere zu einer gegebenen Tatsache (und nicht zu einer ideologischen Ausarbeitung), die anerkennt, wie die Partikularitäten sich als zum Gleichen gehörig erkennen können und somit der Einheit nicht im Wege stehen. Es ist die Homogenisierung und ihre Aufforderung, das Partikulare als Hindernis für die Einheit aufzugeben, die der Einheit die verszerrte Bedeutung dessen, was aus Integration resultiert geben.

 

            Kontestation der Exklusivität und Ablehnung des Absolutismus

 

Wenn Christentum und Exklusivität  zurecht als widersprüchlich wahrgenommen werden[232], umso mehr sollte es undenkbar sein, den Sprachen, die aus dem Nationalstaat hervorgehen, einen Status zuzugestehen, den die Kirche für sich selbst ablehnt. Die Theologen der Religionen drücken es so aus: „Dem Christentum sollte also keine Universalität verliehen werden, die ausschließlich Christus zukommt.“[233] Die Verknüpfung von Vorstellungskraft, Kreativität und Hoffnung sollte jedenfalls dazu führen, den Menschen nicht als eine Abstraktion zu betrachten, als eine formbare und modellierbare Universalität, ganz gleich, ob sie das Heil der Schöpfung verspricht, sondern vielmehr dem Geist zuzuhören, dem Prinzip der Belebung, dem Ferment der Verschiedenheit, der Neuheit und der Gerechtigkeit. Pierre Gisel sieht darin eine zeitgenössische Herausforderung im Verzicht auf totalisierende und homogenisierende Fantasien[234].

Wenn das Unrecht, das von Sprechern von Minderheitensprachen erlebt wird, nicht von einigen theologischen Implikationen abgelöst werden kann, wie zum Beispiel dem Verständnis von Einheit, Universalität oder bestimmten Dualismen, und wenn eine Befragung dieser dogmatischen Verständnisse legitim ist, kann man dennoch eine gewisse Entkopplung zwischen Orthodoxie und theologischem Stil feststellen. Wie Christopher Rowland betont, weicht „die Befreiungstheologie in ihrer Lehre wenig vom dominierenden theologischen Mainstream ab.“[235] Wenn man dem Theologen von Oxford in diesem Sinne folgt, konnten die Befreiungstheologien eine Sprache für Vielfalt und Respekt für Besonderheiten entwickeln, ohne die Bezugnahme auf das Universale zu verleugnen und ohne zu einem gewissen Relativismus zu führen. Gleichzeitig hat die Betonung der Befreiungstheologien auf das Wirken des Geistes unabhängig von kirchlichen Institutionen nicht die Bindung vieler Theologen und Akteure dieser Bewegung zur römischen Kirche in Frage gestellt. Unsere Position sieht ebenfalls keine Widersprüche zwischen Universalität und Partikularität und fordert, wie Aimé Césaire, eine Universalität, die „reich an allen Partikularitäten ist, Vertiefung und Koexistenz aller Partikularitäten.“[236]  Ein orthodoxer Ansatz in dieser Frage führt nicht dazu, Universalität und Partikularität zu trennen, sondern auch das Wirken des Geistes Gottes in oder außerhalb der Kirche nicht einzuschränken. Das betont auch Robert Jenson. Obwohl die Aktivität des Geistes insbesondere nicht auf die Kirche und ihre Vertreter beschränkt sein kann, ist der Geist Gottes, insbesondere als „Macht der Zukunft“[237], auch in der Kirche am Werk.

 

 

  

IV. Die Herausforderung der Fremden: Der Nächste oder der Bruder als Gnade[238]

 

„Der Tyrann der Geister will unsere Zungen ändern,

Zwingt uns, in einer fremden Sprache zu beten:

Der Geist Gottes, der Zungen verteilt, ruft uns auf,

Nur in unserer Muttersprache zu beten.

Es ist, die Kerze unter den Scheffel zu stellen:

Wer sich nicht erklärt ist den anderen barbarisch.

Doch wir sehen noch Schlimmeres in extremer Ignoranz,

Denn wer sich nicht versteht, ist ein Barbar für sich selbst.“

 

— Agrippa d'Aubigné, Les Tragiques (1615)[239]

 

Die Art und Weise, wie Gott den Menschen begegnet, und die Art und Weise, wie die Inkarnation uns ermöglicht, Gott in unserem Nächsten zu sehen, haben eine besondere Bedeutung für die minorisierten Sprachen, da die Begegnung mit dem anderen nicht darin bestehen kann, ihm eine Sprache aufzuzwingen. Behalten wir im Hinterkopf, wie bereits festgelegt, dass es durch den Geist ist, dass Gott den Menschen in der nachösterlichen Zeit begegnet.

           

A. Sich selbst als Fremder

 

Die Argumente für die Unauthentizität, der sich Sprecher von minorisierten Sprachen gegenübersehen, beruht unter anderem auf zwei impliziten Annahmen: 1° Sprache dient der Kommunikation (eine rein utilitaristische Funktion der Sprache); 2° Gleiches versteht am besten das Gleiche. Die erste Annahme wirft die Frage des Utilitarismus auf, verdient jedoch auch eine Anprangerung der soziodarwinistischen Aspekte: Hier übernehmen die hegemonialen Sprachen die Rolle der Fittesten. Wenn sie die minorisierte Sprachen dominieren, liegt dies daran, dass der Prozess der natürlichen Selektion sie als am besten geeignet ausgewählt hat. Man vergisst dabei leicht, dass die Minderheitssprachen bis heute überleben, und zwar unter Bedingungen, die eine beachtliche Eignung zeigen.

Es schien besonders relevant, beide impliziten Vorannahmen  mit einem anderen Konzept, nämlich dem des Nächsten, und insbesondere mit dem Konzept des Nächsten, wie es in der Parabel barmherzigen Samariter (Lk 10,25-37) dargelegt wird, zu konfrontieren. Auf die Frage τίς ἐστίν μου πλησίον; „Wer ist mein Nächster?“ (Lk 10,29) antwortet: Deine Frage hätte lauten sollen: „Wessen Nächster bin ich?“ Du bist der Nächste von demjenigen, dem du ἔλεος (Barmherzigkeit) erwiesen hast. Der so konzipierte Nächste ist nicht der Empfänger des ἔλεος, sondern derjenige, der ἔλεος gezeigt hat (Lk 10,37). Einerseits stellt diese Auffassung des Nächsten die utilitaristische Dimension menschlicher Beziehungen in Frage. Andererseits stört das Konzept des Nächsten das Verständnis des Gegensatzes zwischen dem Gleichen und dem Anderen. Das Konzept untergräbt tatsächlich diese beiden Implikationen: 1) durch die Bewegung, die das Konzept beschreibt. Laut der Gleichnisrede geht es darum, den anderen nicht als Nächsten zu betrachten, sondern sich dem anderen zu nähern und sich selbst zu einem Nächsten zu machen. Es ist eine Bewegung, die Sprecher von Sprachen mit starken dialektalen Merkmalen kennen, obwohl es sich um eine Bewegung, eine Haltung handelt, die nicht auf sie beschränkt ist. Jeder weiß intuitiv seine Sprache an seinen Gesprächspartner anzupassen. Die Anpassung der Sprache an das Verständnis des Gesprächspartners ist vielleicht das Wesen eines Gesprächs. 2) Das Konzept ist auch subversiv, weil es aus einem religiösen Gebot abgeleitet ist und das Duell zwischen dem Gleichen und dem Anderen durch die Einführung des „Ganz anderen“ bricht. Es ist daher möglich, die Frage nicht in Begriffen des Universalen (eine Sprache, die zu jeder Zeit und an jedem Ort gilt) oder des Gemeinsamen (Gemeinsprache) zu stellen, sondern in Begriffen des Dritten. Es könnte bereits erfreulich sein, nicht zu einer kreisförmigen Konfrontation verurteilt zu sein, sondern die Möglichkeit des Dritten führt auch die Möglichkeit der Vermittlung ein. Die Einführung des Ganz anderen in Verbindung mit dem Nächsten eröffnet in der christlichen Theologie zumindest neue Probleme. Zunächst kann der Ganz andere als absoluter Dritter verstanden werden, der dem Paar von dem Anderen und dem Gleichen völlig fremd ist. Wenn er ganz anders ist, ist er „weder das, was verbindet noch das, was trennt“[240]. Zweitens kann der Ganz andere natürlich als eine der Metaphern Gottes verstanden werden, und sein Bild wird auf die Figur dessen übertragen, wessen wir aufgerufen sind, der Nächste zu sein[241]. Schließlich ist das Konzept des Gleichen auf die Erkenntnis Gottes[242] ausgerichtet, wobei es die Dimension des Gleichen für das Selbst ablehnt.

Die minorisierte Sprachen sind die Sprachen, die von denen gesprochen werden, die nicht vollständig zur hegemonialen Sprache übergegangen sind. Diejenigen, die ihre Sprache aufgegeben haben, vor allem aus Gründen der sozialen Förderung, befinden sich in einem Zwischenstadium zwischen der Kultur, die sie zu ihrer eigenen machen wollen, und diesem eigenen Hintergrund, den sie nun als fremd empfinden. Dazu kommt, dass dieses Phänomen nicht unbedingt bewusst ist. In diesem Sinne bekommt die Idee, dass man auch sein eigener Fremder ist, eine sehr konkrete und intime Bedeutung. Der Theologe Pierre Bühler gibt dieser Frage eine breitere Bedeutung, aber seine Aussage kann auch aus soziolinguistischer Sicht gut verstanden werden: „Ich muss mich der Tatsache stellen, dass ich auch mein eigener Fremder bin. Deshalb bin ich bereit, den Fremden in mir angemessen zu behandeln, bin ich auch bereit, den Fremden vor mir angemessen zu behandeln.“[243] Diese „Thematisierung der Alterität aus der Perspektive des Selbst“, die Pierre Bühler nach Paul Ricœur aufgreift, passt besonders gut zum Sprachpluralismus. Er behandelt die Frage der Sprache nicht als Abstraktion, sondern wie sie sich manifestiert. Weiterhin kann man phänomenologisch eine Verbindung zwischen der unverwechselbaren Einzigartigkeit des Selbst und der Tatsache herstellen, dass wir gerade in dieser unverwechselbaren Einzigartigkeit des Selbst wie die anderen sind. Zwischen der unverwechselbaren Vielfalt der lokalen Dialekte und der Tatsache, dass die Dialekte und Sprachen in dieser unverwechselbaren Möglichkeit, sich zu individualisieren und gleichzeitig innerhalb einer größeren Sprache zu bleiben, nicht von anderen natürlichen Sprachen verschieden sind. Diese oft diskutierte Dialektik des Anderen und des Gleichen wird durch die bereits erwähnte Schöpfungstheologie beleuchtet. Die Herausforderung des Fremden erinnert nicht nur an die Beziehungsebene, sondern auch an die vergebliche Suche nach einer Selbsterkenntnis, die nicht zuallererst eine Erkenntnis Gottes wäre, hier durch die Figur des Fremden.

Wir sind bereits auf diese Bewegung der Rückkehr zu sich selbst durch den anderen gestoßen und haben festgestellt, dass das Neue - die Neuheit des Geistes - das ist, was wiederherstellt, aber auch das, was von dem, was dennoch am vertrautesten und intimsten ist, erstaunen kann. Man denke insbesondere an die Geschichte von Eisik, Sohn des Yekel, aus Krakau[244]. Die Zirkulation zwischen dem Selbst, dem anderen und dem Gleichen, dem Einen und dem Vielen ruft nach der Logik der Rückkehr: Im Gegensatz zur „griechischen Philosophie, die behauptet, dass nur das Ähnliche das Ähnliche erkennen kann, gibt es eine andere, biblische Logik, die besagt, dass das Unähnliche den Anderen in seiner Alterität erkennen soll.“[245] Die radikale Nicht-Reziprozität, die zur Diglossie führt, ist ein extremes Beispiel für die Weigerung, den Anderen in seiner Andersartigkeit anzuerkennen. Der hegemoniale Andere erkennt Sie nicht nur nicht in Ihrer Andersartigkeit an, sondern leugnet sie einfach.

Kann die Liebe der Feinde bis zur Akzeptanz der eigenen Auslöschung? Gegen eine solche Idee behauptet François Jullien, dass „die Toleranz zwischen kulturellen Werten […] darf nicht daraus hervorgehen (sie darf es nicht, weil sie es nicht kann), dass jeder, ob nun Person oder Zivilisation,  die Prätention seiner eigenen Werte reduziert oder seine Zustimmung zu ihnen abschwächt oder sogar eine Positionen relativiert, […] wobei jeder sich bemüht, seine Auffassung abzuschwächen.“[246].  Diese Ablehnung ist notwendig, um die Alterität aufrechtzuerhalten und die Fusion zu verweigern, die eine reine Verneinung des Nächsten ist, die Verneinung, dass der Nächste überhaupt jemals der Nächste war. Jullien plädiert nicht jedoch für die Schaffung neuer inklusiver Gruppen, die feindlich gegenüber der hegemonialen Gruppe wären.  Im Gegenteil, der Philosoph ruft zur gegenseitigen Verständigung und Zusammenarbeit auf: „Eine solche Toleranz kann nur aus einer geteilten Intelligenz kommen, also daher, dass jede Kultur, jede Person sich in der eigenen Sprache die Werte der anderen verständlich macht und sich dann von ihnen ausgehend reflektiert – also auch mit ihnen arbeitet.[247] Er fasst seine Aussage wie folgt zusammen: „Anders gesagt, die Lösung liegt nicht im Kompromiss, sondern im Verstehen.[248] Diese Verständigung entfernt sich jedoch, wenn die Sprache des Anderen als untergeordnet oder optional betrachtet wird. Das Verständnis erfordert zwangsläufig die gegenseitige Verständigung, das heißt die Rückkehr zu den natürlichen Sprachen, die als Dialekte verstanden werden, als Gletschersprachen, die das Sediment der Jahre tragen, und nicht als im Voraus abstrakte Sprachen, die vorgeben, die Realität aus dieser reduzierten Perspektive[249] heraus zu erfassen.

 

Der Andere als Selbst

 

Der Gedanke von Ricœur über die Andersheit wird durch einen Brief von Hölderlin, den Ricœur in seiner Eröffnungsvorlesung an der protestantisch-theologischen Fakultät Paris zitiert, auf wunderbare Weise erhellt: „Das Eigene muß so gut gelernt sein, wie das Fremde.“[250] Für Hölderlin erreicht der menschliche Geist sein wahres Selbst nur, indem er durch den Anderen geht, in einer doppelten Beziehung von Polarität und Gleichheit zwischen Eigenem und Fremdem, durch die Anerkennung des Anderen, den jeder in sich trägt, denn wir sind nie identisch mit uns selbst[251]. Dies verhindert, sich selbst als Norm zu nehmen und zu versäumen, seine eigene radikale Alterität oder tiefgreifende Fremdheit anzuerkennen[252]. Durch die Neubestimmung der Alterität vollzieht Hölderlin eine Umkehrung der Polarisation von Selbst und Anderem und ermöglicht deren Überwindung. Durch die Diglossie öffnet sich die minorisierte Sprache dem Anderen auf Kosten ihrer Vernichtung, während die hegemoniale Sprache ihren Monolinguismus, der eine anthropologische Partikularität darstellt, als Prinzip der Offenheit und Universalität proklamiert. Doch bedeutet es wirklich, dem Nächsten, dem Anderen offen zu sein, für die eigene Sprache das Privileg einer Einbahnstraßen-Kommunikation zu beanspruchen? Das, was Geffré als „die Verknüpfung zwischen der Universalität der christlichen Botschaft und der Vielfalt religiöser und kultureller Traditionen“[253] bezeichnet, basiert tiefgehend auf einer Reziprozität, die diejenigen streng verurteilt, die den Anderen, seine Alterität und somit seine Sprache nicht anerkennen. Im Gegenteil, für den Christen bedeutet es, dass er den Nächsten braucht. Geffré fasst es folgendermaßen zusammen: „Im Gegensatz zu jeglichem Imperialismus in Bezug auf Wahrheit und religiöse Erfahrung geht es für jede christliche Gemeinschaft und für das gesamte Christentum darum, das Zeichen dessen zu sein, was ihr fehlt.“[254]

 

B. Die prophetische Funktion

 

Genauso wie der Dialog mit anderen Religionen dem Gebot der Nächstenliebe entspricht, sollte auch der Platz, den wir den Sprachen und Kulturen einräumen, das gleiche Gebot widerspiegeln. Es ist nicht möglich, sich hinter einem vermeintlichen Universalismus oder einer vermeintlichen gemeinsamen Sprache zu verstecken. Claude Geffré spricht in diesem Zusammenhang von einer prophetischen Funktion: „Der Fremde erfüllt eine prophetische Funktion für ein besseres Verständnis seiner eigenen Identität.“[255]Diese prophetische Dimension muss zweifellos vor Provinzialismus, Besitzdenken oder jeder anderen Kirchturmperspektive schützen. Das tiefgründig dialektische Wesen der Sprachen, besonders ausgeprägt bei minorisierten Sprachen, verhindert eine Vereinheitlichung und zwingt im Alltag dazu, seine Sprache in unterschiedlichen Varianten zu hören oder ihre Geschichte durch vielfältige und dennoch eindrucksvolle Darstellungen neu zu entdecken.

            Dies beinhaltet die Ablehnung einer besitzergreifenden Denkweise und gleichzeitig die Begrüßung neuer Sprecherinnen und Sprecher[256]. Die Prinzipien der Gleichheit und Das Prinzip der Gegenseitigkeit (Reziprozität)  die im religiösen Dialog befürwortet werden, gelten auch für minorisierte Sprachen in dieser Phase ihrer Entwicklung: „Die Legitimation als Sprecher einer bedrohten Sprache im Rahmen von Revitalisierungsprojekten ist von grundlegender Bedeutung, da der Erfolg solcher Projekte oft von ihrer Fähigkeit abhängt, neue Sprecherinnen und Sprecher für diese Sprachen zu gewinnen.“[257] Die Doppelbewegung im Pfingstereignis, die gleichzeitig zentripetal als auch zentrifugal ist, wirkt sich nicht nur nach außen aus (ad extra), indem es „zugleich zur Verwurzelung und Überwindung der Verwurzelung, zum Lokalen und zum Überwinden des Lokalen anregt“[258], sondern auch nach innen ein (ad intra) durch die Achtung der Sprachvariation, die Hyperlokalismus[259] einschließt oder auf den Zusammenprall einer revitalisierten Praxis hindeutet, die von neuen Sprechern beeinflusst wird, die von anderen Sprachen oder von der dominierenden Sprache geprägt sind.

 

C. Sich verschieben lassen: Einen alternativen universalen Weg

 

In dieser Sektion wird das Konzept der „Verschiebung“ als transformative Erfahrung erforscht, die zu einer Anerkennung einer alternativen Form der Universalität führt. Wenn Personen, die minorisierte Sprachen sprechen, auf Sprecher anderer minorisierten Sprachen treffen, durchlaufen sie einen Prozess der Ablenkung. Ebenso finden Individuen, die unterdrückten sozialen Gruppen angehören, oft bemerkenswerte Gemeinsamkeiten in den Herausforderungen, mit denen sie und andere Unterdrückte konfrontiert sind. Diese erstaunliche Überschneidung der Erfahrungen ermöglicht eine tiefgreifende Reflektion über die Notwendigkeit eines alternativen Universalismus. Die Notion des „Nächsten“ gewinnt dabei an Bedeutung, und es wird deutlich, dass eine Theologie des Nächsten eine lebenswichtige Rolle spielen kann, um den Ideologien des „herrschenden Universales“[260] entgegenzutreten. Diese Analyse zeigt auf, wie die Ablenkung als Brücke dienen kann, um die Kluft zwischen marginalisierten Gruppen zu überbrücken und eine inklusive, diversitätsbewusste und solidarische Gesellschaft zu gestalten.

 

a. Das Althusserianische Modell[261]

 

            Die Adjektive „minorisiert“ und „hegemonisch“ verfeinern ein Denkmodell, das aus einem materialistischen Rahmen schöpft.  Dieser materialistische Hintergrund  selbst macht intensiven Gebrauch von Paulus oder dem Phänomen „Christentums“, um sowohl ihr eigenes Verständnis des Universalen als auch ihre Definition von Ideologie zu erklären. In diesem Kontext stützen wir uns auf die Analyse von Julia Christ, die darauf abzielt, den Universalismus von der Universalität zu trennen, „geleitet von der Intuition, dass das Universale, das man bekämpft und verteidigt, keines ist.“[262]

                       

Rückblick auf eine materialistische Perspektive

 

Im vorherigen Kapitel sind wir auf die Idee eines Universalen gestoßen, das das einzige Spiegelbild der vorhandenen Kräfte sein würde. Die Frage der Dominanz ergibt sich hier daraus, dass „partikulare Vorstellungen sich als kollektiv geteilte Vorstellungen durchsetzen.“[263] Das Althusserianische Modell hebt sich von dieser Analyse ab, um die Ideologie selbst hervorzuheben. Diese „nicht-historische Realität“[264] reicht aus, um „das Verhältnis der Zwangsausübung der Institutionen gegenüber den Akteuren zu erklären, und nicht die Tatsache, dass es die Ideologie der Herrschenden ist.“[265]

 

Das Christentum erscheint hier als ein Beispiel dieser Ideologie, deren Funktion es ist, „als jede Ideologie die (sie definierende) Funktion hat, konkrete Individuen zu Subjekten zu ‚konstituieren‘.“[266] Dieser Mechanismus, den Althusser als „Anrufung“ bezeichnet, „weist Individuen einen Platz zu und gewährleistet ihre Identifikation mit diesem Platz.“[267] Dieses Modell führt zu einer Imitatio Christi – Imitatio Dei, verstanden als eine Akzeptanz des eigenen Platzes in der Welt oder „eine Liebe zu dem, was ist.“[268] entlehnt aus der politischen Ökonomie, „ein Modell, bei dem die Identifikation aller Individuen mit einer Qualität, die üblicherweise Gott vorbehalten ist, nämlich seine Allmacht, eine soziale Ordnung hervorbringt, in der das konkrete Universale, das Ergebnis spontaner Synthesen, sich in Form eines dominierenden Inhalts durchsetzt.“[269]  Diese Modellierungen des Universalen nutzen ein thematisiertes Christentum, das das Spiegelbild einer materialistischen Weltsicht ist und ganz klar im Widerspruch zum christlichen Glaubensbekenntnis steht, das genau diese Identifikation mit festen Rollen ablehnt und sich in einem Menschen verkörpert, der bereit ist, von seinem Weg abzuweichen (Mt 15,21-28) und die Selbstbeschränkung der göttlichen Allmacht nicht vergisst. Wir möchten die Idee des Nächsten in diesem Kontext untersuchen, jedoch ist es wichtig, sich auch weiterhin der Erwartungen der materialistischen Modelle aufgrund ihrer impliziten Voraussetzungen bewusst zu sein.

 

b. Das Operator „Alles“

 

Jean-Claude Milner zeigt sehr gut die Implikationen der Thematisierung des Christentums als Figur des Universalismus in der materialistischen Darstellung. Er tut dies durch das, was er den „Operator Alles“ (l’opérateur tout) nennt[270]. Milner, einer der Hauptvertreter der Theorie des „jüdischen Namens“[271], befasst sich implizit mit der Thematisierung des Christentums als Figur des Universalismus[272]  und bewahrt gleichzeitig die Thematisierung des „jüdischen Namens“ als Hindernis für die Homogenisierung. Der Philosoph und Linguist zeigt anhand von Tacitus[273], dass „durch ihre Riten und Bräuche die Juden verhindern [bzw. von dem römischen Historiker als Verhinderung wahrgenommen werden], dass man konsistent über alle Menschen sprechen kann. Sie machen die Verwendung des ,Operators Alles‘ unmöglich.”[274] Die Implikationen sind bedeutend: Das, was die Homogenisierung einer als von Natur aus homogen dargestellten Kultur bedroht, kann nur als Gegenbeispiel existieren: „Wenn die Wahrheit als ‚Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus‘ (immer, überall, von allen) definiert wird, wie ist dann ein Jude im Bereich der Wahrheit möglich? Die Antwort ist klar: Er ist es nicht, außer als Unterstützung für das Falsche und für alle Unzulänglichkeiten, die zwischen den Dingen und dem Verstand bestehen.“[275] Die Darstellung beschreibt die Mechanismen eines Prozesses der Unechtheit, des Verdachts gegenüber den minorisierten Sprachen, die beschuldigt werden, von Natur aus nicht zur gemeinsamen Arbeit, zum Gemeinwohl und zur Schaffung eines „Wir“ beizutragen. Diese Sprachen finden ihren Platz nur noch als Abschreckung, als Repräsentation dessen, was gemieden werden soll.

 

c. Das Christentum als Anti-Modell

 

Gegen den materialistischen Ansatz kehrt Jean-Claude Milner die Begriffe auf eine Weise um, die uns auf die Selbstbeschränkung der göttlichen Macht verweist: „Eine Theorie ist nur wahr, wenn sie nicht allmächtig ist.“[276]

 

1. Die Ablehnung dessen, was ist.

 

Der Mechanismus der Anfurung, wie von Althusser beschrieben, kann eine Verbindung mit einer Vorstellung des Christentum als christianitas in Einklang bringen – ein gesellschaftliches Modell und eine Zugehörigkeit zu konservativen sozialen Werten, die im Christentum etwas finden, um sich zu festigen. Es scheint jedoch schwieriger vereinbar mit einer christlichen Theologie zu sein, die einen Gott beschreibt, der Initiativen ergreift, der entwurzelt und in Bewegung setzt, und sich folglich als ein Störer sowohl der natürlichen Gesetze als auch der religiösen Gesetze und sozialen Konventionen darstellt. Eine solche Theologie erschüttert die Grundlagen und fordert eine radikale Neugestaltung unseres Verständnisses. Sie drängt uns dazu, uns mit dem Unbehagen auseinanderzusetzen, von einem Gott konfrontiert und transformiert zu werden, der unsere Erwartungen herausfordert.

 

            2. Die Verschiebung: Die Möglichkeit einer Abweichung

 

Wir haben die Begegnung zwischen Jesus und der kanaanäischen Frau erwähnt (Mt 15, 21-28). Die Exegese verbietet die verlockendste Interpretation, die, in der Jesus gewillt ist, seine Pläne zu überdenken. Dennoch stellt sie tatsächlich den „Operator Alles“ infrage. Wie Pierre Bonnard betont, „muss [Jesus] in die jahrhundertealte Geschichte einer partikularen Nation verstrickt sein […] Sein Partikularismus ist das Pfand seines Universalismus.“[277] Es ist gerade weil die Mission von Jesus in die Geschichte des erwählten Volkes eingebettet ist, dass sie eine universelle Bedeutung erhält. In beiden Fällen bleibt die Perikope ein Moment der Reflexion. Der Vers 27 markiert einen Wendepunkt[278], denn Matthäus führt durch den Mund der kanaanäischen Frau die Zustimmung zu einem Heil, das zunächst für Israel bestimmt ist, aber auch eine Auswirkung dieses ersten Geschenks zugunsten der Heiden in Betracht zieht. Ob Jesus seine Pläne ändert oder nicht, die Begegnung mit dem Anderen scheint dennoch eine Gelegenheit zur Einkehr zu sein.

 

            3. Die Selbstbeschränkung der Macht Gottes

 

            Schließlich basiert das von Althusser beschriebene Modell auf einer Identifizierung mit einem allmächtigen Gott, der auf eine lange theologische Tradition verweisen kann, die die Allmacht Gottes unterstützt. Es vernachlässigt jedoch sein grundlegendes Korollar, nämlich die Selbstbeschränkung Gottes, die Platz für die Schöpfung schafft. Die Identifizierung, die durch die „Anrufung“ ermöglicht wird, führt zu einem fusionellen Verständnis der Beziehung zu Gott, das die Theologie oder allgemeiner die Religion als Vermittlung, als Raum, der zwischen Gott und seiner Schöpfung aufrechterhalten wird, um eine Begegnung zu ermöglichen, außer Acht lässt. Religion ruft nicht dazu auf oder sollte nicht dazu aufrufen, Gott oder seine Mittler zu imitieren, sondern vielmehr die Unmöglichkeit dessen anzuerkennen. Es ist an diesen Beispielen, dass der Mensch seine Armut erkennt und sich an Gott wendet. Höchstens findet die Imitatio Dei ihren Platz in der Selbstbeschränkung, die den Menschen dazu führen muss, sich ebenfalls zu nähern, sich zum Nächsten zu machen, das heißt, nicht den ganzen Raum einzunehmen. Diese Distanz, die vor Verschmelzung schützt und Begegnungen ermöglicht, besteht darin, den Anderen nicht leicht zu verstehen. Die Nicht-Homogenisierung der Sprachen ermöglicht es, dass der Andere ein Rätsel bleibt, dass er einer praktischen Verständnisweise entgeht, die auch eine Aneignung ist. Wenn der Andere nicht völlig „das ganz Andere“ ist, so ist er dennoch nicht auf das Gleiche reduzierbar. Barmherzigkeit kann nicht bis zur Selbstvergessenheit, zur Vergessenheit der eigenen Sprache, gehen. Das Bewahren des Eigenen ist auch ein Kampf, um den Anderen nicht zu enteignen[279]. Die Kenosis bezieht sich darauf, die explizite Bedeutung des Gleichnisses vom barmherzigen Samariter zu verstehen und den Anderen nicht zu objektivieren, den wir gewohnt sind, den Nächsten zu nennen, aber dabei Gefahr der Aneignung laufen. Der Andere ist weder ein anderer “Ich” noch eine Gelegenheit, sich vor Gott zu profilieren, kurz gesagt, er ist weder mein Nachbar noch mein Nächster[280].

 

            d. „Der Bruder zur Gnade“[281]

 

            Letztendlich, wenn wir die Imitatio Dei im Kontext dieses unidirektionalen Akts der Barmherzigkeit für den anderen betrachten (durch den wir uns selbst zum Nächsten machen und es dem  im-traditionellen-Sinne Nächsten erlauben, ‚einfach‘ der andere zu sein), können wir auch über die Analyse von Bonhoeffer nachdenken: „Du bist ein Sünder, ein großer heilloser Sünder und nun komm als dieser Sünder, der du bist, zu deinem Gott, der dich liebt. Er will dich so, wie du bist, er will nicht irgend etwas von dir, ein Opfer, ein Werk, sondern er will allein dich.“[282] Das ist, nach Bonhoeffer, was die Gnade des Evangeliums verkündet und was wir sowohl für den anderen als auch für uns selbst verkünden können. Für den anderen, zu dem wir eingeladen sind, uns zu nähern, gilt diese Botschaft der Gnade, weil die Annahme des anderen nicht von irgendeinem Wissen über seine Person oder seine Qualitäten abhängt, sondern weil er von Gott so geliebt wird, wie er ist. Für uns selbst gilt die Botschaft der Gnade in dem Wissen, dass wir alle Sünder sind und dass wir als solche eine Gemeinschaft von Sündern bilden können. Einheit und Gemeinschaft sind nicht von Heiligkeit oder Vollkommenheit abhängig. Sie sind jedenfalls kein Voraussetzung dafür.  Für die Sprachen bedeutet dies, dass das wesentliche Wissen und die daraus resultierende Gemeinschaft die Universalität der Sünde ist. Jeder Versuch, die Gemeinschaft einer gemeinsamen Sprache oder einem universellen Referenzrahmen zu unterwerfen, wird daher als eine präbabelische Wiederherstellung verurteilt. Die Brüderlichkeit hat Vorrang. Diese letzte ist das Ergebnis keiner Homogenität, sondern der Universalität der Sünde und der Zugehörigkeit zu einem einzigen Meister (Mt 23,8). Hier wird das Gesicht-zu-Gesicht zwischen dem Anderen und dem Gleichen abgelehnt, weil Christus sich nicht nur im Anderen zeigt (Mt 25,40), sondern weil der Andere nach der Inkarnation die Stelle von Christus eingenommen hat. Bonhoeffer drückt es folgendermaßen aus:  „[Der Bruder] steht nun an Christi Statt.“[283] Bonhoeffer rechtfertigt dies in einem engeren Sinn für eine Gemeinschaft, die durch Beichte zugänglich ist, aber wir behalten uns das Recht vor, seine Aussage in einem weiteren und wahrhaft universalen Sinn zu verstehen, gerade wegen der Universalität der Sünde.

Sich als Sünder zu erkennen und im anderen jemanden zu erkennen, der der gleichen Bedingung unterworfen ist, sind beide Bewegungen als notwendige Voraussetzung (die Beichte) gesetzt. Das bedeutet, eine bequeme Vorstellung des anderen abzulehnen und nichts anderes als diese grundlegende Projektion zu projizieren. Es bedeutet, auf Wahlverwandtschaften zu verzichten, die darauf abzielen, Gemeinden auf Frömmigkeit aufzubauen, wie es Bonhoeffer anführt. Es bedeutet schließlich, das Urteil über den anderen und sich selbst aufzugeben, denn die Beichte ist ein Eingeständnis der Verletzlichkeit. Dabei denken wir an die minorisierte Sprachen als Sprachen der Verletzlichkeit.

 

Sprachen der Verletzlichkeit statt Utilitarismus

 

Das Eingeständnis, dass es unmöglich ist, beim anderen eine Identität zu finden, die auf absoluter Kontinuität beruht – eine Übereinstimmung mit einer vermeintlichen Identität – bedeutet anzuerkennen, dass „wohl nur die Ausschaltung einer unbestimmten Reihe von Identifizierungsversuchen, die das Material jener Erzählungen mit Deutungswert für den Rückzubg des Selbst bilden, [durchfürbar ist].“[284]. In diesem Sinne ist die dialektische Dimension von Sprachen außerhalb eines Prozesses der Einförmigkeit/Homogenisierung ein heilsamer und intimer Mechanismus, um die Alterität zu empfangen und zu fördern. Wenn wir akzeptieren, dass die Erkenntnis Gottes vorrangig ist und die Selbsterkenntnis nachrangig – oder, besser gesagt, unzuverlässig, indem Selbsterkenntnis darin besteht, sich als Sünder und armselig zu erkennen –, dann ergibt die Anpassungsverhaltensdimension (Konformität) nur Sinn als Anpassung an den göttlichen Willen (ἁγιασμός), nicht in der illusorischen Aufrechterhaltung des Selben. Es geht nicht darum, sich selbst zu konformieren, sondern dem zu entsprechen, was Gott für seine Geschöpfe will (1Thess 4,3a). Denn Gott befreit tatsächlich von der Tyrannei des Selben, weshalb man von ihm sagen kann, dass er alles neu macht (Apk 21,5). Ein Korollar der apophatischen Auffassung des Selbst[285] in der Gleichung „das Selbst als ein Anderer“, ist die Apophasie des Anderen und somit die begehrenswert apophatische Erfassung des Anderen.

Dem Anderen begegnen wir ausschließlich als unreduzierbar. Oder besser gesagt, wir sollten ihn nur als solchen begegnen. Wenn wir nicht bereit sind, den Anderen als unreduzierbar anzuerkennen, verpassen wir ihn. Es kommt wirklich zu einer Begegnung, nur wenn der Andere uns entgeht. Entweder kommt es dazu, dass er sich uns nähert, wie es bei Levinas der Fall ist[286], oder wir werden zu seinem Nächsten, gibt sich der Andere als unreduzierbar zu unserer eigenen Erfahrung. Doch in der Begegnung häufiger geschieht, dass der Andere durch unser eigenes Erleben, durch unser eigenes Verständnis der Welt betrachtet wird. Anstatt unreduzierbar zu sein, ist der Andere mit unserem bequemen Verständnis von ihm selbst behaftet. Auf diese Weise wird der Andere immer verfehlt.

Die Frage der Mediätät springt zurück, wenn wir bedenken, dass es nur im Anderen ist, dass wir uns dem „Ganz Anderen“ nähern lassen können, ja sogar sich selbst dem „ganz Anderen“ nahekommen können. Hier müssen wir aufhören, vom Sagen zum Gesagten zurückzugehen[287], sondern den Anderen als Theophanie empfangen, besser den Anderen als Gnade annehmen, für sich selbst und nicht als Mittler oder Reisebegleiter. Es gibt jedoch eine Spannung zwischen dieser Möglichkeit, der „ganz Andere“ im Anderen zu begegnen, und der Möglichkeit, dass der „ganz Andere“ ganz im Anderen ist. Auf philosophischer Ebene hat Ricœur die Spannung bei Levinas erkannt: „Wie kann man das Plädoyer [...] für die Unreduzierbarkeit des Sagen zum Gesagten mit der Rede [...] über die Nähe in Einklang bringen?“[288] Kann man sich vorstellen, dass diese Unreduzierbarkeit des Anderen, vom „ganz Anderen“ zum Anderen, als ein Kontinuitätsband zwischen der Ehre Gottes und der Würde des anderen verstanden wird? Diese Unreduzierbarkeit des Anderen, diese Begegnung, die nie mehr als eine Annäherung ist, diese immer flüchtige Nähe, die die Begegnung bietet, wird oft als Störung[289] erlebt. Vieles erinnert im Treffen des Anderen an den „ganz Anderen“. Auch er ist mit unserem bequemen Verständnis von Gott behaftet, auch er wird immer verpasst –zumindest intellektuell –, auch er stört. Mit einem Vorbehalt: Es ist Gott, der sich nähert und Gott, der sich bekannt macht, sicherlich gemäß der Dialektik der Verhüllung/Enthüllung, aber er macht sich auf eine Weise bekannt, die keine Ambiguität zulässt.

In beiden Fällen, sei es, dass Gott sich als Nächster offenbart, insbesondere im Anderen, oder dass wir eingeladen sind, uns dem Anderen als Nächster anzunähern, sollte dies jedoch nicht bis zu dem Punkt führen, den Ricœur als „Obsession für den Nächsten“[290] bezeichnet? Gott will nicht als Götze angebetet werden, sagen wir es erneut. Ricœur erinnert daran, dass „der Text von Levinas [in dieser Hinsicht] scharf antitheologisch ist“[291]. Die Unreduzierbarkeit des Anderen soll ihn davor bewahren, zu einer Obsession zu werden, fetischisiert zu werden, auf eine Funktion reduziert zu werden, sei es die des Verwirrens, Störens oder des Darstellens Gottes. Die Verantwortung, zu der uns das Evangelium gegenüber dem Anderen aufruft, bedeutet nicht die Abschaffung der Freiheit des Anderen.

Was sind die Implikationen einer Theologie des Fremden, des Anderen oder einer Pleisio-logie für die Besiegten und Verwundbaren, die Sprecher von minorisierten Sprache sind? Ich glaube, dass der Beitrag von Levinas hier eine Autonomisierung und eine Wiederherstellung der Würde ermöglicht. Die minorisierte Sprachen möchten etwas über ihre Verantwortung in der Welt sagen. Sie betrachten sich als Zeugnis und veranschaulichen gerne die Einladung von Levinas: „Im Trauma der Verfolgung übergeghen von der erduldeten Schmach zur Verantwortung für den Verfolger.“[292] Natürlich mildern wir hier das Denken von Levinas ab, um nur den für uns annehmbaren Teil zu bewahren. Trotz seiner Kompatibilität mit einer Lesart der christlichen Botschaft (die andere Wange hinhalten; Mt 5,39) und der Bewunderung, die diese Obsession für den Nächsten hervorruft, können wir der Einladung von Levinas zu einer derartigen vollkommenen Passivität nicht folgen. Die von Levinas geforderte absolute Geduld scheint uns nur in den abschließenden Früchten möglich zu sein, die sie hervorbringt: in dieser Situation absoluter Passivität, in der „der Verfolgt fähig ist, für den Verfolger einzustehen.“[293] Obwohl diese Schlussfolgerung eine wünschenswerte Lösung nahelegt, scheint der Begriff der Passivität, erst recht wenn sie als absolut qualifiziert wird, im Widerspruch zur Argumentation selbst zu stehen. Das Erdulden, insbesondere das Erdulden in der von Levinas beschriebenen Weise, erscheint uns nicht als passive Haltung.

           

            Im tragischen Kontext minorisierter Sprachen, ähnlich den von Levinas untersuchten Beispielen, tritt ein irreparables Element hervor: die Wiederherstellung der Gleichheit wird unerreichbar[294]. Die Beleidigung, von der die Sprecher dieser Sprachen betroffen sind, kann nicht repariert werden, und die Frage stellt sich tatsächlich nicht in Begriffen von Vergebung, sondern von Gerechtigkeit und Wiederherstellung dieser Sprachen in ihrer Würde. Die theologische Dimension wird hier in ihrer scheinbaren Antitheologie für uns zur grundlegenden Theologie: Es gibt keinen Zugang zu Gott ohne Gerechtigkeit gegenüber dem Geringsten (Mt 25,31-46). Diese radikale Zurückhaltung Gottes hinter der Gesicht des Anderen ist nur eine Bestätigung des Willens Gottes, sich als konkretes Universales zu zeigen. Diese Manifestation kehrt unserer Meinung nach nicht Joh 14,9b um („Wer mich gesehen hat, hat den Vater gesehen“), sondern drückt auf kraftvolle Weise die dringende Notwendigkeit der Selbstbeschränkung Gottes aus, könnte man sagen, aus Gottes eigenen Perspektive heraus. Die Ethik der Verantwortung zeigt sich in einem Absoluten, das die Barmherzigkeit, d.h. die Gerechtigkeit, nicht nur als Voraussetzung, sondern als Anfang und Ende der Erkenntnis Gottes stellt.

 


 

V. Schöpfung und Hoffnung

 

„Senhor, destacatz ma lenga“[295]

Mistral, Miserere [1845]

 

Wir haben bisher die Warnung aus 1Kor 13,8b ignoriert: „Sprachen, sie werden eine Ende haben.“[296] Dieser Abschnitt des Verses ist der ursprüngliche Titel unserer Arbeit in Französisch. Kann die in dieser Forschung vorgebrachte Schriftlegitimation zugunsten „der Sprachen“ einer düsteren und so oft bestätigten Vorhersage standhalten? Wie die Theologie es immer getan hat, indem sie die Vielfalt der Schöpfung feierte, haben wir uns darauf konzentriert, eine sprachliche Verschiedenartigkeit zu beschreiben, die ein Segen ist, von Gott gewollt und von Gottes Geist entfacht. Aber wie lässt sich die Vielfalt mit dem eschatologischen Horizont vereinbaren. Hat der Rückgriff auf Sprachen, einschließlich ihrer Verbreitung, eine Bedeutung im Hinblick auf das große Zusammenkommen des Volkes Gottes, eine Veranstaltung, ein Ereignis, das die endgültigen Zwecke der eschatologischen Wirklichkeit umfasst? „Sprachen, sie werden ein Ende haben“, verkündet Paulus. Laut Zeller werden sie wahrscheinlich „ersetzt durch etwas Vollkommeneres, bei dem die Kommunikation der Sprache nicht mehr bedarf.“[297]  Wir möchten darauf antworten, wie wir es bereits getan haben, dass es keine Notwendigkeit für Sprache gibt, um zu kommunizieren, oder dass die Rolle der Sprachen nicht primär darin besteht, zu kommunizieren. Wir könnten hinzufügen, dass Gott die Sprache nicht speziell gewählt hat, um sich mitzuteilen, und dass der Zweck des Wortes viel mehr darin besteht, in eine Beziehung einzutreten, die nicht die Kommunikation ist. Aber die Frage nach dem letzten Ende der Sprachen erinnert daran, wie das Intime, von dem die Sprachen ein pulsierendes Herz sind, das Verletzliche, das – möglicherweise – Zufällige, sich nicht mit seiner eigenen Auslöschung resignieren kann, auch wenn es die „Priorität der Zukunft Gottes“[298] erkennt. Diese Schwierigkeit, sich mit Kapitulieren zu abfinden, ist kein Starrsinn, sondern wurzelt in dem Wort, neben dem Glauben und der Liebe, ist es die Hoffnung. Ist die Erfahrung des Reichtums des Geistes in der sprachlichen Verschiedenartigkeit eine indirekte Folge des Lebens, oder gehört sie hier und jetzt zu einem Grad der Vollkommenheit, der auf die kommende Welt hindeutet?

 

A. Eschatologie: das Universale oder das Ökumenismus

 

a. Eschatologische Universalismus

 

Zuallererst müssen wir die Grundlagen einer Eschatologie zerstören, die mit dem Siegel des Universalismus behaftet ist. Die Bedeutung des ἔσχατον unterscheidet sich fundamental, je nachdem ob es als Teil der Priorität von Gottes Zukunft betrachtet wird oder ob es als abschließende Kulmination angesehen wird, die die lebendige Vielfalt der Schöpfung auslöscht.

 Während die Vorstellung des ἔσχατον als Bestandteil der Priorität von Gottes Zukunft die Eschatologie in die Theologie der Schöpfung einbindet, in der Gott als Initiator und Animateur seiner Schöpfung agiert, sieht die alternative Sichtweise in der Diversität der Schöpfung eine Markierung von Endlichkeit oder Kontingenz, die als Unvollkommenheit wahrgenommen wird. Beide Herangehensweisen sind nicht widersprüchlich. Die Endlichkeit ist unbestreitbar, wenn wir die Welt betrachten. Gleiches gilt für ihre Kontingenz im Bezug auf Gott. Möglicherweise gilt dasselbe auch für die Schöpfung, die jedoch nicht identisch mit der Welt ist. Das Anliegen des Universalismus - nicht des Universalen an sich, sondern der Ideologie des Universelles - ist in mehreren eschatologischen Begriffen zu erkennen, die problematisch sind, weil sie Auswirkungen auf die Diversität haben, einschließlich der sprachlichen Verschiedenartigkeit, die sich in der Gegenwart widerspiegeln.

 

1. Konvergenz und Kontingenz: Eine Untersuchung der christlichen Eschatologie

 

Der erste problematische Aspekt ist die Vorstellung von Konvergenz. Das Bild, nach dem wir auf ein gemeinsames Ziel, auf ein gemeinsames ἔσχατον zusteuern, ruft bereits die Idee hervor, dass wir am Ende des Weges zusammenkommen müssen, eine Metapher für eine „universelle Konvergenz“[299], die zum Beispiel bei Teilhard de Chardin durch das Bild des Gipfels zum Ausdruck kommt. Welchen Weg wir auch nehmen, solange wir uns in Gott wiederfinden, rechtfertigt das τέλος des Weges retrospektiv die Wanderung. Aus rein theologischer Sicht ist es jedoch problematisch, das ἔσχατον in diesen Begriffen zu setzen. Erstens kommt in der christlichen Theologie Gott dem Menschen entgegen. Zweitens tendiert die Vorstellung von Konvergenz dazu, eine Homogenisierung zu implizieren. Die Vielfalt der Sprachen würde durch die eschatologische Rede den Vorwurf erfahren, den sie in der allgemeinen Meinung erträgt, nämlich dass sie eine Umleitung, eine Ablenkung sei, anstatt auf dem Weg zu Gott direkt voranzugehen. Dem gegenüber müssen wir einfach betonen: Gott kommt dem Menschen entgegen. Und er kommt durch die Kontingenz. Besser gesagt: Er ist durch die Kontingenz gekommen, durch das Ereignis Jesus, durch diese Kontingenz. Diese in der Geschichte verankerte Ankunft führt dazu, dass die Eschatologie nicht nur die Hoffnung auf das Letzte ist, sondern auch deren Betrachtung in Jesus Christus.

 

Eine Originalität der christlichen Eschatologie liegt darin, dass sie eine Erfüllung verkündet, die nicht nur zukünftig ist, sondern bereits stattgefunden hat. Diese Behauptung einer bereits erfüllten Realität steht im Kern des christlichen Glaubens, wo die Ankunft, der Tod und die Auferstehung Jesu die Verwirklichung dieser Erfüllung bedeuten. Die greifbare Erfahrung von Gottes Liebe, die sich manifestiert hat, wird für die Gläubigen zu einer konkreten Realität. Diese Erfüllung umfasst sowohl das Ziel und die vollkommene Verwirklichung, eine ultimative Vollendung und einen Zustand der Fülle und Versöhnung.Zahlreiche Schriftzeugnisse unterstützen diese Perspektive, einschließlich eines charakteristischen Denkmusters, das in Mt 6,5 zu finden ist, wo Jesus bekräftigt, dass die Heuchler „ihren Lohn bereits empfangen haben“[300], und der Aussage Τετέλεσται („Es ist vollbracht!“) in Joh 19,30. 

 

Tatsächlich harmoniert diese Feststellung der Erfüllung und Fülle gut mit Panikkars Vergleich zwischen dem buddhistischen Konzept der शून्यता „śūnyatā“ (Leere) und dem christlichen Konzept des πλήρωμα (Fülle)[301]. Man könnte argumentieren, ausgehend von Panikkars Erkenntnissen, dass die Leere nicht im christlichen Narrativ fehlt: Die Inkarnation ist untrennbar mit der Kenose und Erniedrigung Jesu Christi verbunden (Phil 2,5-11); das Grab steht leer als Zeugnis für die transformative Kraft der Auferstehung; die christliche Theologie hat sich in ihrem Bestreben, die Erfüllung zu begreifen, mit der Meditation über die Abwesenheit auseinandergesetzt; und die christliche Frömmigkeit hat oft die kierkegaardische Vorstellung angenommen, dass „das Kreuz ist leer, weil es auf dich wartet.“[302] Durch den Vergleich von Leere und Fülle betonen wir die absolute und wirksame Natur der bereits vollbrachten Erfüllung und unterscheiden sie von einer reduktionistischen Interpretation, die die erstere als bloße Vorboten der letzteren (ἀρραβών, Eph 1,13-14) wahrnimmt.

 

            2. Statische Vollkommenheit oder dynamische Erfüllung

 

Die zweite problematische Vorstellung im Zusammenhang mit eschatologischem Diskurs ist die der Vollkommenheit. Wie Dieter Zeller nahelegt, weist Paulus wahrscheinlich auf ein Mittel der Kommunikation hin, das perfekter ist als Sprache. Eine Dimension des ἔσχατον muss zwangsläufig die Vollkommenheit sein. In ihrem wörtlichen Sinn verstehen wir diese Vorstellung als Ordnung der kosmischen Geschichte nach einem τέλος, einem Ziel oder einem Ende. Es ist in diesem Sinne eine Erfüllung oder Vollkommenheit. Das, was zu einem τέλος gehört, kann als τέλειος, α, ον oder perfekt beschrieben werden. Tatsächlich sind die Gläubigen zu diesem ultimativen Ziel berufen, das als eine Erfüllung gilt, auf die auch das erste Evangelium hinzudeuten scheint, dass es auch Gott selbst ist[303]. Doch müssen wir erneut erkennen, dass diese Erfüllung bereits stattgefunden hat und dass wir uns darüber freuen können, dieses τέλος und denjenigen, der τέλειος ist, gekannt zu haben. Im engeren Sinn ist die Vollkommenheit, zu der wir berufen sind, mehr im gegenwärtigen Ereignis von Jesus Christus verwurzelt als in der Zukunft[304]. Die Vollkommenheit, zu der wir berufen sind, bezieht sich auf diese Welt und nimmt die Form der Heiligung (ἁγιασμός) an. Sie besteht darin, sich dem Heiligen anzupassen (1Thess 1,4; 4,7-8), keinesfalls aber Gott zu gewinnen, selbst wenn wir mit dem Gewinnen Gottes ein Heim am Ende der Reise meinen. Die Eschatologie umfasst jedoch in den Worten des Paulus etwas anderes: Zungen werden aufhören, aber die Liebe wird niemals versagen oder verschwinden. Der eschatologische Diskurs bezieht sich hier auf ein Jenseits, nach dem eigentlichen ἔσχατον, wo die Liebe das ist, was ewig anhält. Es besteht jedoch eine Spannung zwischen der Vorstellung von Vollkommenheit und der von Liebe, wenn wir ihren Aspekt der Erfüllung beibehalten wollen. Vollkommenheit hat einen statischen Charakter – und noch mehr, wenn man von Perfektion spricht –, der sich eher mit dem Nichts in Einklang bringt, im Gegensatz zu den intrinsisch dynamischen Darstellungen der Liebe. Darauf werden wir zurückkommen.

           

3. „Nova Creatio“: Erneuerung oder Zerstörung

           

Der Begriff der „nova creatio“ hat seinen Ursprung im Deuterojesaja, insbesondere in der Passage Jes 65,17–66,2, die mit den Worten beginnt: „Ja, siehe, ich erschaffe einen neuen Himmel / und eine neue Erde. Man wird nicht mehr an das Frühere denken, / es kommt niemand mehr in den Sinn.“ Geht es um eine völlig neue Erde oder eine erneuerte Erde? Deutet es auf ein Land hin, in dem vergangenes Unrecht so korrigiert wurde, dass die Erinnerung erleichtert und die Herzen befreit sind, oder ähnelt es eher einer tabula rasa, wie im Sintflut-Erzählung? Das Überleben von Sprachen und Kulturen hängt mit dieser Frage zusammen. Tatsächlich wirft bereits die deuterojesajanische Theologie der Schöpfung die Frage auf: „Wird ein Land an einem einzigen Tag geboren, / kommt eine Nation auf einmal zur Welt?"“(66,8cd). Es gibt mindestens drei Schrifttexte, die die Interpretation von „nova creatio“ als „creatio nova ex nihilo“ in Frage stellen. Erstens lässt Gen 1,1–2,4a keine „creatio ex nihilo“ vermuten. Gott erschafft, indem er Ordnung aus dem Chaos schafft und einen Raum für das Leben etabliert. Im Gegensatz zu den Chaoskampf-Erzählungen des Alten Orients hat Gott die Macht über das Chaos. Allerdings wird das Chaos nicht besiegt oder abgeschafft[305]; es ist nicht gleichbedeutend mit dem Nichts. Zweitens beschreibt die Sintflut-Erzählung selbst keine totale Vernichtung; Noach, seine Familie, alle Tiere und die Erde werden bewahrt. Drittens schließt das Ende der Sintflut-Geschichte Gottes Versprechen ein: „Nie wieder soll eine Flut kommen und die Erde verderben“ (Gen 9,11c). Dieses Versprechen gilt für Noach, seine Nachkommen und alle lebenden Kreaturen (Gen 9,10) und bildet die Grundlage des Bundes zwischen Gott und der Erde (Gen 9,13). Es ist daher plausibler, diese „nova creatio“ als Teil einer „creatio continua“ zu betrachten, wie im früheren Kapitel dieser Arbeit diskutiert. Die Eschatologie, die ein endgültiges Ende vorsieht, das in der Zerstörung der alten Schöpfung resultiert, kann aufgrund der Handlungsfreiheit Gottes nicht ausgeschlossen werden. Es steht jedoch im Gegensatz zu 1º einer eschatologischen Ausrichtung, die auf die Zukunft ausgerichtet ist, weil sie bereits stattgefunden hat, und 2º dem umfassenden eschatologischen Zeugnis des Christentums, das nicht die Vernichtung der Schöpfung, sondern die Verwandlung der Gegenwart zur Korrektur von Ungerechtigkeiten vorsieht. Dies ist im Wesentlichen die Hoffnung des Christentums – eine Perspektive, die die Gegenwart „Aussicht und Ausrichtung nach vorne“[306] bewegt  und sie transformiert. Die zeitgenössische Eschatologie kann die „messianische Zukunfthoffnung für die Erde“[307] nicht einfach durch ihre Verlagerung ausschließen und sie ausschließlich auf ein Jenseits beschränken, ohne das biblische Zeugnis wesentlich zu verändern. Eine solche Ablehnung würde den bereits in Jesus Christus erreichten Erfüllungszustand in Frage stellen und die Realität dessen, was durch das Kreuz erobert wurde, ignorieren.

Angesichts eines gewissen Gnostizismus, der behaupten würde, dass „Christus gekommen ist, um die Menschen zu retten, nicht um die Welt fortzuführen“[308], mag uns die Exegese vielleicht einladen zu erkennen, dass wenn Gott die Vergangenheit zerstört, er sich um die Bewahrung der Vielfalt sorgt. Das zeigt sich in der Vielfalt des Lebens im Rahmen der Sintflut-Episode. Das zeigt sich auch im Fall von Babel: Gott interveniert, um die  Verschiedenartigkeit der menschlichen Sprachen herzustellen. Auf diese Weise folgen wir immer noch der Logik von Christopher Rowland hinsichtlich der Implikationen in Bezug auf Hoffnung, insbesondere der theologischen Frage nach der Suche nach  einer besseren diesseitigen Existenz im Gegensatz zu einer Hoffnung, die auf das Jenseits verschoben wird[309].

Ähnlich verhält es sich mit dem Konzept des neuen Menschen, das zu den christlichen Elementen gehört, deren Dekonstruktion Pierre Gisel fordert[310]. Es scheint klar zu sein, dass die betrachtete καινὴ κτίσις[311] weniger mit einem neuen Menschen zu tun hat, eine Formulierung, die nur Sinn ergeben würde, wenn man auf Jesus als den neuen Adam verweist, sondern eher im Sinne einer erneuerten Schöpfung, einer Schöpfung, die mit ihrem Schöpfer versöhnt ist („Ja, Gott war es, der in Christus die Welt mit sich versöhnt hat.“ 2Kor  5,19a). Die Idee der Versöhnung und Wiederherstellung passt auch hier nicht gut zur Vorstellung einer totalen Zerstörung

 

            Gegensätzlich zur Verdächtigung, die gegenüber den minorisierten Sprachen besteht, ergibt sich hier die Gelegenheit zu zeigen, dass es nicht die Vergangenheit selbst ist, die verurteilt wird. Genau wie Neuheit an sich keine Qualität darstellt[312], stellt auch die Abschaffung der Vergangenheit allein keine Emanzipation dar. Wie Jürgen Moltmann betonte:

„Wo heute um den ‚Verlust der Mitte‘ in einer sich desintegrierenden Gesellschaft geklagt wird, wird die Sehnsucht nach einer solchen vormodernen religiösen Integration der zu einer Gesellschaft verbundenen Menschen laut. [...] Als einer der ersten hat Hegel die Entstehung der neuzeitlichen, emanzipierten und alles Herkunftsmächte zerstörenden Gesellschaft erkannt und der englischen Nationalökonomie zufolge als ein ‚System der Bedürfnisse‘ analysiert.“ [313] Sprechen wir von den Herkunftsmächten, impliziert dies nicht, dass die Vergangenheit oder das Erbe eine inhärente Macht besitzt? Mit Crossan im Hinterkopf sollte uns hier die Vorstellung von Mächten beschäftigen. Es geht nicht darum, die Abstammung oder das Erbe selbst zu zerstören, sondern vielmehr um die mit ihnen verbundenen Mächte. Die Genesis-Erzählung, die sich bereits als unterscheidbar vom Chaoskampf-Motiv herausstellt, zeigt somit, dass Gott nicht der Schöpfer ist, den Nietzsche sich vorgestellt hat[314]. Die Größe Gottes und seine Allmacht liegen auch in seiner Fähigkeit, auf Zerstörung oder Vernichtung zu verzichten.

 

Die von Gott gewollte sprachliche Vielfalt, belebt durch den Geist, ist daher nicht dem ultimativen Untergang verpflichtet, aufgrund eines gnostischen Drangs, mit der Welt Schluss zu machen, aufgrund einer Konvergenz/Homogenisierung, des Perfektionismus oder der engen Schlaglöcher, die exklusive Identitäten formen. Unter der Wirkung des Geistes manifestieren sich die Sprachen und differenzieren sich aus als die intime Erfahrung im Herzen eines jeden Individuums im kreativen Aspekt, nicht der Sprache an sich, sondern ihrer Verwendung[315].

 

B. Konfrontation: Selbstbeschränkung oder Selbstüberschreitung

 

a. Von Angesicht zu Angesicht

 

Es gibt einen zusätzlichen Aspekt, der in Bezug auf die paulinische Passage zu berücksichtigen ist, und er beinhaltet eine Verzerrung in unserer Wahrnehmung, wie von Paulus erwähnt: „Jetzt schauen wir in einen Spiegel / und sehen nur rätselhafte Umrisse [ἐν αἰνίγματι], / dann aber schauen wir von Angesicht zu Angesicht.“ (1Kor 13,12). Die Phrase selbst trägt eine rätselhafte Qualität in sich. Sie legt nahe, dass wir Gott in dieser Welt kennen können, aber unser Wissen über ihn ist indirekt, ähnlich wie das Betrachten eines Spiegelbilds. Es wird jedoch eine Zeit kommen, in der wir ihn πρόσωπον πρὸς πρόσωπον, sehen werden, das heißt, direkt und intim (1Kor 13,12). Doch diese direkte Begegnung beinhaltet nicht das Verschmelzen oder das Verlieren der Individualität in Gott. Es bedeutet vielmehr, dass die Person in einer eigenständigen Beziehung zu Gott bleibt und sich auf eine persönliche Begegnung einlässt. Die Unmittelbarkeit der Kommunikation Gottes, die für eschatologische Zeiten reserviert ist, signalisiert nicht das vollständige Erlöschen der Kommunikation.

Die Vorstellung der Selbstbeschränkung konnte mit Whitehead, Hartshorne und einer Theologie des Prozesses in Verbindung gebracht werden. Die Idee eines relationalen Gottes scheint auch von dieser Perspektive entlehnt zu sein. Dennoch können beide Ideen genauso gut aus der dialektischen Theologie abgeleitet werden[316]. Weiterhin ist, wie wir im Kapitel II gesehen haben, die κοινωνία von Natur aus relational, und die Kenosis Jesu Christi, wie von Paulus beschrieben (Phil 2,5-11), entspricht der Selbstbeschränkung der ersten Person der Trinität. Letztendlich nimmt das christliche Dogma den Begriff der Selbstbeschränkung gerne an, und die Idee einer Begegnung von Angesicht zu Angesicht, obwohl sie auf einen späteren Zeitpunkt verschoben wird, entspricht der Realität eines persönlichen Gottes.

Allmacht ist nicht All-Liebendheit: Gott will nicht alles[317]. Gottes Wohlwollen[318] zeigt sich gerade in diesem Übergang von der Fähigkeit zum Wollen: Alles können bedeutet nicht alles wollen zu müssen. Für Gott ist alles möglich (Mt 19,26 ; Lk 1,37 ; Gen 18,14), und Gott stellt eine Welt der Möglichkeiten gegen seinen eigenen Willen bereit, indem er seine eigene Wille oder sein eigenes Werden gefährdet. Aber auch wenn Gott dieses Möglichkeitsfeld und diese Freiheit für die Menschheit will, entscheidet er sich dafür, bestimmte Elemente dieser Möglichkeit nicht zu wollen. Hier stellt sich die Frage nach der Wesensart Gottes: Kann Gott das Böse wollen oder liegt es außerhalb seiner Fähigkeit? Es gibt Schriftzeugnisse dafür, dass Gott nicht kann („In der Hoffnung auf das ewige Leben, das Gott, der nicht lügt, schon vor ewigen Zeiten verheißen hat.“ Tit 1,2b; „Deine Augen sind zu rein, um Böses mit anzusehen, / du kannst der Unterdrückung nicht zusehen.“ Hab 1,13). Aber wir wissen auch, dass Gott den Tod besiegt hat. Entweder wollte er den Tod für die Lebenden und sein Sieg über ihn ist mehr eine Umkehrung, oder, wie die Christen glauben, es gibt einen Sieg über den Tod und Gott kann (hier, mehr als er will) etwas, was er zuvor nicht konnte. Der besiegte Tod würde somit von einem Werden Gottes und einer Selbstüberschreitung Gottes zeugen, die nicht im Widerspruch zum Begriff der Selbstbeschränkung stehen, sondern darauf hindeuten, dass diese Selbstbeschränkung nicht nur Fassade ist. Der besiegte Tod zwingt Gott und verpflichtet ihn – und er verpflichtet sich selbst –, seinen eigenen Willen zu überwinden. Dabei überwindet Gott sich selbst gemäß einer Logik, die in Wohlwollen, im Wollen des Guten und der Liebe gründet.

 

Im Rahmen dieses Kontextes stellt sich die Frage nach der Bedeutung oder Rolle von Kultur, menschlichem Wohlwollen und potenziell den Sprachen, in denen der Geist wirkt. Die Idee der Zusammenarbeit zwischen Menschen und dem Werk Gottes ist in der Prozesstheologie inhärent. Man könnte argumentieren, dass es, da Gott der Initiator und Handelnde ist, in einem strengen Sinne keine Zusammenarbeit gibt[319]. Wie Meister Eckhart sagen würde, betet Gott zu sich selbst. Die Menschheit hätte für Gott keine Nützlichkeit, kein Interesse. Dennoch sind wir uns des Interesses Gottes an seiner Schöpfung sehr bewusst. Und wir könnten bereitwillig postulieren, dass dieses Interesse in der Vielfalt und Kontingenz liegt, die die von Gott gewollte Schöpfung bietet, zusammen mit der Freiheit und den Überraschungen, die sie mit sich bringt. Sprachen und die Sprache bieten genau diese Aspekte jedem einzelnen Menschen. Die von Paulus erwähnte partielle Erkenntnis sollte in einem negativen Sinne verstanden werden: Wir haben unvollkommene Erkenntnis. Allerdings ist es nicht verboten, sie positiver zu interpretieren: Vielleicht ist diese Parteilichkeit nicht dazu bestimmt, zu verschwinden. Gottes Handeln in dieser Welt kann, ohne Gott zu beschränken oder zu verpflichten, anscheinend nicht partiell sein, ohne die göttlichen Attribute zu widersprechen. Wenn Gott sich in dieser Welt nicht vollständig den Menschen mitteilt, würde dies der Vorstellung widersprechen, dass Gott nicht völlig in dem ist, was uns von Gott berührt. Was uns berührt, kann kein Teil Gottes sein, es sei denn, wir stellen uns vor, dass Gott teilbar ist. Gott kommuniziert sich selbst nicht vollständig, ist jedoch vollständig präsent in dem, was Gott von sich enthüllt. An dieser Stelle müssen wir uns auf die Paradoxien der dialektischen Theologien verlassen[320].

 

b. Selbstbeschränkung Gottes

 

Können wir die dringende Notwendigkeit, Gott nicht zu ergreifen – auf eine Weise zu denken, die an Götzendienst grenzen würde – mit der Manifestation Gottes in sprachlicher Vielfalt und der Weigerung minorisierter Sprachen und Kulturen, zu verschwinden, in Einklang bringen? Können wir es mit der Erfahrung vereinbaren, die die Schrift genau verkündet: „Sie sollen erkennen, dass ich Jhwh, ihr Gott, bin, der sie aus Ägypten herausgeführt hat, um in ihrer Mitte zu wohnen“ (Ex 29,46)? Bevor wir über Selbstbeschränkung sprechen, sei daran erinnert, dass Jürgen Moltmann, in Anlehnung an Walther Zimmerli, die Offenbarung zuerst als die „Selbsterschließung Gottes“[321] betrachtet. Gott kann erkannt werden, weil er sich selbst offenbart hat und sich als erkennbar[322] gezeigt hat. Dieses Erkennungszeichen, dass Gott besonders empfänglich für die Verletzlichkeit und die Unterdrückten ist, seine Selbstoffenbarung in der Entblößung und Erniedrigung des Kreuzes, die uns in dieser Welt lehrt, sagt das nichts über das ἔσχατον aus? Ist es abwegig zu denken, dass die Art und Weise, wie Gott sich in dieser Welt offenbart, uns nicht nur etwas über den Willen Gottes für diese Welt sagt, sondern auch über ein Jenseits der Welt? Sollte daher die Erfüllung, die in dieser Welt sichtbar wird, eine zweite/letzte Erfüllung herbeirufen? Gilt die Selbstbeschränkung Gottes für diese Welt in Erwartung einer Erfüllung, die Vollkommenheit wäre, das heißt Verschmelzung und Ende, ohne Werden, ohne Gottes Zeitlichkeit, ohne die Möglichkeit einer direkten Begegnung von Angesicht zu Angesicht.

 

c. Selbstüberschreitung und die Zukunft Gottes

 

Die scheinbar widersprüchliche Behauptung der christlichen Hoffnung, die zwischen zwei Erfüllungen liegt, hat ihre Rechtfertigung in der Behauptung des Werdens Gottes[323] gefunden: „Während er heute Fülle und Liebe ist – also Gott selbst – bleibt er immer der Schöpfer neuer Situationen. Er ist fähig zur Selbsttranszendenz für eine neue Erfüllung, eine neue Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo).“[324] Diese Ansicht, die die göttliche Freiheit schützt, könnte sich mit der Vorstellung eines unvollendeten Vollzugs arrangieren. Unvollendetheit ist das, was nie aufhört, sich zu vollenden. Müssten wir nicht die Vorstellung des Vollzugs mit derselben inchoativen Aspekt der niemals endenden Vollendung aufrechterhalten? Auf der einen Seite muss die uneingeschränkte Freiheit Gottes betont werden, zu schaffen und zu zerstören, zu nehmen oder wiederzunehmen. Diese Freiheit Gottes erinnert daran, dass Vollendung oder das ἔσχατον nur aus menschlicher Sicht Sinn haben. Auf der anderen Seite könnte die Vorstellung eines persönlichen Gottes zugestehen, dass Gott am Ende der Zeit für den Menschen teilnimmt, indem er seiner Schöpfung entgegenkommt, sie empfängt, aber er selbst kann nicht begrenzt sein, nicht von diesem letzten Ende gehalten werden. Es kann keine Vollendung oder kein ἔσχατον für Gott geben, das über seine organisierende Teilnahme, seine Initiative, an der Versöhnung hinausgeht. Die Freiheit Gottes wird uns aufgrund eines ordnenden Prinzips, der Liebe, bekannt, genauer gesagt nach dem Prinzip der überfließenden Liebe (1 Tim 1,14). Die Vollendung in dieser Welt wäre daher keine bloße Behauptung des Willens, sondern eine ehrliche Feststellung. Sie würde nicht nur das „schon da und noch nicht“, sondern hier und jetzt durch das „schon vollbracht und immer noch im Werden“ bedeuten. Es hört nicht auf, sich zu vollenden, nicht wegen eines Scheiterns, sondern wegen eines Entwurfs. Sollte die zweite oder letzte Vollendung in Natur oder Ziel völlig anders sein? Kann sie nicht ein vollkommenes „Jetzt“ sein und dennoch im Werden? Kurz gesagt, können wir uns vorstellen oder hoffen, dass Gott nach dem ἔσχατον ein persönlicher Gott bleibt? Das legt die Schrift nahe, die uns dazu bringt, trotz seiner Unvorstellbarkeit danach zu streben, eines Tages sein Angesicht zu schauen. So offenbart sich Gott und scheint erkannt werden zu wollen.

 

C. Die durch Hoffnung bewirkte Verschiebung[325] 

 

            Wenn das ἔσχατον nur aus menschlicher Sicht Sinn ergibt und wenn das menschliche Leben zwischen zwei Erfüllungen gefangen ist, die anscheinend nicht das Werden Gottes und seine Beziehung zu den Menschen behindern, was ist dann die Bedeutung der Vielfalt aus eschatologischer Sicht? Welche Bedeutung kann dem Fortbestand der Vielfalt angesichts einer Eschatologie der Rekapitulation zukommen, einer Rückkehr zum Einen? Könnte das ἔσχατον das Kommen einer Welt exklusiver Begegnung mit Gott sein, einer Dimension, in der Geschöpfe nicht mehr anfällig sind für „gegenseitig Betrug“[326]? Könnte es der Moment einer radikalen Reduktion sein, in dem eine eindeutige Sprache und Konzepte nicht mehr zur Illusion, sondern zur Fülle der Kommunikation gehören? Diese Fragen offenbaren eine Abhängigkeit von einer anthropomorphen Eschatologie und Schwierigkeiten im Verständnis des ἔσχατον im Hinblick auf die Ewigkeit.   

 

Die christliche Eschatologie steht im Zeichen der Auferstehung, doch sie gleicht nicht dem Paradies des antiken Heidentums. Wenn das ἔσχατον nur aus menschlicher Sicht Sinn ergibt, dann sollte es wohl vor allem in seiner Auswirkung auf die gegenwärtige Zeit betrachtet werden. Die Ablehnung der Eschatologie als Zukunftsrede lädt dazu stark ein. Es ist auch so, dass die Eschatologie an sich nur als Verkündigung des Evangeliums in der Zeit, für die Zeit, im Laufe der Zeit, Sinn ergibt, nicht als Vorwegnahme einer kommenden Welt, sondern als Anpassung (αγιασμός) an das geschehene Ereignis.

 

Die Eschatologie bringt sicherlich die menschliche Handlung in Spannung zwischen den beiden erwähnten Erfüllungen, aber der Ruf zur Handlung, die geforderte μετάνοια, kann nur in der Zeit stattfinden und, darf man sagen, zum Nutzen der Zeit. Das Evangelium, die Verkündigung, lädt dazu ein, unterwegs zu sein, ein Leben im „Nachfolgen“ zu führen (Lk 14,25-33). Die Prüfungen werden nicht verleugnet („Wer nicht sein Kreuz trägt und hinter mir hergeht, der kann nicht mein Jünger sein.“ Lk 14,27). Man kann sich gegen jeglichen Dualismus und jeglichen Schmerz wehren, und dennoch im Angesicht der Prüfungen Trost darin finden, dass der Schmerz und die Trübsal anerkannt und integriert werden, vielleicht auf eine gegenintuitive Weise im Einklang mit dem Evangelium. Im Gegensatz zur möglichen Befriedigung über weltliche Dinge, die zuvor erwähnt wurde, liegt hier der Fokus auf der Unzufriedenheit mit der aktuellen Welt.

 

Im Fall von minorisierten Sprachen sind dies zwei Seiten derselben Medaille: Sie bieten eine grundlegende Befriedigung, die Freude an einer gewissen Unmittelbarkeit zwischen Sprache und Schöpfung, aber sie ermöglichen es auch, im Kontrast dazu die Entstehung von ausgehöhlten, entkräfteten Sprachen zu erkennen. In eschatologischen Begriffen vereint die Hoffnung das Konzept des Rufes und der Berufung und letztendlich die Härte der Realität: „Unser Engagement in weltlichen Angelegenheiten führt unweigerlich dazu, dass wir mehr die Kontrolle über unser Schicksal verlieren als sie zu gewinnen.“[327] Es ist die öffentliche Arena, zu der uns die Hoffnung führt, und es ist innerhalb der Arena, dass uns die Hoffnung bewahrt. „Wir wissen, dass die Hoffnung uns verändern wird, auf Weisen, die wir nicht vollständig verstehen, und tatsächlich, auf Weisen, die wir derzeit nicht vollständig verstehen wollen, geschweige denn durchleben möchten.“[328] Dann begegnet die Hoffnung einem Gefühl des Schreckens.

 

Mathewes bietet eine überzeugende Beschreibung der christlichen Hoffnung im Zusammenhang mit öffentlichem/politischem Engagement. Er mag vielleicht in anderen Modellen etwas zu schnell das abweisen, was genau seiner phänomenologischen Beschreibung entspricht. Dennoch beschreibt er diese Modelle ebenfalls als immanent und realistisch, was anscheinend auch seine Ansicht ist. Ein gewisser Quietismus, der Status quo oder der Befreiungsgedanke sind sicherlich keine Formen des Gnostizismus. Wie dem auch sei, Mathewes löst das Konzept „Hoffnung“ von der Gehorsamkeit gegenüber einem Plan oder Projekt. Der Plan kann nur göttlich sein. Die Hoffnung stürzt uns hinein, so wie in ein großes Bad, für das wir nicht einmal eine Vorstellung haben. Sie stürzt uns hinein und bewahrt uns darin, vorausgesetzt, dass wir uns dank Mathewes daran erinnern, dass das, was uns widerfährt, genau genommen die Hoffnung in Aktion ist.

 

Schließlich kann man an das Zitat denken, das Pastor Charles Wagner zugeschrieben wird: „Was ist der Wert des Menschen? Er ist das, was er von sich selbst gibt. Der Mensch ist eine Hoffnung Gottes.“[329] Was durch die erfahrenen Leiden Trost spendet, ist zweifellos das Gefühl, dort platziert worden zu sein, und dort platziert worden zu sein, nicht um Sprachen oder den Nächsten zu retten, sondern um von der Liebe Gottes zur Vielfalt und Verschiedenartigkeit Zeugnis abzulegen, um „den Bruder zur Gnade“[330] zu treffen, auch auf seinem eigenen Terrain, nicht ausgehend von einer praktischen und vorgefassten Idee, auch nicht ausgehend von seiner eigenen Sprache, seiner eigenen Kultur. Zur Gnade sind der Bruder oder die Schwester da, um uns zu verändern, nicht damit wir sie verändern.


 

Schluss

 

 

 

 

„Nimmst du die Schwärze, Kälte, Schwere, Dichtigkeit, ihre auf den Geschmack sich beziehenden Eigenschaften weg oder andere, die etwa sonst noch an ihr wahrgenommen werden, so wird kein Substrat mehr da sein.“

Basilius von Caesarea, Hexaemeron[331]

 

 

 

Nicht alle Sprachen sterben einen friedlichen Tod. Weit gefehlt! Das sollte nicht dazu führen, sie vorzeitig für ausgestorben zu erklären. „Sprachen, sie werden ein Ende haben“,  verkündete Paulus und vermutete dasselbe Schicksal für prophetische Begabungen oder Erkenntnis.  Hatte er die Zungenrede und Gnosis im Sinn, wie der Kontext vermuten lässt? Am Ende ist es egal. Was wirklich zählt, ist, dass „die Liebe fällt niemals dahin.“[332] Man kann genauso gut vorhersehen, dass die Sprachen enden werden, wie spüren, dass etwas von ihnen nicht reine Illustration, einfache Kontingenz oder vorübergehende Verkörperung ist. Sie sind nicht bloß die zufälligen Begleiterscheinungen einer Substanz, die genauso gut ohne sie existieren könnte. Diese Frage wurde bereits von Basilius von Käsarea aufgeworfen, bei dem die Sprache ebenso wie bei Gregor von Nyssa im Zentrum der theologischen Reflexion steht. Schleiermacher drückt es noch anders aus: „Denn auch das schlechthin allgemeine, wiewol außerhalb des Gebietes der Eigentümlichkeit liegend, ist doch von [der Sprache] beleuchtet und gefärbt.“[333] Das Christentum, als Religion der Inkarnation, benötigt vielleicht diese Begriffe von Substanz oder Universalität nicht, um sie zu verstehen. Die Idee der minorisierten Sprachen selbst, wie wir bereits in der Einleitung sagten, verfehlt ihr Ziel, wenn sie dazu führt, das Gesicht der Sprecher dieser Sprachen zu verwischen. Sowohl native speakers als auch Neo-Sprecher legen Zeugnis ab von jener beständigen Liebe, die sowohl die Wiege als auch das Grab umfasst (la lenga del brèç) und durch das Verb „espelir“ gleichermaßen Geburt und Wiedergeburt darstellt[334]. Ebenso geht Paulus' Betrachtung über die Liebe seiner Überlegung zur Auferstehung voraus. „Was du säst, wird nicht lebendig, es sterbe denn …“[335], erinnert uns an Joh 12,24: „Wenn das Weizenkorn nicht in die Erde fällt und stirbt, bleibt es allein; wenn es aber stirbt, bringt es reiche Frucht.“ Daher haben wir uns auf die Früchte konzentriert, die von den Sprechern minorisierter Sprachen getragen werden, und die theologischen Implikationen dieses fruchtbaren Wachstums erforscht.

In unserer exegetischen Untersuchung hoffen wir gezeigt zu haben, wie die Sprachenverwirrung in Babel nicht im Widerspruch zur Ausgießung und Freude der Sprachen an Pfingsten steht. Während letzteres oft als Strafe im Sinne einer nicht gründlichen Auslegung von Gen 11 betrachtet wird, die sprachliche Zerstreuung als Unordnung darstellt, werfen alternative Perspektiven Licht auf eine Verurteilung menschlicher Tendenzen zur Einheitlichkeit und zur vergötterten Einheit, die - in diesem Kontext noch problematischer - durch menschliches Handeln angetrieben wird, anstatt göttlichem Eingreifen. Gott gebietet und bewirkt sprachliche Vielfalt. Der Wille Gottes erscheint als charakteristisches Merkmal des Schöpfers, der die Fähigkeit besitzt, jederzeit in seine Schöpfung einzugreifen, um Innovation und Neuheit zu fördern. Der göttliche Wille findet seine Verkörperung im Wirken des Geistes, der kontinuierlich in der Welt aktiv ist. Sprachen, in diesem Kontext, legen Zeugnis ab von der persönlichen und relationalen Natur Gottes. Insbesondere minorisierte Sprachen finden Trost in ihm, erkennen den Allmächtigen als jemanden an, der bereitwillig seine Macht begrenzt und sich von der Figur des Cäsar unterscheidet. Ein solcher Gott erinnert uns an die angeborene Würde, die in jeder Kreatur vorhanden ist, und ruft uns dazu auf, uns von absolutistischen Ideologien oder Strategien zu lösen.

Diese biblische Wohlwollen gegenüber Sprachen hat unsere Forschung dazu geführt, den Platz von minorisierten Sprachen in Bezug auf drei Gestalten oder drei Arten der Gemeinschaftsbildung (κοινωνία) zu erkunden. Zuerst haben wir die theologischen Implikationen von Sprachen in Verbindung mit den Personen der Trinität untersucht. Dann haben wir dieselbe Frage im Zusammenhang mit einer κοινωνία betrachtet, die durch die Linse des Universalen verstanden wird. Schließlich haben wir den Beziehungsbereich durch das Thema des Nächsten eingeschränkt. In allen drei Fällen glauben wir, uns auf die treibende Kraft hinter der Beziehung konzentriert zu haben.

Unsere zweite Kapitel, das darauf abzielte zu untersuchen, wie minorisierte Sprachen auf spezifische Personen der Trinität ausgerichtet waren, stellt zweifellos den spekulativsten Abschnitt unserer Forschung dar. Überall wirkt Gott aktiv. Überall ergreift Gott die Initiative. Sich genauer mit den Beziehungsweisen zwischen den drei Personen des dreieinigen Gottes auseinanderzusetzen, bedeutete bis zu einem gewissen Grad, ein Prinzip abstrakt und leicht von uns zu trennen, das wir konsequent als inhärent und unerschütterlich inkarnatorisch vertreten. Die Untersuchung des Universalismus – der nicht unbedingt Universalität ist – erlaubte es uns hingegen, eine Kraft zu studieren, die in der Schaffung von Gemeinschaft angelegt ist, wo die Menschheit, nicht Gott, die Initiative ergreift. Wir haben die potenziell schädlichen Auswirkungen auf die Vielfalt beobachtet und somit verifiziert, dass der Schwund des Lebendigen, sei es biologisch oder sprachlich, nicht das Ergebnis von Entropie oder Schicksal ist. In den Worten von Eberhard Jüngel „drängt die neuzeitliche Welt […] immer mehr das zu werden, was der Mensch aus ihr macht.“[336]

Deshalb kehrten wir zu einer weiteren treibenden Kraft zurück, die Beziehung und letztendlich Gemeinschaft schafft, indem wir eine grundlegende Beziehung untersuchten, nämlich die des Nächsten. Wir entschieden uns, uns auf den radikalen Wandel zu konzentrieren, den das Gleichnis vom barmherzigen Samariter mit sich brachte. Tatsächlich stellen minorisierte Sprachen in besonders subtiler Weise die Frage nach dem Gleichen und dem Anderen, nach einem Verständnis oder einer Aneignung des Anderen, die nicht immer willkommen ist. Aufgrund der Verletzlichkeit ihrer Sprecherinnen und Sprecher und des potenziellen Verschwindens der Gemeinschaft, die sie ausdrücken und ermöglichen, untergraben diese Sprachen und erinnern uns so daran, was wir gewinnen können, indem wir uns nicht völlig verstehen.

If we have sometimes stated that languages do not primarily serve for communication, it is also to emphasize this point: there is sometimes much to gain in admitting that we do not fully understand each other, in acknowledging that we do not attribute the same realities to the same words. How can we preserve in, and for the sake of dialogue, what each tradition has that is concrete and should not be erased by the illusion of common terms or notions? A first response would be to always remember as a preamble, before every dialogue, how, in Pascal's words, we are in a situation of potential mutual deception. Dies ist wahrscheinlich eine Grundvoraussetzung für eine zweite Phase, in der „die Zugehörigkeit zur Gemeinschaft dadurch erreicht werden kann, dass wir versuchen, uns auf den Raum der Variationen zu einigen, innerhalb dessen wir erkennen, dass unsere Meinungsverschiedenheiten wirklich unsere eigenen sind.“[337] Der Begriff Variation ist nie weit entfernt.

Schließlich wollten wir die Frage der Sprachenvielfalt aus eschatologischer Perspektive angehen. Welche Bedeutung können wir der Variation zuschreiben angesichts dessen, was als ultimative Lösung wahrgenommen wird? Wir nähern uns der eschatologischen Dimension durch den Begriff der Hoffnung, der uns unausweichlich zur Welt zurückführt, nicht mehr als Ort der Unbarmherzigkeit betrachtet, sondern als Zeit des Handelns. Die Eschatologie erlaubt es uns, in der Spannung zwischen menschlichem Handeln zu agieren und uns an den Ausgangspunkt zurückzukehren, jedoch verwandelt oder gestützt durch Hoffnung. Nach Charles Matthewes' Verständnis der Hoffnung, die uns in die Welt einbezieht, die sie verändert, haben wir betrachtet, wie die Erhaltung der sprachlichen Vielfalt – immer aus der Perspektive von minorisierten Sprachen betrachtet – in diese öffentliche Arena passt, in der uns die Hoffnung führt und in der uns die Hoffnung hält: „Wir wissen, dass die Hoffnung uns verändern wird, auf Weisen, die wir nicht vollständig verstehen, und tatsächlich, auf Weisen, die wir derzeit nicht vollständig verstehen wollen, geschweige denn durchleben möchten.“[338]

            Zusammenfassend haben wir versucht aufzuzeigen, wie die sprachliche Vielfalt und das grundlegende sprachliche Phänomen der Variation als Teil von Gottes Offenbarung verstanden werden können. Anstatt nur ein extremes Beispiel zu sein, glauben wir, dass minorisierte Sprachen eine konkrete Verkörperung des verkörperten Wortes darstellen. Allerdings sollte es keine Missverständnisse geben. Sicherlich kann unsere Untersuchung unter die Kategorie der Frage „Wo ist Gott?“[339] fallen. Nach Claude Geffrés Beurteilung der Weltreligionen[340], die uns während dieser Forschung begleitet hat, könnten wir mit einem positiven Urteil über die Sprachen der Welt antworten. Wir könnten sogar, trotz aller notwendigen Vorbehalte der protestantischen Theologie oder gerade wegen ihnen, die sprachliche Vielfalt als dienlich für die Offenbarung anerkennen[341]. Wir müssten jedoch hinzufügen, dass nicht alle Vielfalt Gott ist[342]. Vielmehr ist nichts in der Vielfalt Gott, genauso wenig wie Gott in Asymmetrie oder Dissonanz zu finden ist. Und während wir behaupten, dass Vielfalt, wenn auch nicht der bevorzugte Ausdrucksmodus des Einen, doch einer seiner Ausdrucksmodi ist, beanspruchen wir nicht, dass alle Vielfalt ein Ausdrucksmodus des Einen ist. Wir haben auch gesehen, dass die menschliche Variation nicht mit der in der Natur gefundenen vergleichbar ist: Wie die Schrift betont, sind Menschen alle Brüder und Schwestern. Sprachliche Variation erhält somit eine besondere Bedeutung. Gott wünscht sich Vielfalt. Minorisierte Sprachen tragen zur neuen und immerwährenden Schöpfung bei, die Gott in unserer Gegenwart hervorbringt. Die Sprache steht sicherlich vor der radikalen Unzulänglichkeit jeder Sprache, um von dem unbeschreiblichen Gott zu sprechen. Aber auch das Schweigen ist unzureichend, wie Eberhard Jüngel darauf hinwies[343].

            Dennoch zielt diese Forschung – ausdrücklich als erste Annäherung an eine direktere Betrachtung der Frage nach den theologischen Implikationen von minorisierten Sprachen – weniger, ja sogar überhaupt nicht, auf Metaphysik oder natürliche Theologie ab. Vielmehr soll sie auf ein schöpferisches Prinzip aufmerksam machen, die Variation, die mitunter als Zeichen von Unvollkommenheit betrachtet wird. Die sprachliche Vielfalt, ebenso wie die religiöse Vielfalt, als Reichtum zu sehen, als Spiegelung des Geistes und seiner schöpferischen Fülle, erinnert an die angeborene Würde eines jeden von uns, wenn wir wegen unserer Sprachverwendung oder der Beharrlichkeit einer Lebensweise verspottet werden. Es ist wichtig, sich vor Augen zu halten, dass die Auswirkungen dieser Fragen nicht trivial sind, sondern letztlich die Ehre Gottes berühren oder uns dazu führen, das Potenzial und die Vorteile der Schöpfung zu verlieren. Minorisierte Sprachen führen zu einer Entzentralisierung des Selbst, sie sind der Zufluchtsort für das zerbrechliche Sprechen, sie bergen ein Bewusstsein für die täglich erlebte Ungerechtigkeit in der Frustration einer spontanen und zutiefst persönlichen Handlung: in seiner Sprache zu sprechen, seine Umgebung und vertraute Orte in seiner Sprache zu benennen. Jede minorisierte Sprache wird für andere minorisierte Sprachen zum Kennzeichen der Unvergleichbarkeit aller anderen, von jeder einzelnen in universeller Gemeinschaft. Die Sprachen sterben nicht eines natürlichen Todes. Aber „Letztendlich sind der Mörder und das Opfer ein und dieselbe Person. Wir können die Einheit der menschlichen Rasse nur dann begreifen, wenn wir die Wahrheit dieser letzten Gleichwertigkeit in ihrer ganzen Schrecklichkeit erfassen können.”[344] Daher ist es notwendig, die Erosion (Attrition) der Sprachen als Schicksal abzulehnen und auf Sprachen anzuwenden, was Claude Geffré als „die gemeinsame Verantwortung der Religionen für die Zukunft des Menschen und die Bewahrung des Planeten Erde.“[345] Wenn die Verantwortung der Theologie darin besteht, eine lebendige Sprache aufrechtzuerhalten, die nicht mehrdeutig, aber niemals univok ist, dann können wir mit Jenson bekräftigen, dass „die Theologie darin [besteht], darüber nachzudenken, was man sagen soll, um das Evangelium zu verkünden.“[346] Sie besteht darin, „Jesus Christ!“ zu verkünden, ein Glaubensbekenntnis, eine Verkündigung und ein Slogan, der allen Fatalismus ablehnt. Dies ist auch das, woran uns Christopher Rowland erinnert, dass „die theologische Anthropologie, die durch Pneumatologie  informiert wird, hinterfragt den Fatalismus einer Auffassung von menschlicher Sündhaftigkeit, die die Möglichkeit der Veränderung aufgibt.“ [347] Dieses fortwährende Ärgernis der Schwächsten, selbst wenn sie in den Augen einiger die Besiegten oder – um es deutlich auszusprechen – die Verlierer sind, findet sowohl in der biblischen Erzählung als auch in der Botschaft, die von der Kirche Jesu Christi – die Kirche aus allen Sprachen (Apk 5,9) – getragen wird, einen unverkennbaren Widerhall. Vielleicht ist es jetzt an der Zeit, weniger auf die Attrition der minorisierten Sprachen zu achten und stattdessen stärker auf ihre fortwährende Präsenz zu fokussieren, selbst in dieser Stunde, die wir zunehmend als Endzeit envisionieren. In dieser apokalyptischen Vorstellung wäre es keineswegs die geringste Verdienst dieser Sprachen, bis zu den Endzeiten in großer Anzahl blühen zu können, genauso wie die Sprachen, die hegemonial geworden sind. In der biblischen Welt beginnt gerade in der beginnenden Dämmerung ein neuer Tag. In den feurigen Himmeln des Sonnenuntergangs, von der Dämmerung bis zum Morgengrauen, von einem Pfingsten zum anderen, mögen wir weiterhin im Schaffen das bereits gegenwärtige Königreich erkennen.

Bibliographie

Kommentare

CARR David M., Genesis 1-11, International Exegetical Commentary on the Old Testament (IECOT), Stuttgart, Verlag W. Kohlhammer, 2021.

HOLLADAY Carl R., Acts: A Commentary (The New Testament Library) Louisville, Westminster, 2016.

Keener Craig S., Acts, an exegetical commentary.  Vol. 1: Introduction and 1:1-2:47, Grand Rapids, Baker Academic, 2012-2015.

ZELLER Dieter, Der erste Brief an die Korinther (KEK 5), Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2010.

ZUMSTEIN Jean, Das Johannesevangelium (KEK 2), übersetzt und erklärt von Jean Zumstein, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 2016.

 

Monographien

BEERLE-MOOR Marianne, VOINOV Vitaly (Hrsg.), Language Vitality Through Bible Translation, New York, Peter Lang, 2015.

CHALAMET Christophe, Théologies dialectiques. Aux origines d’une révolution intellectuelle, Genève, Labor et Fides, 2015.

DUPUIS Jacques, Vers une théologie chrétienne du pluralisme religieux, Paris, Cerf, 2005.

GEFFRÉ Claude, De Babel à Pentecôte. Essais de la théologie interreligieuse, Paris, Cerf, 2006.

GISEL Pierre, Sortir le religieux de sa boîte noire, Genf, Labor et Fides, 2019.

GREEN Gene L., PARDUE Stephen T., YEO K. K. (Hrsg.), The Spirit over the Earth. Pneumatology in the Majority World, Grand Rapids, Langham Global Library, 2016.

JENSON Robert W., Systematic Theology, Bd. 1: The Triune God; Bd. 2: The Works of God, Oxford/New Yord, Oxford University Press, 1999.

JÜNGEL Eberhard, Gott als Geheimniss der Welt, Tübingen, Mohr Siebeck, 20108.

RICŒUR Paul, Sur la traduction, Paris, Bayard, 2004.

—Das Selbst als ein Anderer, übers. Jean Greisch, Thomas Bedorf u. Birgit Schaaff, Paderborn, Wilhelm Fink, 2005, S. 367–410.

––La métaphore vive, Paris, Seuil, 1975.

RÖMER Thomas, Die Erfindung Gottes: Eine Reise zu den Quellen des Monotheismus, Darmstadt, Wbg, 2018.

SANNEH Lamin, Whose Religion is Christianity? The Gospel beyond the West, Grand Rapids/Cambridge, Wm. B. Eerdmans, 2003.

YONG Amos, Beyond the Impasse. Toward a Pneumatological Theology of Religions, Grand Rapids/Carlisle, Baker Academic/PaterNoster Press, 2003.

 

Artikeln

BÜHLER Pierre, „L’étranger comme point de cristallisation de l’autre “ (2015), Zürich, Theologischer Verlag Zürich, 2020, S. 67-74.

MOLTMANN Jürgen, „Communauté en exil“, in: Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S.  327-365.

ROWLAND Christopher, „Liberation Theology“, in: WEBSTER John, TANNER Kathryn, TORRANCE Iain (Hrsg.), The Oxford Handbook of Systematic Theology, New York, Oxford University Press, 2007, S. 634-652.

SAUZET Patrick, „La diglossie, conflit ou tabou?“, La Bretagne linguistique, Université de Bretagne-Occidentale, Bd. 5, 1991, S. 7-40.

––„Occitan: de l’importance d’être une langue“, Cahiers de l'Observatoire des pratiques linguistiques, 2012, S. 87-106.

––„L'occitan: langue immolée“, in VERMÈS Geneviève (Hrsg.), Vingt-cinq communautés linguistique de la France, Paris, L'Harmattan, 1988, S.  208-260.

WEBSTER John, „Theologies of retrieval“, in: WEBSTER John, TANNER Kathryn,  TORRANCE Iain (Hrsg)., The Oxford Handbook of Systematic Theology, New York, Oxford University Press, 2007, S.  583-599.

YONG Amos, „I believe in the Holy Spirit“, in: GREEN Gene L., PARDUE Stephen T., YEO K. K. (Hrsg.), The Spirit over the Earth. Pneumatology in the Majority World, Grand Rapids, Langham Global Library, 2016, S. 13-33.


 

Bibelstellenregister

Namenregister

Sachregister

 

Works Cited

 

 


[1] CALVIN Johannes, Unterricht in der christlichen Religion [1559], III, 25, 4, Otto WEBER (Hrsg.), Neukirchen, Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1955,  S. 669. 

[2]SCHLEIERMACHER Friedrich, „Über die verschiedenen Methoden des Übersetzens“, in: Hermann FISCHER, Ulrich BARTH, Konrad CRAMER, Günter MECKENSTOCK, Kurt-Victor SELGE (Hrsg.), Kritische Gesamtausgabe. Bd. 11, Berlin-New York, De Gruyter, 2002, S. 89.

[3] CÉSAIRE Aimé, „Lettre à Maurice Thorez“ [24. Oktober 1956], Paris, Présence africaine, 1956, S. 16. In Anpassung an unseren Ansatz habe ich „universell“durch „universal“ und „besonder“ durch „partikular“ ersetzt. Dt Übers. Astrid Wege, in Salah M. Hassan, Ostfildern, Hatje Cantz Verlag, S. 14.

[4] Ich verwende den Begriff der sprachlichen Variation als empirische Gegebenheit. Sprachen variieren „in der Zeit (Diachronie), im Raum (Diatropie), in der Gesellschaft (Diastratie) und entsprechend den kommunikativen Situationen (Diaphasie)“. GLESSEN Martin, KABATEK Johannes, VÖLKER Harald, “Repenser la variation linguistique: repenser la linguistique variationnelle”, in DERS. (Hrsg.), Repenser la variation linguistique, Strasbourg, Éditions de Linguistique et de Philologie, 2018, S. 3. Ich gehe davon aus, dass „Variation der Sprache innewohnt, das heißt, sie ist konstitutiv und keine einfache Tatsache der Sprache“. Eigene Übersetzung, sieh Vorwort.

[5] Für eine präzisere Definition siehe Diccionari de sociolingüística: „Eine Sprache, die trotz ihrer Verwendung als Muttersprache durch die Mehrheit der indigenen Bevölkerung unter Einschränkungen hinsichtlich ihrer Anwendungsbereiche und Verwendungsfunktionen in einem bestimmten Gebiet leidet, sodass sie auf den meisten Anlässen oder in den meisten Bereichen, in denen verbale Kommunikation erforderlich ist, nicht verwendet wird oder nicht notwendig ist. Eine Sprache wird minorisiert als Folge eines Prozesses der Zweisprachigkeit innerhalb ihrer sprachlichen Gemeinschaft, was zu ihrer sprachlichen Marginalisierung oder Unterordnung führt“. Diccionari de sociolingüística, Art. „Llengua minoritzada“, Barcelona, Enciclopèdia catalana, 2001, S. 178.

[6] AMIRAV Hagit, KIRN Hans-Martin (Hrsg.), BIBLIANDER Theodore, De ratione communi omnium linguarum et literarum commentarius, Genf, Droz, 2011, S. xxiv: „In De ratione Bibliander treated the empirical plurality of languages in analogy to the plurality of religions in the world. The quest for a common ‘principle’ — in the sense of shared rules or a common structure — for all languages led consequently to the question of the hidden unity of all religions in shared basic convictions, for example, the belief in God’s creation of the world and his providence, which were expounded in the apologetical part at the end of De ratione.“.

[7] PANIKKAR Raimon, The Intrareligious Dialogue, Rev. Ed., Mahwah, Paulist Press, 1999, S. 21. Um die Relevanz der Debatten im Zusammenhang mit interreligiösem und interkulturellem Dialog zu erforschen, siehe CHALAMET Christophe, JAILLET Élio et PALASCIANO Gabriele (Hrsg.), La théologie comparée. Vers un dialogue interreligieux et interculturel renouvelé?, Genf, Labor et Fides, 2021.

[8] Ebd., S. 46. Die Klammern stammen von R. Panikkar.

[9] SAUZET Patrick, „Occitan: de l’importance d’être une langue“, Cahiers de l’Observatoire des pratiques linguistiques, 2012, S. 88.

[10]Ebd.: „Okzitanisch ist ein Paradebeispiel für den Status einer Sprache. Es wird durch nichts Externes definiert, weder Geografie, Geschichte noch Völkerwanderungen. Okzitanien ist weder eine Insel noch eine Halbinsel. Es hat nicht genau ein Königreich oder einen Staat gebildet, dessen Sprache das Symbol oder der Nachweis wäre. Schließlich ist Okzitanisch, wie wir wissen, eine romanische Sprache, umgeben von romanischen Sprachen. Es wird nicht (außer im Kontakt mit dem Baskischen) durch den Rückwirkungseffekt des radikalen sprachlichen Kontrasts von Dialekten einer anderen Sprachfamilie unterbrochen. Eine solche starke oder radikale genetische Unterschiedlichkeit bewirkt, dass unabhängig von der internen Variation des baskischen oder bretonischen Bereichs diese trotz der Variation als das Gebiet einer anderen Sprache wahrgenommen werden und folglich als eine (möglicherweise verachtete oder abgelehnte) Sprache gelten (es handelt sich um eine andere Frage). Okzitanisch wird auch nicht von einer anderen Institution nach außen getragen, die es zum Ausdruck oder zum Symbol macht, sei es die Kirche, eine Partei oder eine Befreiungsbewegung. Um auf das zu Beginn zitierte Konzept zurückzukommen, Okzitanisch hat keine Navy oder ein Äquivalent einer Navy, daher habe ich es als nackte Sprache bezeichnet (Sauzet 2008)“.

[11] Theologian Grace Ji-Sun Kim particularly emphasizes this link between language and visibility. Cf including JI-SUN KIM Grace, Invisible: Theology and the Experience of Asian American Women, Minneapolis, Fortress Press, 2021.

[12] Alain Badiou hat daher Kritik an der zunehmenden Fokussierung auf sprachliche Angelegenheiten geäußert, die oft als „linguistic turn“ bezeichnet wird. „Für Badiou eröffnet die Fixierung auf kulturelle Vermittlungen einen politisch und ethisch lähmenden Relativismus“ (SHAKESPEARE Steven, „Language“, in ADAMS Nicholas, PATTISON George, WARD Graham (Hrsg.), The Oxford Handbook of Theology and Modern European Thought, Oxford, Oxford University Press, 2013, S. 106). Vgl. BADIOU Alain, Das Sein und das Ereignis, übers. von Gernot KAMECKE, Zürich, Diaphanes, 2016. MEILLASSOUX Quentin, Nach der Endlichkeit:Versuch über die Notwendigkeit der Kontingenz, übers. von Roland FROMMEL, Zürich, Diaphanes, 2014.

[13] Der Begriff „absolut“ bezieht sich auf die Debatte des 19. Jahrhunderts über den persönlichen oder absoluten Charakter Gottes. Die protestantische Theologie hat Ritschls Lehre von einem Gott in Beziehung zu seiner Schöpfung sehr deutlich beibehalten. Vgl. in diesem Sienne CHALAMET Christophe, Théologies dialectiques. Aux origines d’une révolution intellectuelle, Genf, Labor et Fides, 2013, S. 70: „Wenn sie nicht der Versuchung der Metaphysik und der hegelschen Spekulation erliegen will, muss die evangelische Theologie aufhören, von Gott als einem absoluten Wesen (getrennt, ab-solutus), an sich selbst und daher nicht in Beziehung zu seiner Schöpfung zu sprechen.“.

[14] BLASER Klauspeter, „L’Esprit“, in BIRMELÉ André, BÜHLER Pierre, CAUSSE Jean-Daniel, KAENNEL Lucie (Hrsg.), Introduction à la théologie systématique, Genf, Labor et Fides, 2008, S. 292.

[15] Ebd.

[16] Am 16. November 1965 wurde der Pakt für eine dienende und arme Kirche unterzeichnet. In Anlehnung an Katakombenpakt 1965 wurde am 20. Oktober 2019 ein Dokument unterzeichnet, das sich als erneuerter Pakt präsentiert. Der Pakt wurde ebenfalls in der Basilika über den Domitilla-Katakomben in Rom unterzeichnet und trägt den Titel „Katakombenpakt für das Gemeinsame Haus: Für eine Kirche mit einem amazonischem Gesicht,arm und dienend, prophetisch und samaritanisch“. 

[17]Siehe die deutsche Übersetzung auf dem offiziellen Nachrichtendienst des Heiligen Stuhls: https://www.vaticannews.va/de/vatikan/news/2019-10/synode-amazonien-katakombe-pakt-bischoefe-unterschrift-deutsch.html. Zuletzt abgerufen am 19. Juli 2023.

[18] Sieh  „Nachsynodales apostolisches Schreiben ‚Querida Amazonia‘ von Papst Franziskus an das Volk Gottes und an alle Menschen guten Willens“, 2. Februar 2020. Zuletzt abgerufen am 19. Juli 2023. https://www.vatican.va/content/dam/francesco/pdf/apost_exhortations/documents/papa-francesco_esortazione-ap_20200202_querida-amazonia_ge.pdf.

[19] Insbesondere vgl. TILLICH Paul, Systematische Theologie III, Christian DANZ (Hrsg.), 5. Auflage, Berlin-Boston, De Gruyter, 2017, S. 721: „Das protestantische Prinzip allein genügt jedoch nicht; die katholische Substanz, die konkrete Verkörperung der Gegenwart des göttlichen Geistes ist ebenso notwendig, aber sie ist dem Kriterium des protestantischen Prinzips zu unterwerfen. Im protestantischen Prinzip siegt der göttliche Geist über die Religion.“.

[20] GEFFRÉ Claude, De Babel à Pentecôte. Essais de la théologie interreligieuse, Paris, Cerf, 2006, S. 106.

[21] Ebd., S. 63.

[22] RÖMER Thomas, »Milieux bibliques«, in L’annuaire du Collège de France [Online], 113 | 2014, August 2014. Zuletzt abgerufen am 19. Juli 2023. https://journals.openedition.org/annuaire-cdf/2480, S. 406.

[23] KESSLER John, „Creation Theology“, in Old Testament Theology, Waco, Baylor University Press, 2013, S. 170-171.

[24] ALBANI Matthias, „Monotheism in Isaiah“, in TIEMEYER Lena-Sofia, The Oxford Handbook of Isaiah, Oxford University Press, 2021, S. 225.

[25] Ebd.

[26] Wie im Vorwort dieser Masterarbeit angegeben, wird die Einheitsübersetzung 2016 (EÜ) als Referenz verwendet, es sei denn, es wird ausdrücklich auf eine andere Übersetzung Bezug genommen.

[27] WÉNIN André, „La nourriture carnée – Réflexions à partir de la Torah“, Communio n° 259 (2018), S. 56.

[28] Ebd., S. 51.

[29] Ebd., S. 52.

[30] Ebd., S. 54.

[31] BEAUCHAMP Paul,‌ Testament biblique, Bayard, Paris ‌2001,‌ S. 27; zitiert von WÉNIN André, op. cit., S. 54.

[32] RÖMER Thomas, op. cit., S. 406.

[33] WITTE Markus, „Völkertafel“, in WiBiLex, Artikel veröffentlicht im Juli 2011, neueste Version vom 20. August 2018. Zuletzt abgerufen am 19. Juli 2023. https://www.bibelwissenschaft.de/stichwort/34251/.

[34] CARR David M., op. cit., S. 293-294.

[35] Ebd., S. 308.

[36] Ebd., S. 308, n. 56.

[37] Ebd.

[38] RÖMER Thomas, op. cit., S. 406: „Die Unterscheidung nach Sprachen geht einher mit der Ansiedlung von Menschengruppen an verschiedenen Orten. Zwischen Gen 9 und Gen 11 enthält die hebräische Bibel drei widersprüchliche Berichte: Gen 9,18-27 (»Die Trunkenheit Noahs«), der eine Trennung und Hierarchisierung unter den Söhnen Noahs einführt; Gen 10 (»Die Völkertafel«) und in Gen 11,1-9 die Geschichte vom »Turmbau zu Babel«. Der neutralste Text ist der von Gen 10: eine genealogische Liste mit einer beeindruckenden Anzahl von Namen, von denen einige noch immer einer Erklärung widerstehen. In seiner gegenwärtigen Form ist der Text verwirrend; er wird weniger verwirrend, wenn man erkennt, dass er in dieser Form P-Elemente und nicht-P-Elemente kombiniert.“.

[39] Ebd.

[40] DE PURY Alfred, RÖMER Thomas, SCHMID Konrad, L’Ancien Testament commenté: La Genèse, Paris-Genf, Bayard/Labor et Fides, 2016, S. 66.

[41] Ebd.

[42] RÖMER Thomas, op. cit., S. 407.

[43] CARR David M., op. cit., S. 330.

[44] Das altgriechische Wort χέω, „gießen, schütten“, entspricht dem Sanskrit-Wort जुहोति (juhóti) und dem lateinischen Wort fundō. Das Verb χέω ist übrigens ein kognates Wort des deutschen Verbs „gießen“. Die Präfixe συν- und cum- können auch, wie im Deutschen das Präfix ver-, eine extreme Betonung oder einen bestimmten Grad an Intensität ausdrücken. Sie besitzen dann eine intensivierende Funktion.

[45] CARR David M., op. cit., S. 314; Fußnote 4b und 8a S. 315.

[46] Ebd., Fußnote 8a: „This process of specifically human scattering is anticipated by the humans’ worry about themselves scattering across the earth.“.

[47] Ebd., S. 332. Der Kommentator verweist hier auf Josephus Antiquitates 1.113-114; aber auch auf den Pseudo-Philon 4,7; 6,13-14; und schließlich auf Philon, Quaestiones et Solutiones in Genesin 2,82.

[48] Ebd.: „Although the text shows signs of composition during Judah's Mesopotamian domination […], it does not reflect or critique imperial power.“.

[49] Ebd., S 333. Der Kommentator geht sogar noch weiter und weist darauf hin, dass die Passage in gewisser Weise „eine noch stärkere Grundlage für heutige Interpretationen aus konservativerer Perspektive bietet, die Gen 11,1-9 als eine Darstellung der Gefahren einer demokratischen Tyrannei eines internationalen Kollektivs (z. B. der Vereinten Nationen) betrachten.“, vgl. S. 332.

[50] CARR David M., op. cit., S. 333: „Looking to the future, one might ask whether this passage’s deep skepticism about global human cooperation  might not be particularly problematic in a time like this where central issues, such as climate change, require the global community to find a common language to address profound challenges to the ongoing life of the »children of the human« on »all the earth«.“.

[51] Ebd.: „The passage’s prominent description of a deity concerned to protect divine prerogatives by disrupting human community.“.

[52] Ebd., S. 332: „The readings have made important contributions, balancing past readings of the passage as a story of »crime and punishment« with sensitivity both to the text’s complex portrayal of humanity’efforts and the way YHWH’s response here is not depicted as a punishment of human disobedience.“.

[53] HOLLADAY Carl R., Acts: A Commentary, (The New Testament Library) Louisville: Westminster, 2016, S. 94 : „God undoes at Pentecost what had been done at Babel.“.

[54] KEENER Craig S., „The First Outpouring of the Spirit (1,1–2:47). A Reversal of Babel (Gen 11,1-9)“, in KEENER, Craig S., Acts. An Exegetical Commentary, vol. 1: Introduction and 1:1-2:47, Grand Rapids, Baker Academic, 2012, S. 842.

[55] HOLLADAY Carl R., op. cit., S. 65: „In Acts the Holy Spirit is God’s surrogate presence. By presenting the Spirit as the empowering presence within the church, Luke reinforces the theme of providential guidance.“.

[56] Ebd., S. 89: „Luke's account of Pentecost is depicted as an inaugural event.“.

[57] Ebd., S. 66: „The Holy Spirit not only prompts people to speak, but also directs their movements.“.

[58] Ebd.: The Spirit „is poured out not only upon duly designated representatives like the apostles but also among believers. This democratization of the Spirit receives great emphasis in Acts.“.

[59] MARTIN Frédéric, Les mots grecs, Paris, Hachette, (1937) 1990, S. 76.

[60] Ebd.

[61] Ebd.

[62] DANTE ALIGHIERI, De l’éloquence en vulgaire, I, 1, 2, Übersetzung und Kommentare unter der Leitung von Irène ROSIER-CATACH, Paris, Fayard, 2011, S. 73.

[63] HOLLADAY Carl R., op. cit., S. 93: „V. 5 suggests Jewish residents living in Jerusalem rather than Jewish pilgrims from outside Palestine who had come to Jerusalem for Passover and Pentecost.“.

[64] DIBELIUS Martin, Aufsätze zur Apostelgeschichte, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, (1951) 51968, S. 120-162.

[65] DETTWILER Andreas, BUTTICAZ Simon, op. cit., S. 9. Die Autoren beziehen sich insbesondere auf PLÜMACHER, Eckhard, „Die Apostelgeschichte als historische Monograph“, in KREMER Jacob (Hrsg.), Les Actes des Apôtres. Traditions, rédaction, théologie (BEThL 48), Gembloux-Leuven, Duculot/Leuven University Press, 1979, S. 457-466.

[66] Im Zusammenhang mit den Begriffe der minorisierten Sprachen und des Sprachkonflikts bezeichnet der Begriff Diglossie das Phänomen der Monopolisierung der Sprachnutzung durch eine externe Sprache, wobei die einheimische Sprache auf bestimmte Verwendungsbereiche beschränkt wird, insbesondere in begrenzten familiären, beruflichen Kreisen usw. In diesem Sinne verwende ich in dieser Studie das Wort Diglossie. Siehe insbesondere SÁNCHEZ CARRIÓN José María, »Bilingüismo, disglosia y contacto de lenguas«, Anuario del Seminario de Filología Vasca Julio de Urquijo, vol. 8, No. 1, 1976.

[67] KEENER Craig S., op. cit., S. 821.

[68] HOLLADAY Carl R., op.cit., S. 95; see also KEENER Craig S., op. cit., S. 835.

[69] MEIER John P., „What language did Jesus speak?“, in DERS., A Marginal Jew, vol. 1, New Haven-London, Yale University Press, 1991, S. 255-268.

[70] MEIER John P., „Was Jesus illiterate?“, in op. cit., S. 268-278.

[71] COLVILLE Graydon, »Faith comes by Hearing? About Oral Societies Faith comes by Hearing? About Oral Societies. Bible translation, Audio recordings and the missionary task«, https://globalrecordings.net/en/about-oral-societies. Zuletzt abgerufen am 22. Juli 2023.

[72] UNESCO, „Oral traditions and expressions including language as a vehicle of the intangible cultural heritage“, https://ich.unesco.org/en/oral-traditions-and-expressions-00053. Zuletzt abgerufen am 22. Juli 2023.

[73] SCHRÖTER Jens, Jesus von Nazaret. Jude aus Galiläa Retter der Welt, Leipzig, Evangelische Verlagsanstalt 2017, S. 125.

[74] YONG Amos, Beyond the Impasse. Toward a Pneumatological Theology of Religions, Grand Rapids-Carlisle, Baker Academic/PaterNoster Press, 2003, S. 73.  

[75] Ebd., S. 73-74.

[76] Im Falle von Babel würde sich das Reich dann auf das Mesopotamische Reich beziehen, eine Interpretation, die vom Bibelforscher abgelehnt wird. Cf CARR David M., op. cit., S. 332.

[77] HOLLADAY Carl R., op. cit., S. 94: „They may speak different dialects, but their language is no longer confused or confounded.“.

[78] SAUZET Patrick, „L’Occitan: langue immolée“, in VERMÈS Geneviève (ed), Vingt-cinq communautés linguistiques de la France, Paris, L’Harmattan, 1988, S. 214 n. 2.

[79] SAUZET Patrick, „Diglossie, conflit ou tabou?“, op. cit., S. 8.

[80] Ebd.

[81] Ebd.

[82] Ebd.

[83] Ebd., S. 5.

[84] SAUZET Patrick, „Occitan: de l’importance d’être une langue“, op. cit., S. 101.

[85] Ebd.

[86] Ebd.

[87] CARR Daniel M., op. cit., S. 332.

[88] CARR Daniel M., op. cit, S. 332.

[89] CROSSAN John Dominic, God & Empire, op. cit., S. 28: „There was a human being in the first century who was called Divine', 'Son of God',  'God'  and  'God from God', whose titles were ‘Lord’, ‘Redeemer’, ‘Liberator’  and ‘Savior of the world’. [...] And most Christians probably think that these titles were originally created and uniquely applied to Christ. But before Jesus ever existed, all those terms belonged to Caesar Augustus.“. 

[90] Ebd.: „They were taking the identity of the Roman emperor and giving it to a Jewish peasant. Either that was a peculiar and a very low lampoon, or it was what the Romans called majestas and we call high treason.“.

[91] CROSSAN John Dominic, Render Unto Caesar, op. cit., S. 21: „Caesar and God are not identified.“.

[92] Ebd.: „If Caesar and God are neither identified nor equated, how are they associated, accommodated, adapted, assimilated, or acculturated to one another in the actual world in which we all live?.“.

[93] Ebd.

[94] Ebd.

[95] Ebd.: „Acculturation is the drag of normalcy, the lure of conformity, the curse of careerism that can—under certain leaders, in certain circumstances, at certain times and places—turn some of us into monsters, many of us into liars, and most of us into cowards.“.

[96] Ebd.: „The question of divine rule and human acculturation.“.

[97] Ebd.

[98] Ebd.

[99] DESTRO Adriana, PESCE Mauro, „Jésus était-il un révolutionnaire politique ?“, in DETTWILER Andreas (éd.), Jésus de Nazareth. Études contemporaines, Genf, Labor et Fides, 2017, S. 218 und 222 : L’hypothèse d’ un Jesus qui „annonçait l’imminence du jugement dernier par Dieu, dans lequel seraient renversés les rapports injustes qui étaient considérés, paradoxalement comme l’ordre social.“.

[100] SAUZET Patrick, „Diglossie: conflit ou tabou?“, op. cit., S. 15: „Couple fondateur“. 

[101] CROSSAN John Dominic, God & Empire, op. cit., S. 60.

[102] Ebd.

[103] McELVAINE Robert S., Eve’s Seed: Biology, the Sexes, and the Course of History, New York McGraw-Hill, 2001, Per cent; quoted by CROSSAN John Dominic, God & Empire, op. cit., S. 61.

[104] SAUZET Patrick, „Diglossie: conflit ou tabou“, op. cit., S. 15: „Le couple fondateur des deux langues, la royauté de l’une sortant de l’élimination de l’autre sur fond d’équivalence fondamentale, éclaire la perception de la situation occitane comme celle d’un conflit caché. Pour qu’il y ait conflit linguistique effectif il faudrait que les deux langues puissent prétendre chacune à la même dignité, au même statut. Or cela est réglé d’avance: revendiquer la dignité linguistique de l’occitan, c’est remettre en cause l’institution même du français.“. 

[105] Ebd., S. 16.

[106] Ebd. : Das Thema der zufälligen Wahl (election aléatoir) „findet sich auch 1807 bei Jean-Julien Trélis wieder, wo es sich aus einem Spiel von Spiegeln zwischen den beiden Sprachen entwickelt: Okzitanisch bleibt für immer das Bild der aufstrebenden Reinheit, die das Französische verloren hat, während die letztere Sprache wiederum das Bild der Degeneration darstellt, die Degeneration, die das Okzitanische unvermeidlich erlitten hätte, wenn das Schicksal der Sprachen umgekehrt gewesen wäre.“; cf MARTEL Philippe, „Jean-Julien Trélis : De l'idiome languedocien et de celle du Gard en particulier, édition du manuscrit“, Lengas, n° 24, 1988, S. 101-118.

[107] Ebd.: „La réduction de l’occitan n’est pas un effet marginal de l’avènement du français mais se situe à son principe.“. 

[108] So Du BELLAY Joachim, La Deffence, et illustration de la langue française (1549), GOYET Francis Goyet, MILLET Olivier, et al. (Hgg.), Paris, Champion, 2003.

[109] CARR David M., op. cit., S. 184: „The Gen 2–4 text can be read as identifying such violence as violence between siblings (now broadly construed) against each other, an offense against God, and a way that humans pollute the ground on which they depend.“.

[110] „Diese Verbindung zwischen Gewalt und Dominanz in Bezug auf den Boden (אֲדָמָה Gen 4,2), von dem Kain zuerst als Diener beschrieben wird, wurde von der ecofeministischen Exegese hervorgehoben: „Eve sings to have created a ‘man’ (איש) rather than a child at the beginning of History, a ‘man’ which starts with »serving« (עבד) but ends up anticipating the current ecological crisis in the way he pollutes the soil with the blood of his brother, destroying his relationship with him (Gen 4,11-12).“, KAHL Brigitte, „Fratricide and Ecocide: Rereading Genesis 2–4“, in Earth Habitat: Eco-Injustice and the Church’s Response, HESSEL Dieter and RASMUSSEN Larry (Hrsg.), Minneapolis Fortress Press, 2001, S. 57; zitiert von CARR David M., op. cit. S. 184.

[111] Carr weist auf die bewusste Natur von Kains Handlung hin (Gen 4,8): CARR David M., op. cit., S. 165.

[112] CROSSAN John Dominic, God & Empire, S. 139.

[113] SAUZET Patrick, „Langue immolée“, op. cit., S. 244: „Grégoire demande aux Français du Midi, aux Occitans, de sacrifier leur langue à l’unité (linguistique) nationales (»Nos frères du Midi […] ont abjuré et combattu le fédéralisme politique; ils combattront avec la même énergie celui des idiomes.« )“. 

[114] Ebd.

[115] Ebd.

[116] Ebd., S. 24.

[117] LASSERRE Guy, op. cit., S. 25; for the loss of the relationship with JHWH and the implications of Kain's deliberate choice of murder, we refer to CARR, op. cit., S. 165.

[118] Ebd.

[119] DUPUIS Jacques, Vers une théologie du pluralisme religieux, Paris, Cerf, 1997, S. 297: „Jésus scelle ainsi l’alliance avec les pauvres.“.

[120] An dieser Stelle zitiere ich die Antwort von Bernard VERNIÈRES auf eine von mir durchgeführte Umfrage im Rahmen einer geleiteten Forschungsarbeit in Praktischer Theologie an der UNIGE, am 22. November 2021: „Una lenga de paures conven melhor per celebrar la kenòsi del Vèrb.“.

[121] PIERIS Aloysius, „Universality of Christianity?“, S. 595; zitiert von DUPUIS Jacques, op. cit., S. 297.

[122] ROWLAND Christopher, “Liberation Theology”, in WEBSTER John, TANNER Kathryn, TORRANCE Iain (Hrsg.), The Oxford Handbook of Systematic Theology, Oxford, Oxford University Press, 2007, S. 650: „when viewed from the underside of history, from the poor and the marginalized, the message of the kingdom looks rather different from the way in which it has been portrayed by those who have had the power to write the story of the church and formulate its dogmas and social concerns.“

[123] Ebd. : „[Theology of Liberation] forcibly reminds us that the contemporary theological enterprise cannot escape critical reflection on its assumptions and preferences.“.

[124] SAUZET Patrick, „Diglossie, conflit ou tabou?“, op. cit., S. 2: „Ce qui reste opaque […], c’est la dominance linguistique elle-même. Non pas son déploiement dans les pratiques de la société, non pas son émergence et son développement historiques (tout sociolinguiste s’attache à décrire cela), mais sa faculté même à s’installer dans les usages langagiers, à les (dés)organiser.“.

[125] THOMPSON John B., „Editor’s Introduction“ [1990], in BOURDIEU Pierre, Language and Symbolic Language, Paris, Cambridge, Polity Press, 1991, S. 1: „Language is an integral part of social life, with all its ruses and iniquities, and that a good part of our social life consists of the routine exchange of linguistic expressions in the day-to-day flow of social interaction.“.

[126] BOST Hubert, Babel. Du texte au symbole, Genf, Labor et Fides, 1985, S. 191–197.

[127] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 37.

[128] Claude Geffré zählt die dialogale Dimension zu den „neuen Ansätzen zur Universalität des Christentums“ (GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 36); oder auch „Es ist von der Offenbarung Gottes in der historischen Besonderheit von Jesus von Nazareth aus, dass der nicht imperialistische und notwendigerweise dialogale Charakter des Christentums bewiesen werden muss.“, Ebd.

[129] Ebd.: „Das interreligiöse Ökumenismus führt nicht zwangsläufig zum Indifferentismus oder Relativismus; er hat auch nicht ausschließlich praktische Ziele, wie zum Beispiel eine gegenseitige Emulation zwischen den Religionen, um einen effektiveren Beitrag zum Weltfrieden und zum Schutz des authentischen Menschseins zu leisten. Es ist vielmehr ein Denkerfordernis, da jede Begegnung mit dem »anderen«, der wirklich anders ist, uns dazu zwingt, die Konsequenzen unserer Historizität anzunehmen und unsere empfangenen Verständnisschemata zu relativieren.“.

[130] Ebd., S. 62: „Il ne condamne pas la pluralité des langues et donc des cultures, car celle-ci est plutôt un retour à la condition originelle voulue par Dieu.“. 

[131] „Darum sollst du den HERRN, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen, mit ganzen Wesen und mit ganzer Kraft.“, Deut 6,5. Hier bevorzuge ich di Übersetzung der französischen Ökumenische Übersetzung der Bibel (TOB).

[132] Sieh oben.

[133] Mit „okzitanischer Soziolinguistik“ meine ich die soziolinguistischen Arbeiten, die von den Okzitanisten durchgeführt wurden, und nicht eine spezifische Schule (z. B. die Toulouse-Schule), wie es manchmal verstanden werden könnte. So ist Patrick Sauzet ein herausragender Linguist, Grammatiker und Okzitanien-Soziolinguist, ohne jedoch ein Vertreter dessen zu sein, was einige als ‚die okzitanische Soziolinguistik‘ bezeichnen.

[134] Ebd.: „Ce que condamne Dieu, c’est une unicité linguistique qui aurait l’ambition idolâtrique de substituer au Dieu unique une humanité monolithique qui se ferait elle-même Dieu.“. 

[135] Ebd. „On a toujours interprété la dispersion des langues comme un châtiment en réponse à l’orgueil des hommes qui ont voulu édifier une tour unique qui soit comme la rivale de l’unicité de Dieu.“

[136] Ebd., S. 63: „Le Dieu de la Bible bénit le multiple, comme il bénit la condition humaine en tant qu’historique et charnelle.“. 

[137] Ebd. S. 64: „La singularisation complète de l’universalisme en la personne de Jésus.“.  

[138] Ich verweise gerne auf Nikolaus von Kues, der in einer eschatologischen Perspektive anscheinend eine Beständigkeit nicht der Kreatur, sondern des Menschen in seiner Einheit betrachtet, nicht intrinsisch, sondern durch Christus erlangt. KUES Nikolaus von, De docta ignorantia, ROTTA Paolo (Hg.), 1913, Bari, G. Laterza & Figli, S. 130: „Sed si homo elevatur ad unitatem ipsius potentiae, ut non sit homo in se subsistens creatura, sed in unitate infinita potentia, non est illa potentia in creatura, sed in se ipsa terminata.“. Vgl. außerdem DERS., op. cit., S. 133: „Omnis creatura in ipsa humanitate summa et perfectissima universaliter omnia creabilia complicanti, ut sit omnis plenitudo ipsum inhabitans », den wir folgendermaßen übersetzen: „Jedes Geschöpf [existiert] in dieser sehr höchsten und sehr vollkommenen Menschheit, die auf universale Weise alles umfasst, was erschaffen werden kann, so dass es in [Jesus] seine ganze Fülle findet.“.

[139] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 62:  „Si la pluralité des langues et des cultures est bénie par Dieu, ne faut-il pas dire aussi que la pluralité des traditions religieuses est reconnue et même voulue par Dieu?“. 

[140] Ebd.: „On peut voir dans la réalisation avortée de la Tour de Babel une critique d’une fausse conception de l’universel. Israël doit se garder de réaliser l’universel par la conquête et par l’hégémonie.“. 

[141] Ebd.: „L’universalisme toujours plus explicite de la loi d’amour.“. 

[142] Ebd., S. 35: „Le religieux est radicalement pluriel.“ Angesichts von Geffrés Aussage könnte man wagen zu behaupten, dass dort, wo das Religiöse radikal plural ist, die Sprache natürlich dazu neigt, sich zu vereinheitlichen und eine einzige Sprache zu sein.

[143] GOUNELLE André, Religion, in Vocabulaire théologique [online]. Zuletzt abgerufen am 25. Juli 2023. http://andregounelle.fr/vocabulaire-theologique/religion.php: „Barth voit dans la religion un essai de l’être humain pour mettre la main sur Dieu, pour s’emparer de lui et le domestiquer au lieu de se soumettre à lui et de le servir, pour se l’imaginer au lieu d’écouter sa parole, pour se rendre juste au lieu de se reconnaître pécheur. La tour de Babel pourrait symboliser la religion : ses constructeurs veulent monter par leurs propres moyens jusqu’au ciel, alors que la Bible nous apprend que Dieu descend parmi les êtres humains.“.

[144] GEFFRÉ Claude, op. cit. p. 55.

[145] GEFFRÉ Claude, op cit., S. 62.

[146] Zur Autorität der Schrift, vgl. JENSON Robert W., Systematic Theology. Bd. 1, Oxford-New York, Oxford University Press, 1997, S. 23-41.

[147] TILLICH Paul, op. cit, 1963, S. 483: „Schließlich sollte die protestantische systematische Theologie auf die gegenwärtige positive Beziehung zwischen Katholizismus und Protestantismus eingehen. Sie sollte beachten, daß die Reformation nicht nur ein religiöser Gewinn, sondern auch ein religiöser Verlust war. Obwohl mein System ausgesprochen protestantisch ist in seiner Betonung des ‚protestantischen Prinzips‘, erhebt es doch gleichzeitig die Forderung, daß das ‚protestantische Prinzip‘ mit der ‚katholischen Substanz‘ geeint werden muß. Das habe ich in dem Teil über die Kirche, einem der längsten des Systems, ausführlich dargestellt.“.

[148] GEFFRÉ Claude, op cit., S. 84.

[149] GILKEY Langdon, „Tillich: the Master of Mediation“, in KEGLEY Charles William (Hrsg.), In The Theology of Paul Tillich, New York, The Pilgrim Press, S. 49.

[150] GEFFRÉ Claude, op cit., S. 62: „Dieu ne cesse de se raconter dans l’histoire.“. 

[151] Ebd., S. 49.

[152] Geffré erinnert daran, dass für Karl Barth die Frage nach einem religiösen Pluralismus de facto oder de jure eine „theologisch nutzlose Frage ist, da die Schrift keine Antwort auf ein solches Rätsel liefert.“, GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 47.

[153] Ebd., S. 63: „In der Tat, wie die Kulturen sind auch die Religionen unter dem Zeichen der Ambiguität.“.

[154] Sieh z.B. den Fall der Athrahasis-Erzählung. RÖMER Thomas, „Milieux bibliques“, in L’annuaire du Collège de France [online], 113/2014, https://journals.openedition.org/annuaire-cdf/2480, S. 406. Zuletzt abgerufen am 25. Juli 2023.

[155] JENSON Robert W., op. cit., Bd. 2, S. 63: „How does our discourse ever get started? Speech presupposes language, but language presupposes speech; seemingly, there must be a first Speaker, in whose address the distinction of speech and language does not obtain.“. 

[156] Ich verzichte in dieser Studie darauf, die ‚langue‘ mit ‚Sprachsystem‘ und ‚langage‘ mit ‚Sprache‘ zu übersetzen, wie es manchmal und treffend von Peter Wunderli getan wird, wenn auch nicht systematisch. Wie Saussure selbst sagte: „Es ist zu beachten, daß wir hier Dinge und nicht Wörter definiert haben; die getroffenen Unterscheidungen haben somit nichts zu befürchten von gewissen mehrdeutigen Termini, die von einer zur anderen Sprache nicht deckungsgleich sind.“, DE SAUSSURE Ferdinand, Cours de linguistique générale, Zweisprachige Ausgabe französich-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar, WUNDERLI Peter (Hrsg.), Göttingen, Narr Verlag, 2013, S. 81.

[157] THOMAS Aquinas, Summa theologiae, 2a 2ae Q 176, Textum Leoninum, Rom, 1888 [Online];  ID, Summe der Theologie, 2a 2ae Q 176, übers. Ceslaus Maria Schneider, verlagsanstalt von G. J. Manz, Regensburg 1886-1892 [Online]; ID, Somme théologique, Paris, Cerf, 1985, S. 1004-1007.

[158] CALVIN Johannes, Unterricht in der christlichen Religion [1559], III, 25, 3, herausgegeben und übersetzt von Otto WEBER, Neukirchen, Buchhandlung des Erziehungsvereins, 1955,  S. 668: „Warum hat Christus nicht lieber mitten im Tempel oder auf dem Markte die herrlichen Trophäen seines Sieges aufgerichtet? Warum trat er nicht in grausiger Erscheinung dem Pilatus entgegen? Weshalb erweist er sich nicht den Priestern und dem ganzen Jerusalem als der, der wieder zum Leben gekommen ist?“.

[159] THOMAS Aquinas, Summe der Theologie, Ebd. :  „Wie also, da die Völker zum Götzendienste abfielen, eingeführt ward die Verschiedenheit der Sprachen (Gen. 11.), so wurde, da sie zur Verehrung des einen Gottes zurückgeführt werden sollten, als Heilmittel angewandt die Gabe, alle verschiedenen Sprachen zu sprechen.“.

[160] Ebd.: „Und ‚deshalb, da auch jetzt der heilige Geist empfangen wird‘, so Augustin (32. in Joan.), ‚spricht doch niemand aller Sprachen. Denn die Kirche selbs spricht in den Sprachen aller Völker; und wer nicht in der Kirche ist, der empfängt nicht den heiligen Geist.‘“.

[161] DERS., Summa theologiae, op. cit., 2a 2ae Q 176 a. 1 ad 2. Ich übersetze ins Deutsche aus dem Lateinischen: C. M. Schneiders Übersetzung weicht hier zu stark vom Original ab. „Tamen convenientius fuit quod ipsi omnibus linguis loquerentur, quia hoc pertinebat ad perfectionem scientiae ipsorum, per quam non solum loqui, sed intelligere poterant quae ab aliis dicebantur.“ Wie der Text betont, besteht für die Apostel die Wahl, entweder durch eine einzige Sprache zu sprechen, um verstanden zu werden, oder zu allen zu sprechen: „Quamvis utrumque fieri potuisset, scilicet quod per unam linguam loquentes ab omnibus intelligerentur, aut quod omnibus loquerentur.“.

[162] DERS., Summe der Theologie, Ebd.: „Die Prophetengabe gehört zur Kenntnisnahme von Dingen wie sie in der Wirklichkeit sind“; ID, Summa Theologia, Ebd.: „Donum prophetiae pertinet ad rerum notitiam.“.

[163] DERS., Summa theologiae, op. cit., 2a 2ae Q 176 a. 2 ad 2„Wer in Sprachen spricht, der spricht nicht zu Menschen,  das heißt, nicht zu deren Verständnis oder Nutzen, sondern zum Verständnis Gottes allein und zu Seinem Lob.  Doch durch die Prophetie wird jemand sowohl auf Gott als auch auf den Nächsten [ad Deum et ad proximum] ausgerichtet. Daher ist sie eine vollkommenere Gabe.“.

[164] Ebd.: „Per donum prophetiae homo ordinatur ad Deum secundum mentem, quod est nobilius quam ordinari ad eum secundum linguam.“. Ich übersetze.

[165] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 89; Zumstein sagt nichts anderes: „Einerseits ist dieser Begriff „Logos“ sowohl aus der atl.-jüdischen Tradition als auch aus der hellenistischen Welt bekannt und bezeichnet in diesem komplexen Umfeld eine der Offenbarungsweisen Gottes.“, und weiter „Nämlich im Prolog [wird] das Angesicht Gottes für die Welt mit dem Begriff Logos zur Sprache gebracht.“ (ZUMSTEIN Jean, Das Johannesevangelium, übersetzt und erklärt von Jean Zumstein, Göttingen/Bristol, Vandenhoeck & Ruprecht, 2016, S. 74-75).

[166] Θεὸς ἦν ὁ λόγος ; Jn 1,1.

[167] ZUMSTEIN Jean, op. cit., S. 57: „Der Logos, genauer gesagt der präexistente Sohn, der in Einheit mit dem Vater lebt und der Schöpfungsmittler ist, nimmt Fleisch an (1,14).“.

[168] DE SAUSSURE Ferdinand, Cours de linguistique générale, Zweisprachige Ausgabe französich-deutsch mit Einleitung, Anmerkungen und Kommentar, WUNDERLI Peter (Hg.), Göttingen, Narr Verlag, 2013, S. 396.

[169] Ebd.

[170] Ebd.

[171] Ebd.

[172] RONJAT Jules, Le développement du langage observé chez l’enfant bilingue, ESCUDÉ Pierre (Hrsg.), Francfort/Berne, Peter Lang, 2013, S. 38: „Ce français moyen […] qui se répand de plus en plus comme une κοινή […] est comme une monnaie de change sans empreinte et qui a cours partout“.

[173] HALLYN Fernand, JACQUES Georges (Hrsg.), „Aspects du paratexte“, in DERS., Introduction aux études littéraires, DELCROIX–HALLYN ( Hrsg.), S. 210-211 ; zitiert von ZUMSTEIN Jean, op. cit., S. 66.

[174] ZUMSTEIN Jean, op. cit., S. 67: „Kurz gesagt, der Prolog ist auf metalinguistischer Ebene einzuordnen.“.

[175] Ebd.

[176] Vgl. hierzu ESCUDÉ Pierre, „Intégrations, ‘force d’intercouse, identités“, Essais 14  (2018), S. 34: „ Einer der terroristischen Effekte der Sprache besteht darin, dass sie eine „Kirchturmperspektive“ durch die „ Macht des Austauschs“ auferlegt: Ein Dialekt/eine Sprache drängt sich anderen auf, um sich selbst als hohe, einzigartige und universelle Sprache zu sakralisieren, und sie entzieht anderen gleichzeitig den Status einer Sprache, entwertet ihre Sprecher, leugnet das kulturelle Universum, das sie vermitteln, verbietet jede Übertragung, jegliches Bewusstsein und jegliche Erinnerung an eine Geschichte, eine Literatur, ein akademisches oder volkstümliches Wissen.“.

[177] ZUMSTEIN Jean, op. cit., S. 73: „Während der Bericht von Gen 1 davon erzählt, wie Welt und Geschichte von Gott erschaffen wurden, spricht V.1 vom Anfang vor dem Anfang. Nicht die Beziehung zwischen Gott und der Welt und den Menschen steht im Mittelpunkt, sondern die Be- ziehung zwischen Gott und dem Logos in einem der Schöpfung vorausgehenden Anfang.“.

[178] ZUMSTEIN, op. cit., S. 75.

[179] DERS., L’Évangile selon Saint Jean, Bd. 1,1–12 (CNT 4a ; 4b), Genf, Labor et Fides, 2007, S. 57.

[180] Im Deutschen könnten stattdessen die Begriffe „Gemeinsprache“ oder„Hochsprache“ vielleicht verwendet werden, da beide zu diesem Zeitpunkt zu viele Implikationen mit sich bringen.

[181] ANDO Clifford, „Augustine on Language“, Revue des Études Augustiniennes 40 (1994), S. 45: „We can see that Augustine’s frequent expressions of authorial diffidence are not merely rhetorical tropes but also statements of philosophical principle, and that when he urges that he has said nothing meaningful in words about God, he means it.“.

[182] JÜNGEL Eberhard, Gott als Geheimniss der Welt, Tübingen, Mohr Siebeck, 2018., S. 313.

[183] Ebd.

[184] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 51.

[185] „The English word “spirit” derives from the Latin spiritus, which refers to soul or breath, and that, in turn, was used in the Vulgate to translate the Greek pneuma and the Hebrew ruah. Across these four languages, the concept has referred to the animating dimension of self-consciousness with human interpersonal relations as the primary locus of such considerations.“ (YONG Amos, „On Binding, and Loosing, the Spirits: Navigating and Engaginga Spirit-Filled World“, in KÄRKKÄINEN Veli-Matti, KIM Kirsteen, YONG Amos (Hrsg.), Interdisciplinary and Religio-Cultural Discourses on a Spirit-Filled World. Loosing the Spirits, New York, Palgrace Macmillan, 2013, S. 2).

[186] Ebd.

[187] YONG, vgl. oben.

[188] Meine Übersetzung.

[189] Dieter Zeller wählt die Übersetzung „Zuteilungen“ für διαιρέσεις, was die Idee einer Verteilung durch Zuweisung bedeutet, anstatt „Unterschiede“. Er betont, dass „das Verbum διαιρεῖν im V. 11 die erstere Bedeutung nahelegt, wobei die Unterschiedlichkeit […] impliziert ist.“ Der Exeget verweist auf Röm 12,6, wo Paulus von verschiedenen Gaben (χαρίσματα διάφορα) spricht. (ZELLER Dieter, Der erste Brief an die Korinther, KEK 5, Göttingen, Vandenhoeck und Ruprecht, 2010, S. 389-390).

[190] „Is the price of such naturalism worth it if in the end the many spirits are no more than epiphenomena, reducible to the machinations of the material world?“ (YONG Amos, „On Binding, and Loosing, the Spirits: Navigating and Engaging a Spirit-Filled World“, op. cit., S. 4).

[191] Ebd., S. 5.

[192] HUMBOLDT Wilhem von, „Über die Verschiedenheit des menschlichen Sprachbaues und ihren Einfluss auf die geistige Entwicklung des Menschengeschlechts”, in DERS., GS. Bd. 7, LEITZMANN Albert (Hrsg.), Berlin-Boston, De Gruyter, 1967, S. 53. 

[193] DERS., „Ueber das vergleichende Sprachstudium in Beziehung auf die verschiedenen Epochen der Sprachentwicklung“ [1820], in FILTNER Andreas, GIEL Klaus (Hrsg.), Wilhelm von Humboldt: Werke in fünf Bänden, Bd. 3, Darmstadt, Wissenschaftliche Buchgesellschaft, 2010, §14, S. 13.

[194] ROWLAND, op. cit., S. 648: „Liberation theology has thus given prominence to themes neglected in the mainstream Christian tradition. It has been important to retrieve ,alternative stories‘, whether neglected or buried.“.

[195] YONG, „On Binding, and Loosing, the Spirits…“ , op. cit., S. 6.

[196] Ebd., „Contemporary pluralism thus accentuates how various cultural-linguistic frameworks function to enable their adherents to imagine, engage, and interact with a spirit-filled world.“.

[197] Vgl. oben; auch YONG, Beyond the Impasse. Toward a Pneumatological Theology of Religions, Grand Rapids/ Carlisle, Baker Academic/PaterNoster Press, 2003, S. 73.  

[198] Διάλεκτος ist eine abgeleitete Form des Verbs διαλέγω: sich unterhalten. A. Yong spricht im Zusammenhang mit der Erfahrung des Geistes von der „richness of that global conversation“. Vgl.  DANIELS Scott, New Creation Conversation, Season 2, Episode 21: „The Richness of That Global Conversation“, in „Dr. Amos Yong on the Theology of the Holy Spirit and Thinking Theologically about Disability“, 9. Juli 2021, 37'14, https://podcastaddict.com/episode/135254451. Zuletzt abgerufen am 29. Juli 2023.

[199] ESCUDÉ Pierre, op. cit., S. 26.

[200] YONG, Beyond the Impasse, op. cit., S. 73: „Pneumatological imagination“.  

[201] Pierre Escudé definiert die Interlangue als einen „Raum zwischen zwei normierten Sprachen, der von der Agrammatikalität bis zum ‚Translanguaging‘ reicht, wie es von Ofelia Garcia beobachtet wurde.“ (ESCUDÉ, op. cit., S. 17). Er verweist auf „La langue française et les autres“, Bilingual education in France. Language policies, models and practices, HÉLOT Christine, ERFURT Jürgen (Hrsg.), Lambert Lucas, 2016, S. 9-13.

[202] Sieh Oben.

[203] GEFFRÉ, sieh oben.

[204] QUESNEL Michel, „État de la recherche sur Paul“, in DETTWILER Andreas, KAESTLI Jean-Daniel, MARGUERAT Daniel (Hrsg.), Paul, une théologie en construction, Genf, Labor et Fides, 2004, S. 29.

[205] Vgl. BADIOU Alain, Paulus. Die Begründung des Universalismus, Übers. Heinz Jatho,München, Sequenzia, 2002.  

[206] Quesnel unterscheidet zwischen dem universalistischen Christentum von Badiou und Agamben einerseits und andererseits, durch den Einfluss von Nietzsche, Jacob Taubes oder Didier Franck, einer Betrachtung „ausgehend von der paulinischen Vorstellung des Leibes, sowohl als physischer Leib als auch als sozialer Leib.“ (QUESNEL, op. cit., S. 30-31).

[207] Ebd., S. 31.

[208] Ebd.

[209] Ebd., S. 38.

[210] Ebd.

[211] Alain Badiou spricht insbesondere von der „universalen Singularität“ (BADIOU, op. cit., S. 16.)

[212] QUESNEL, op. cit., S. 30.

[213] Alain Badiou spricht von „ein Prozess der Fragmentierung in geschlossene Identitäten […] begleitet von der kulturalistischen und realistischen Ideologie.“ (BADIOU, op. cit., S. 21).

[214] QUESNEL, op. cit., S. 30.

[215] ZELLER, op. cit., S. 511-512.

[216] Ebd., S. 512.

[217] BÜHLER Pierre, „Pistes de travail“, in BIRMELÉ et al., op. cit., 2008, S. 469.

[218] GEFFRÉ, op.  cit., S. 46-47: „L’Église […] a une conscience beaucoup plus vive de la particularité historique de la culture occidentale, celle-là même qui fut la culture dominante sous-jacente à la théologie chrétienne durant vingt siècles.“.

[219] Ebd., S. 39: „De même que l’Évangile, selon sa vocation à l’universel, a surmonté la dualité du Juif et du Grec, il doit aujourd’hui dépasser la dualité de l’Occidental et du non-Occidental.“.  

[220] Ebd.

[221] Ebd.: „Il ne faudrait pas que, sous prétexte d’inculturation, on favorise une sorte de régionalisme culturel qui ferait du christianisme une religion chaque fois dépendante d’une nouvelle culture.“.  

[222] GEFFRÉ, S. 40.

[223] Ebd.

[224] Ebd.

[225] YONG, Renewing Christian Theology Systematics for a Global Christianity, Waco, Baylor University Press, 2014, S. 19: „While no one should minimize the contributions of Christian missionaries, especially in preserving the languages of indigenous cultures (Sanneh 1989), we also should not turn a blind eye toward the many ways in which non-Western ways of life were devalued. […] Christians in the majority world who were once the objects of missionization are now engaged in massive efforts to reevangelize the Western world (e.g., Währisch-Oblau 2009). […] On the other hand, there is also the sense that Christianity’s contemporary theological formulations remain dominated by Western cultural forms and expressions perpetuated by the missionary movement (Rah 2009).“.

[226] Sieh oben.

[227] GEFFRÉ, op. cit. S. 68: „D’une part, nous affirmons la volonté universelle de Dieu, mais d’autre part, nous affirmons qu’il n’y a pas de salut en dehors de la connaissance explicite de Jésus-Christ.“.

[228] Dies entspricht insbesondere der Formulierung in Joh 14,2. Vgl. ZUMSTEIN, op. cit., S. 523.

[229] DUPONT Jacques, Salvation, S. 58:  „The Church Was Born Universal“; quoted by KEENER Craig S., Acts, an Exegetical Commentary, op. cit., S. 844.

[230] ROWLAND, op. cit., S. 648.

[231] GEFFRÉ, „La vérité du christianisme à l'âge du pluralisme religieux“, Angelicum, Vol. 74, No. 2 (1997), S. 178: „Un théologien comme Hans Urs von Balthasar a pu parler de la non catholicité de l'Eglise dans sa dimension historique au sens d'un face à face permanent d'Israël et de l'Eglise jusqu'à la fin des temps“ und DERS., De Babel, S. 75: „À la suite d’un certain absolutisme catholique, on peut donc, à la suite de Hans Urs von Balthasar, aller jusqu’à parler de la non-catholicité de l’Église dans sa dimension historique; Vgl. VON BALTHASAR Hans Urs, Das ganze im Fragment. Aspekte der Geschichtstheologie , S. 161-166.

[232] GEFFRÉ, De Babel, S. 67.

[233] Ebd., S. 11: „Il ne faut donc pas conférer au christianisme une universalité qui n’appartient qu’au Christ.“. 

[234] GISEL Pierre, Sortir le religieux de sa boîte noire, Genf, Labor et Fides, 2019, S. 195-196: „Die Herausforderung besteht darin, einen Totalisierungsphantasie zu durchbrechen, sei es in Bezug auf Wissen oder Projekte, sei es ein Projekt für das Menschliche oder bewusst sozialer Natur. Es war ein ‚Traum‘, der sich nicht nur als ‚unmöglich‘, sondern letztendlich als ‚unberechtigt‘ oder irreführend erwiesen hat und zu einer ‚Katastrophe‘ geführt hat, sei es durch totalitäre Impulse - wobei der Kommunismus ein extremes Beispiel dafür ist - oder in Form einer Entleerung. Es gab einen Traum von Versöhnung, von jedem mit sich selbst und mit allen, von Mensch und Welt, von Mensch und seinen zuvor konfiszierten Idealen. Im Grunde war es ein Verschmelzungstraum oder zumindest ein Streben nach Homogenität.“.

[235] ROWLAND, op. cit., S. 647-648: „Doctrinally, liberation theology departs little from the theological mainstream.“.

[236] CÉSAIRE, sieh oben.

[237] JENSON Robert W., Systematic theology, Bd. 1, S. 26; Ebd., S. 25: „Faith that the church is still the church is faith in the Spirit’s presence and rule in and by structures of the church’s historical continuity.“.

[238] BÜHLER Pierre, „L’étranger comme point de cristallisation de l’autre“ (2015), in DERS., Bewegende Begegnung. Rencontre interpellante. Aufsätze, Einmischungen, Predigten. Articles, interventions, prédications, KAENNEL Lucie Kaennel, MAUZ Andreas, PILGRAM-FRÜHAUF Franzisca, Zurich/Genf, Theologischer Verlag Zürich/Labor et Fides, 2020, S. 71: „Le défi de l’étranger [est aussi] un défi théologique.“. BONHOEFFER Dietrich, Gemeinsames Leben/Das Gebetbuch der Bibel, MÜLLER Gerhard Ludwig, SCHÖNHERR Albrecht (Hrsg.), Gütersloher Verlagshaus, 2019, S. 94: „Damit hat Christus uns die Gemeinde und in ihr den Bruder zur Gnade gemacht.“.

[239] AGRIPPA D’AUBIGNÉ Théodore, Les Tragiques [1615], IV 691-698, LESTRINGANT Frank (Hrsg.), Paris, Gallimard, 1995, S. 208: „Le tyran des esprits veut nos langues changer / Nous forçant de prier en langage étranger: / L’esprit distributeur des langues nous appelle / À prier seulement en langue naturelle. / C’est cacher la chandelle en secret sous un muid: / Qui ne s’explique pas est barbare à autrui, / Mais nous voyons bien pis en l’ignorance extrême / Qui ne s’entend pas est barbare à soi-même.“.

[240] MILNER Jean-Claude, „Le même unit-il ? Le séparé est-il un autre?“, Banquet de La Grasse, Konferenz vom 11. August 2016, https://www.youtube.com/watch?v=Bx4y7IYObdw&ab_channel=Banquetdelagrasse, 30’30. Zuletzt abgerufen am 31. Juli 2023.

[241] Die prophetische Beschreibung des Endgerichts (Mt 25,31-46) lädt dazu ein, im anderen eine Gestalt des Herrn zu sehen, während das Gleichnis vom barmherzigen Samariter (Lk 10,29-37) den Nächsten nicht als den anderen definiert, den wir treffen, sondern als uns selbst, jedes Mal wenn wir uns um den anderen kümmern.

[242] Die Selbsterkenntnis, die der Erkenntnis Gottes untergeordnet ist, verweist auch auf die Frage des Dritten als Vermittlung, die wir hier beiseitelassen. Vgl. CALVIN, Institution de la religion chrétienne [1541], Bd. 1, Genève, Droz, 2008, S. 189ff. Sieh auch VALLIN Philippe, Le prochain comme tierce personne chez Saint Thomas d’Aquin, Paris, Vrin, 2000, der Aelred de RIEVAULX zitiert: „Ecce ego et tu, et spero quod tertius inter nos Christus sit.“.

[243] BÜHLER, op. cit., S. 71: „Je dois faire face au fait que je suis aussi mon propre étranger. Par conséquent, si je suis prêt à traiter de manière adéquate l’étranger en moi-même, je suis également prêt à traiter de manière adéquate l’étranger en face de moi.“.  

[244] BUBER Martin, „Der Weg des Menschen nach der chassidischen Lehre“ [1948], in TALABARDON Susanne (Hrsg.), Band 17 Chassidismus II, Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, S. 240ff.

[245] GEFRRÉ, op. cit., S. 17: „[Face] à la philosophie grecque qui veut que seul le semblable puisse reconnaître le semblable, […] il y a une autre logique, biblique celle-là, qui veut que le dissemblable reconnaisse l’autre dans son altérité.“.

[246] JULLIEN François, Das Universelle, das Einförmige, das Gemeinsame und der Dialog zwischen den Kulturen, übers. Ronald Voulié, Berlin, Merve, 2009, S. 176.

[247] Ebd.

[248] Ebd.

[249] Borges bot uns durch die Kurzgeschichte „Von der Strenge der Wissenschaft“ [1946] die Gelegenheit zu einer Meditation über Abstraktion und Reduktion, indem er von einem Reich sprach, in dem „die Kunst der Kartografie eine solche Vollkommenheit [erlangte]“, dass eine Karte im Maßstab 1/1 erstellt wurde, so dass der Grad der Genauigkeit zwischen Karte und Territorium dazu führte, dass die Karte das Territorium überdeckt. Im soziolinguistischen Kontext könnte man vielleicht sagen, dass die Dialekte sowohl Karte als auch Territorium waren. Vgl. BORGES Jorge Luis, Gesammelte Werke. Bd. 6, München, Carl Hanser Verlag, 1982, S. 285.

[250] RICŒUR Paul, „Le paradigme de la traduction“, in : De la traduction, Paris, Bayard, 2004, S. 32. Vgl. HÖLDERLIN, Brief vom 4. Dezember 1801 an Casimir Ulrich Böhlendorff, Sämtliche Werke und Briefe. Bd. II, München, Carl Hanser Verlag, 1981, S. 926-929.

[251]LAMARRE Jean-Luc, L’éducation cosmopolite: apprendre le propre, apprendre l’étranger, Presses universitaires de Caen, Le Télémaque, 2012/1 n° 4, S. 31-46.

[252] Dies trägt dazu bei, dass die minorisierten Sprachen zu einer Figur des Verdrängten werden.

[253] Sieh oben.

[254] GEFFRÉ, op. cit., S. 38.

[255] Ebd., S.56: „Il y a une fonction prophétique de l’étranger pour une meilleure intelligence de sa propre identité.“.

[256] Die Sprecher, die eine minorisierte Sprache gelernt haben (Neusprecher oder Neo-Sprecher) sehen sich mit der Frage ihrer Legitimität konfrontiert, die den Muttersprachlern vorbehalten ist. Vgl. COSTA James, PETIT CAHILL Kevin, „Linguistic Revitalization“, in Language and society 2021/HS1, S. 306–307: Die Neo-Sprecher befinden sich „häufig in einer Situation der Illegitimität aufgrund ihres Alters, ihrer geografischen Herkunft (Stadt vs. Land) oder der Varietäten, die sie verwenden, die oft durch den Kontakt mit der dominierenden Sprache geprägt sind.“.

[257] Ebd.

[258] SAUZET Patrick, „Occitan : de l’Importance of’be a language“, op. cit., S. 103.

[259] Ebd.: „Die okzitanische Sprache bietet sowohl die Berücksichtigung dieses Mikro-Lokalen als auch ihre Einbindung in eine spezifische, aber teilbare, komplexe und der gesamten Menschheit offene Beziehung zur Welt. [...] Man existiert in der Welt nur in einer Sprache. Die Offenhaltung einer Art, in der Welt zu sein, die spezifisch Orte und die Menschen, die sie bewohnen und bewohnt haben, zum Ausdruck bringt, die die bescheidensten Inhalte mit den elaboriertesten verbindet, verdient jetzt die Investition einiger weniger [...]. Wer weiß, welchen Preis morgen die Möglichkeit haben wird, eine eigene Kultur neu zu beleben? Es geht darum, die Funktion einer Sprache so reichhaltig wie möglich aufrechtzuerhalten, um diejenigen willkommen zu heißen, die enttäuscht vom Turmbau zu Babel zurückkehren werden.“.

[260] Hier entlehne ich den Begriff des „herrschenden Universales“ von Julia Christ; vgl. Christ, Julia, L’oubli de l’universel. Hegel critique du libéralisme, Paris, PUF, 2021, S. 61ff.

[261] Julia Christ unterscheidet zwischen dem Althusserianischen Modell und dem Smithschen Modell.

[262] Ebd., S. 6: „Porté par l’intuition que l’universel que l’on combat et que l’on défend n’en est pas un.“. 

[263] Ebd., S. 31.

[264] ALTHUSSER Louis, Über die Reproduktion [1969], Frieder Otto Wolf (Hrsg.), Hamburg, VSA Verlag, 2018, S. 248.

[265] CHRIST Julia, op. cit., S. 31.

[266] ALTHUSSER Louis, op. cit., S. 265.

[267] Ebd., S. 33. Julia Christ quotes the Althusserian illustration: „Siehe, wer Du bist: Du bist Pierre! Siehe, woher Du kommst: Du bist von Gott seit aller Ewigkeit geschaffen, auch wenn Du erst 1928 nach Christus geboren bist! Siehe, welches Dein Platz in der Welt ist! Siehe, was Du zu tun hast! Auf diesem Wege wirst Du, wenn Du das Gebot der ‚Nächstenliebe‘ befolgst, erlöst werden. Du, Pierre, wirst dann zum glorreichen Leib Christi gehören! usw.“ (ALTHUSSER Louis, op. cit., S. 274).

[268] CHRIST Julia, op. cit., S. 178.

[269] Ebd., S. 178-179.

[270] MILNER Jean-Claude, L’universel en éclats, Paris, Verdier, 2016, S. 8: „S’interroger sur l’universel, cela revient à s’interroger sur l’opérateur tout.“. 

[271] SIMON-NAHUM Perrine, „Le juif de Milner. Les juifs peuvent-ils sortir de l’histoire?“, Le Genre humain 2016/1-2 (N° 56-57), S. 596.

[272] Tatsächlich schreibt Milner den Übergang vom Universalen zum Universalismus Alexander und nicht Paul zu. MILNER Jean-Claude, Ebd., S. 71ff.

[273] TACITUS, Historiae, V, 4-5,

[274] MILNER Jean-Claude, Ebd., S. 117: „Par leurs rites et leurs coutumes, les Juifs empêchent  qu’on puisse traiter, de manière consistante, de tous les hommes. Ils rendent impossible l’emploi de l’opérateur tout.“. 

[275] Ebd., S. 123: „Quand la vérité se définit Quod semper, quod ubique, quod ab omnibus, ‚toujours, partout, par tous’, comment un Juif est-il possible au champ de la vérité ? La réponse est claire: il ne l’est pas, sauf comme un support du faux et de toutes les inadéquations, entre choses et intellect.“.

[276] Ebd., S. 115:  „Une théorie n’est vraie que si elle n’est pas toute-puissante“. Und auch: „Plus exactement, une formule de langue effleure la vérité, si elle est suffisamment puissante pour porter atteinte à l’opérateur tout.“. 

[277] BONNARD Pierre, Ebd., S. 232. Vgl. außerdem KONRADT Matthias, op. cit., S. 250: „ [Die kanaanäische Frau zeigt einen Glauben], der schon jetzt in Jesus nicht nur den Messias Israels erkennt, sondern den, der als Messias Israels der Heilsbringer auch für die Völker ist.“.

[278] KONRADT Matthias, op. cit., p. 249. 

[279] Der Vorwurf, der in dem Lied „Stéréotype“ der Band Mauresca zu hören ist, lautet, dass die hegemoniale Sprache als ihr Erbe beansprucht, was sie durch Eroberungsrecht erlangt hat. Statt jedoch die okzitanische Sprache zu übernehmen, lässt sie diese verwelken: „Das deine gehört dir, aber das meine ist nicht glaubwürdig.“ Eine Frage der Umkehrbarkeit oder der Gegenseitigkeit? Die Frage könnte lauten: Was machst du mit meinem? Was machst du mit dem, was du mir genommen hast? Ich habe aus der mir auferlegten Sprache ein eigenes Gut gemacht, aber das, was du mir genommen hast, hast du nicht für dich in Anspruch genommen. (Vgl. MAURESCA, Stéréotype https://www.youtube.com/watch?v=F2IHL0pNuJs&ab_channel=MaurescaFracasDub [Musikvideo von Amic Bedel], 2008. Zuletzt abgerufen am 1. August 2023.

[280] Das Wort „Nachbar“ wird verwendet, um „der Nächste“ ab Lv 19,18 zu übersetzen. Der Sprecher in einer diglossischen Situation kennt die Sprache seines Nachbarn gut. Er kann in der Sprache seines Nachbarn denken. Aber diese Nachbarschaft, diese Nähe, hat die Tendenz, ihn selbst aus seiner eigenen Sprache zu vertreiben, das, was nicht sein eigen war, völlig zu verlieren, ihn sich selbst auf eine Weise fremd zu machen, die nicht der Entdeckung einer fremden Kultur entspricht, sondern ihn völlig zu entfremden. Tatsächlich kann der Sprecher so weit gehen, auf die Weitergabe dessen zu verzichten, was er empfangen hat. Er entzieht sich dann einem Scheinaustausch, bei dem er zu einem Glied in der Übermittlung dieses Nachbarn geworden ist.

[281] BONHOEFFER Dietrich, Gemeinsames Leben [1939],  München, Christian Kaiser Verlag, 1951, S. 76f: „Damit hat Christus uns die Gemeinde und in ihr der Bruder zur Gnade gemacht.“

[282] Ebd.

[283] Ebd., S. 77.

[284] RICŒUR Paul, Das Selbst als ein Anderer, übers. Jean Greisch, Thomas Bedorf u. Birgit Schaaff, Paderborn, Wilhelm Fink, 2005, S. 205.

[285] Ebd.

[286] RICŒUR Paul, Autrement. Lecture d’autrement qu’être ou au-delà de l’essence d’Emmanuel Levinas, Paris, PUF, 2006, S. 10-11.

[287] Ebd., S. 18: „Man kommt niemals zum Ende des Anders-Sagens; nur in den Zwischenräumen der festen verbergenden Korrelationen ist ein Echo des Sagens im Gesagten zu hören – eine Verheißung der Möglichkeit, vom Gesagten zum Sagen zurückzukehren.“.

[288] Ebd. S. 19.

[289] LEVINAS Emmanuel, Jenseits des Seins oder anders als sein geschieht, übers. Thomas Wiemer, Freibug-München, Karl Alber, 1992, S. 200: „Die Nähe geht nicht in diese gewöhnliche Zeit der Uhren ein, die die Verabredungen ermöglicht. Die Nähe stört.“.

[290] RICŒUR Paul, Autrement, op. cit., S. 20.

[291] Ebd., S. 25.

[292] LEVINAS Emmanuel, Ebd., S. 246.

[293] Ebd.

[294] RICŒUR Paul, Autrement, op. cit., S. 26: „Darum ist die Sühne nicht die Erlösung.“.

[295] Der Vers von Mistral, „Herr, befreie meine Zunge vom Festhalten“, ist eine freie Adaptation von Ps 51,16: „Befreie mich von Blutschuld, Gott, du Gott meines Heils, dann wird meine Zunge jubeln über deine Gerechtigkeit!“), MISTRAL Frédéric, „Saum L Miserere mei, Deus“ [1856], Œuvres poétiques complètes, Bd. II, ROLLET Pierre (Hrsg.), xx,Ramoun Berenguié, 1966, S. 391.

[296] Hier folge ich der Übersetzung von Dieter Zeller. Als Beispiel hier lassen wir die verschiedenen Übersetzungen von γλῶσσαι, παύσονται (1Kor 13,8c) aus den französischen und okzitanischen Übersetzungen: „Les langues cesseront“ (Osty), „Cessaràn“ (Roqueta-Larzac), „Se tairont“ (NBS, BJ), „S’assiaudiràn“ (Cubaynes), „Prendront fin“(TOB). Meiner Meinung nach ermöglicht die deutsche Sprache keine äquivalente Verbindung wie die zwischen dem Englischen „Love never fails (Die Liebe hört niemals auf)“und dem Okzitanischen „las lengas faliràn“, wie es hier möglich ist.

[297] ZELLER Dieter, op. cit., S. 415.

[298] PANNENBERG Wolfhart, „Eschatologie, gott und Schöpfung“, in: DERS., Theologie und Reich Gottes, Gütersloh, Mohn, 1971, S. 11f.

[299] TEILHARD DE CHARDIN Pierre, „Brief vom 12. Oktober 1951“,in: Lettres intimes de Teilhard de Chardin, Henri de Lubac (Hrsg.), Paris, Aubier-Montaigne, 1974: „Seit meiner Kindheit wurde mein spirituelles Leben fortwährend von einer Art tiefem 'Gefühl' für die organische Realität der Welt beherrscht; ein Gefühl, das anfangs recht vage in meinem Geist und Herzen war, aber im Laufe der Jahre zu einer präzisen und alles durchdringenden Wahrnehmung einer allgemeinen Selbstkonvergenz des Universums wurde. Diese Konvergenz fällt zusammen und erreicht ihren Höhepunkt an dem Punkt, in quo omnia constant, den der Himmel mich gelehrt hat zu lieben.“.

[300] Mt 6,5 : „Ἀμὴν λέγω ὑμῖν, ἀπέχουσιν τὸν μισθὸν αὐτῶν.“.

[301] PANIKKAR Raimon, op. cit., S. 122.

[302] Unbelegtes Zitat, das manchmal auf Französisch Kierkegaard zugeschrieben wird, ähnlich Kierkegaards Meditation über das leere Grab. (KIERKEGAARD Søren, Entweder-Oder, Michael Holzinger, XX, Berliner Ausgabe, 2013, S. 207-210).

[303] Matthäus beschreibt den Vater als τέλειος und fordert die Gläubigen auf, sich mit ihm in Einklang zu bringen.(Mt 5, 48: Ἔσεσθε οὖν ὑμεῖς τέλειοι ὡς ὁ πατὴρ ὑμῶν ὁ οὐράνιος τέλειός ἐστιν.) Und wir können Mt 24,14c (Καὶ τότε ἥξει τὸ τέλος, „und dann wird der τέλος kommen“) so verstehen, dass es sich auf die Wiederkunft Jesu.

[304] MOLTMANN Jürgen, Theologie der Hoffnung. Untersuchungen zur Begründung und zu den Konsequenzen einer christlichen Eschatologie,  Gütersloh, Gütersloher Verlagshaus, 2005, S. 13: „Die christliche Eschatologie redet nicht von der Zukunft überhaupt. […] Christliche Eschatologie spricht von Jesus Christus und seiner Zukunft.“.

[305] DE PURY Albert, RÖMER Thomas, SCHMID Konrad, op. cit., p. 26: „[...] the creating God can employ [the absolute figure of chaos], if necessary, as the instrument for the destruction of the inhabitable earth.“.

[306] MOLTMANN Jürgen, op. cit., S. 11.

[307] Ebd., S. 12.

[308] BIRMELÉ André, „L'eschatologie“, in op. cit., S. 376.

[309] ROWLAND Christopher, op. cit., S. 648: „It is its hope for a better world which links liberation theology in general terms with the chiliastic tradition down the centuries […]. The legacy of Augustine’s City of God has been so pervasive in Christian doctrine that the view of a this-worldly hope has either been interpreted in other-worldly terms or simply pushed to the margins of the Christian tradition.“.

[310] ULLERN Isabelle, GISEL Pierre (Hrsg.), Penser en commun ? Un „rapport sans rapport“. Jean-Luc Nancy et Sarah Kofman lecteurs de Blanchot, Paris, Beauchesne, 2015, S. 109-138.

[311] „Wenn also jemand in Christus ist, dann ist er eine neue Schöpfung [καινὴ κτίσις]: Das Alte ist vergangen, siehe, Neues ist geworden.“ (2Kor 5,17). Vgl. Gal 6, 15.

[312] Hassideologien greifen gerne und oberflächlich nach dem, was sie als Identitätsmarker betrachten, während sie gleichzeitig eine Ideologie des neuen Menschen entwickeln und umsetzen (Nazismus, Faschismus), eine Ideologie, die den drei Totalitarismen des 20. Jahrhunderts, einschließlich des Stalinismus, gemeinsam ist. Der Verdacht des Faschismus, mit dem ihre Gegner gerne die traditionellen Kulturen beflecken, kann durch die Feststellung umgekehrt werden, dass der Faschismus den neuen Menschen wertschätzt und immer wieder das Bestehende radikal beseitigt, um sich zu etablieren. Die Wertschätzung der Tradition in der Verführungsphase ist die Wertschätzung einer fantasierten, verfälschten nationalen Erzählung, die der Ideologie unterworfen ist und nur eine Masse ansprechen kann, die bereits ihrer Erbschaft beraubt wurde. Die Beschreibung des Barbarentum durch Walter Benjamin beruht auf der Figur des Erbauers, derjenige, der „auf etwas Neues“ baut. Hier geht es nicht um das vertraute Neue, das die Sprache ermöglicht, sondern um das radikale Neue, das eine Vernichtungsabsicht verspricht und in diesem Sinne keine Verbindung zur Vergangenheit hat, außer in dem Bemühen, deren Existenz zu leugnen. Vgl. BENJAMIN Walter, „Erfahrung und Armut“ [1933],  GS. Bd. II, Frankfurt am Main,Suhrkamp,  1991, S. 213.

[313] MOLTMANN Jürgen, op. cit., S. 307.

[314] NIETZSCHE Friedrich, Also sprach Zarathustra. Ein Buch für Alle und Keinen, Kehl, Swan Buch-Vertrieb, 1994, S. 74: „Immer vernichtet, wer ein Schöpfer sein muss.“.

[315] CHOMSKY Noam, Language and Mind, 3rd edition, Cambridge, Cambridge University Press, 2006, S. xiv, 10 und passim.

[316] In Bezug auf die Vereinbarkeit oder Unvereinbarkeit eines Gottes des Prozesses und Barths Verständnis der Zeitlichkeit Gottes sieh EDWARDS Mark James, Christ is Time, Eugene, Wipf and Stock, 2022, S. 157-159.

[317]  Allerdings wird der Gott der Möglichkeiten als der Gott aller dargestellt in der Passage, die ich folgendermaßen wiedergebe: „Siehe, ich bin [Jhwh], der Gott allen Fleisches. Könnte etwas von mir stammen, ohne dich zu überraschen?“ (Jer 32,27).

[318] In der ursprünglichen französischen Version dieser Studie wird der Begriff „bénévolence“ verwendet, der an den okzitanischen Ausdruck „benvolença“ erinnert, der wiederum von »benvolença« abgeleitet ist (was bedeutet, jemanden zu lieben), um die mit „bienveillance“ zunehmend verbundenen Konnotationen von Herablassung zu vermeiden.

[319] Hier lasse ich die Idee der Zusammenarbeit beiseite, wie sie im Zusammenhang mit der Rechtfertigungsdebatte verstanden wird, sowie die Debatte über die Möglichkeit des Menschen, das Gute zu wollen. Ich konzentriere mich auf das Interesse Gottes, am ἔσχατον eine nicht verschmelzende Beziehung zu seiner Schöpfung aufrechtzuerhalten, in der Annahme bzw. Hoffnung, dass das ἔσχατον nicht die reine und einfache Vernichtung der Person darstellt.

[320] In Bezug auf die Frage der dialektischen/paradoxen Paare sowie die Verhüllung und Enthüllung Gottes in seiner Offenbarung, vgl. CHALAMET Christophe, Théol. dialect., op. cit., S. 13f.

[321] MOLTMANN Jürgen, Theologie der Hoffnung, op. cit., S. 101.

[322] Ebd., S. 104: „So wird Gott ‚selbst‘ offenbar, wo er ‚Bund und treue hält ewiglich‘ (Ps 146,6)“.

[323] JÜNGEL Eberhard, Gottes Sein ist im Werden. Verantwortliche Rede vom Sein Gottes bei Karl Barth, eine Paraphrase [1965], XX, 41986, S.

[324] BIRMELÉ André, op. cit., S. 393-394 : „Während die Liebe – also Gott selbst – heute Fülle ist, schafft sie dennoch immer wieder neue Situationen. Sie ist in der Lage, sich selbst zu überschreiten, um eine neue Erfüllung, eine neue Schöpfung aus dem Nichts (creatio ex nihilo) zu bewirken.“. 

[325] Ich greife die Idee von Charles Mathewes auf, der die christliche Hoffnung in konkreter Weise für das öffentliche Leben anwendet. Nachdem er die tief ambivalente Natur der Hoffnung hervorgehoben hat (mächtiges Betäubungsmittel, unaufhaltsamer Anreger), weist er sowohl konservative als auch befreiungsorientierte Modelle zurück, ebenso wie Modelle des Gleichgewichts zwischen beiden. Das Ziel besteht darin, das Phänomen „Hoffnung“ besser durch diese beiden Merkmale zu verstehen, nämlich ihre Fähigkeit zur Mobilisierung und zur Erzeugung von Visionen. Letztendlich ist unsere eigene Hoffnung sekundär. Das, was sie übertrifft, ist einerseits unsere Antwort und andererseits derjenige, der ruft (S. 245). Die Art und Weise, wie sich die Welt ändern kann (S. 244), liegt unter einem „radikalen eschatologischen Urteil“ (S. 245), das Immanenz und Transzendenz miteinander verbindet. Es ist genau deshalb, weil die Hoffnung uns in die Welt einbezieht, dass sie uns verändert: „Wir sind gewissermaßen andere Menschen, wenn wir hoffen“(S. 246), wodurch die Hoffnung zu einer Art des Weltbewohnens wird. Die Hoffnung ruft zur Handlung auf, lädt aber auch dazu ein, sich dieser Hoffnung anzuschließen, was Mathewes als den „fundamental vokativen, sprachlichen“ Wert der Hoffnung bezeichnet (S. 247). Dabei gibt es Verzerrungselemente. Insbesondere: „Die Hoffnung verspricht nicht, dass unsere Hoffnungen erfüllt werden, sondern dass der Wille Gottes geschehen wird.“ (S. 251) Mathewes' Betrachtung des Konzepts nimmt eine klare Form an angesichts der geschlossenen Diskurse, mit denen der Gläubige im öffentlichen und politischen Leben konfrontiert wird: „Direkt dahinter steckt die Erkenntnis, dass unsere Welt mehr ist als das, was diese Systeme zulassen.“ (S. 254) Oder auch: „Menschen und ihre Handlungen überschreiten ihre reine Wörtlichkeit, und die eschatologische Hoffnung der Kirchen kommt teilweise durch ihre Weigerung zum Ausdruck, das System des Nationalstaates letztlich ernst zu nehmen.“ (S. 255). (MATHEWES Charles T., A Theology of Public Life, Cambridge, Cambridge University Pres, 2007).

[326] PASCAL Blaise, Gedanken, übers.  Karl Adolf Blech, XX, 1840, S. 61: „So ist das menschliche Leben nichts als eine beständige Täuschung man thut nichts als sich gegenseitig betrügen und sich gegenseitig schmeicheln.“.

[327] MATHEWES Charles T., op. cit., S. 257: „Our engagement with ‘worldly matters’ inevitably involves our losing control of our fate more than gaining control of it.“.

[328] Ebd., S. 258: „We know that hope will change us, in ways that we do not fully understand, and indeed, in ways that we currently do not, at present, fully wish to understand, much less undergo.“.

[329] WAGNER Charles, L'Homme est une espérance de Dieu, Paris, Van Dieren, 2007, S. 167.

[330] BONHOEFFER Dietrich, sieh oben.

[331] BASIL OF CÄSAREA, Die neun Homilien über das Hexaemeron, I 8, 20–28, Anton Stegmann (Hrsg.), BKV, München, Joseph Kösel & Friedrich Pustet, 1925, S. 19.

[332] WIRÉN Jakob, Hope and Otherness: Christian Eschatology and Interreligious Hospitality, Leiden-Boston, Brill-Rodopi, 2018, S. 19: „The particularist approach is a welcome response to some of the shortcomings of exclusivism, inclusivism, and pluralism, not least in terms of recognizing differences between the religious traditions and thereby respecting the integrity of these traditions. But the strong emphasis on incommensurability and the metaphor of separate languages also raises questions about the possibility of people of different faiths actually being able to understand each other and to share experiences. A one-sided focus on differences prevents mutual exchanges as well as criticism and tends to isolate religious traditions from each other.“.

[333] SCHLEIERMACHER Friedrich, op. cit., S. 89.

[334] Der Ausdruck „lenga del brèç“  ist ein wiederkehrendes Vorkommen im Okzitanischen.

[335] 1Kor 15,36; KALVIN Johannes, sieh oben.

[336] JÜNGEL Eberhard, Gott als Geheimnis der Welt, op. cit., S. 68.

[337] RICŒUR Paul, „Envoi“ , in: Les protestants face aux défis du XXIe siècle. Actes du colloque du 50e anniversaire du journal Réforme, Genf, Labor et Fides, 1995, S. 152: „Cherch[ant] à nous accorder sur la dimension de l’espace de variations à l’intérieur duquel nous reconnaissons que nos désaccords sont bien les nôtres.“.  

[338] MATHEWES Charles, op. cit., S. 258.

[339] Nach Jüngel handelt es sich dabei um die „neuzeitliche Fragestellung“, nämlich die Frage des Endes der Metaphysik. Vgl. JÜNGEL Eberhard, Gott als Geheimnis der Welt, op. cit., S. 67f.

[340] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 71.

[341] Die Frage wäre dann: Ist es möglich, den Sprachen, insbesondere den minorisierten Sprachen, einen theologischen Status ähnlich demjenigen zu gewähren, den Karl Rahner den Religionen gewährte? Vgl. GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 51.

[342] Ich beziehe mich auf Amos Yong und seine Charakterisierung der pfingstlerischen Theologie der menschlichen Sprachen, verstanden als eine„ Apg-2 Theologie der menschlichen Sprachen“. Also: „Again, this is not to say that all aspects of all religions are redeemed, even as it is not to say that all aspects of every culture or all parts of every language are thereby sanctified by the Spirit. […] In the meantime, however, every language,culture, and even religious tradition potentially bears, however haltingly because of finite and fallen character, witness to the one under whom all things will be finally subject.“ (Yong, Amos, Renewing Christian Theology: Systematics for a Global Christianity, Waco, Baylor University Press, 2014, S. 242).

[343] JÜNGEL Eberhard, Gott als Geheimnis der Welt, op. cit., S. 347: „Wie läßt sich die menschliche Sprache ausschalten, um den unsagbaren Gott zu erreichen? Die naheliegende Antwort ‚durch Schweigen‘ ist insofern unzureichend, als Schweigen in sich vieldeutig ist.“.

[344] Hier übersetze ich, da ich die deutsche Ausgabe nicht konsultieren konnte, GANS Éric, zitiert von BAUDRILLARD Jean, Das perfekte Verbrechen, übers. Riek Walther, München, Matthes & Seitz, 1996, S. -1.

[345] GEFFRÉ Claude, op. cit., S. 35.

[346] JENSON Robert W., op. cit., S. 32: „Theology is thinking what to say to be saying the Gospel.“.

[347] ROWLAND Christopher, op. cit., S. 648: „The theological anthropology which is informed by pneumatology questions the fatalism of a view of human sinfulness which despairs of the possibility of change.“.

Précédent
Précédent

Mémoire de Master

Suivant
Suivant

Cesseranno le lingue